2024-06-14T14:12:32.331Z

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GEFEIERT BEIM AUFSTIEG: Ex-Türkgücü-Trainer Majid Cirousse, jetzt Coach des SV Kosova.
GEFEIERT BEIM AUFSTIEG: Ex-Türkgücü-Trainer Majid Cirousse, jetzt Coach des SV Kosova. – Foto: Helmut Kemme

„Rassismus gibt es – auf allen Seiten“

Kosova-Coach und Ex-Türkgücü-Trainer Cirousse über die Arbeit mit Fußballern mit Migrationshintergrund

Der Vater Perser, die Mutter Griechin, aufgewachsen in Deutschland: Majid Cirousse kennt Eigenheiten und Einflüsse verschiedener Kulturen, Religionen und Weltanschauungen, die auf unser Zusammenleben wirken. Der Ex-Fußballtrainer des SC Türkgücü und heutige Coach des SV Kosova hat Erfahrung im Anleiten von Teams, die von Migrationshintergründen geprägt sind. Auf die aktuellen Zwischenfälle im Amateurfußball blickt er differenziert – nicht nur weil er den Spieler juristisch berät, der beim Vetter-Cup den Hitlergruß gezeigt hat.

„Ich war an jenem Tag nicht in der Halle. Aber sollte die Aktion so stattgefunden haben wie berichtet, gibt es dafür natürlich keine Entschuldigung“, stellt Cirousse klar. Der Anwalt hat privat ein gutes Verhältnis zu jenem Kicker, der nach seinem Ausraster für 36 Monate vom organisierten Fußball ausgeschlossen worden ist und strafrechtliche Konsequenzen befürchten muss. „Er ist sich bewusst darüber, dass so eine Aktion gar nicht geht“, sagt Cirousse, ergänzt aber auch, dass man den Vorfall frei von Vorurteilen und von allen Seiten betrachten solle.

Genau das fehlt Cirousse in der aktuellen Debatte. Dem selbst an der Linie durchaus emotionalen Trainer geht es nicht darum, diesen oder andere Vorfälle zu relativieren. „Aber wir müssen verstehen lernen, wie es zu solchen Aktionen kommen kann“, sagt der 35-Jährige. So habe er in seinen 18 Monaten bei Türkgücü oft erlebt, dass seine Spieler im Alltag an Grenzen stießen – etwa wenn es darum gehe, eine Wohnung zu finden, aber Vermieter Bewerber mit Migrationshintergrund generell ablehnten. „Dass diese Grenzen existieren, daran tragen die Jungs vielleicht auch zum Teil eine Mitschuld durch ihr Verhalten. Zum Teil liegt aber die Schuld nicht nur bei den Jungs“, sagt Cirousse und ergänzt: „So etwas sorgt für Frust im Alltag, der auch auf den Fußballplatz kommt.“

Als Trainer legt Cirousse Wert darauf, das Thema Nationalität aus dem Spiel zu lassen, wenn etwa ein deutscher Referee Freistoß gegen Türkgücü oder Kosova pfeift. „Ich habe meinen Jungs immer gesagt: Wir müssen aus dieser Opferrolle raus. Wir müssen uns klarmachen: Nicht jeder, der vielleicht mal unberechtigt gegen uns entscheidet, ist gleich ausländerfeindlich. Diese Arbeit war ein krasser, anstrengender Lernprozess und hat uns jeden Tag gefordert.“

Leider sei dieses Opfer-Denken weit verbreitet – und zwar nicht nur bei Migrantenteams. Cirousse berichtet, dass er auch umgekehrt erlebt habe, wie ein deutscher Trainer den Elfmeterpfiff eines türkischen Referees für Türkgücü lautstark schimpfend an der Nationalität festgemacht habe. „Das Einnehmen einer solche Opferrolle hilft im Fußball niemandem. Sie lenkt vom reinen Spiel elf gegen elf ab – und sie schürt Rassismus, auf allen Seiten“, sagt Cirousse. Rückschläge für diese Arbeit benennt er auch – vor allem wenn seine Fußballer tatsächlich wegen ihrer Hautfarbe oder Nationalität beleidigt wurden, was er leider auch erlebt habe.

Spieler wie jenen, der beim Vetter-Cup auch einen Gegner massiv bedroht haben soll, vom Fußball komplett auszuschließen, hält Cirousse „genau für den falschen Weg. Vielleicht hat dann der Fußball kurz ein Problem weniger – aber sicher nicht die Gesellschaft“. Natürlich müsse eine Sperre sein – Cirousse plädiert aber dafür, den Tätern zudem andere Dinge aufzuerlegen. „Warum lassen wir Menschen, die Schiedsrichter angegangen haben, nicht mal selbst Spiele pfeifen, damit sie aus eigener Erfahrung merken, wie schwierig das ist? Oder sie erhalten die Auflage, als Co-Trainer bei einer Jugendmannschaft zu helfen“, überlegt er.

Selbst will er nun seine Spieler beim SV Kosova dazu motivieren, ab und an stundenweise bei einer Hilfseinrichtung mit Menschen mit Handicap zu arbeiten. „Ich glaube, diese Arbeit erdet. Jedem wird dann klar, wie gut es uns eigentlich geht. Fußball ist cool – aber längst nicht das Allerwichtigste.“

Aufrufe: 010.2.2020, 09:20 Uhr
Benjamin Kraus / NOZ SportAutor