2024-06-04T08:56:08.599Z

Interview
Heiko Westermann blickt auf eine aufregende Karriere zurück.
Heiko Westermann blickt auf eine aufregende Karriere zurück. – Foto: Getty Images

»Ich würde es nochmal so machen!«

Teil 1 des großen FuPa-Interviews mit Ex-Profi Heiko Westermann aus Alzenau

Der Durchbruch mit Fürth, die Vize-Meisterschaft auf Schalke, große Spiele auf europäischer Bühne – aber auch zweimal Abstiegsrelegation, eine Verletzung, die eine WM-Teilnahme kostete sowie eine EM ohne Einsatz. Die Karriere von Heiko Westermann bot viele Höhen und Tiefen, aber nie Langeweile. Im ersten von zwei Teilen eines großen Interviews blickt der 37-Jährige auf eine aufregende Karriere zurück…

FuPa: Herr Westermann, hätten Sie sich vor ein paar Jahren eine 2. Bundesliga mit Ihren Ex-Klubs Hamburg und Schalke vorstellen können?
Heiko Westermann (37):
Nachdem was in Hamburg passiert war, konnte ich mir denken, dass es noch den ein oder anderen „Großen“ treffen könnte. Und auf Schalke hat man über die Jahre einige Fehlentscheidungen getroffen, der Verein hatte keine kontinuierliche Führung. Dann passiert so ein großer Absturz schon mal. Und es wird in den nächsten Jahren nicht leichter werden. Man sieht am HSV, wie schwer der Wideraufstieg werden kann.

Sie haben Ihre früheren Vereine also noch gut im Blick…
Ja, ich habe mir die Schalker Partien schon noch angeschaut. Und auch den HSV verfolge ich: Spielerisch ist das Team super, aber sie haben zu viel liegen lassen. Die Mannschaft hätte den Aufstieg deshalb nicht unbedingt verdient. Dafür läuft es bei anderen Ex-Teams wie Fürth und Bielefeld besser, hier wird super Arbeit geleistet. Beide Vereine machen viel aus ihren Möglichkeiten.

21 Jahre ist es her, als Sie selbst zu den Fürthern wechselten. Hätten Sie im Nachhinein etwas lieber anders gemacht?
Nein. Heutzutage passiert das durch die Nachwuchsleistungszentren alles in jüngeren Jahren, aber damals war der Wechsel mit 17 Jahren früh. Ich hatte zu der Zeit gesehen, dass ich in der Bayernauswahl oder der Bayernliga mithalten konnte. Dann kamen die Angebote, darunter das aus Fürth. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt, die Schule in der 11. Klasse abgebrochen und bin zuhause ausgezogen. Ich hatte quasi den Realschulabschluss und hätte auch arbeiten gehen können. Dann habe ich noch meinen Zivi abgeleistet und ansonsten Bundesliga gespielt. Das hat schon alles gepasst. Ich würde es nochmal so machen!

Mit Daniel Baier und Marcel Schäfer wagten damals zwei weitere Jungs aus der Umgebung Aschaffenburgs den Weg zu einem Profi-Verein – beide waren nur ein Jahr jünger als Sie…
Richtig, die beiden und Simon Schmidt wechselten gemeinsam zu 1860 München. Wir kannten uns aus einer Auswahlmannschaft, Daniels Vater Jürgen trainierte uns. Und auch ich hatte ein Angebot von den Löwen, ich habe mir das auch alles angeschaut. Am Ende hat mich Fürth überzeugt, denn es war nicht so weit weg wie München. Das war mir wegen meiner Freunde und der Familie wichtig.

Heiko Westermann heute: Der 37-Jährige ist Co-Trainer der U16-Nationalmannschaft.
Heiko Westermann heute: Der 37-Jährige ist Co-Trainer der U16-Nationalmannschaft. – Foto: Imago Images

Zusammengerechnet haben Schäfer, Baier und Sie später insgesamt 877 Bundesliga-Spiele absolviert…
Es ist Wahnsinn, wie drei Jungs aus einer so kleinen Region gleichzeitig den Durchbruch schaffen konnten. Dazu gab es noch Jose Holebas aus Aschaffenburg, der ebenfalls im Jahrgang 1984 war und international eine große Karriere hinlegte. So etwas gab es danach nicht mehr.

Wie war das möglich?
Ich kann nur für mich sprechen: In den Mannschaften, in denen ich in der Jugend aktiv war, hatte ich gute Spieler um mich, da war eine hohe Qualität da. Wir haben gegenseitig voneinander profitiert und immer in den höchsten Ligen gespielt. Entscheidend waren aber auch einige Trainer, die an den richtigen Stellschrauben gedreht haben.

Können Sie Namen nennen?
Beim FC Bayern Alzenau war das Peter King. Bei Fürth war der damalige Scout Ludwig Trifellner wichtig: Ohne ihn wäre ich nicht Profi geworden. Er war ein Mentor, der mich gefördert und gefordert hat. Viel gelernt habe ich auch in Bielefeld unter Thomas von Heesen.

Zu Ihrem Profi-Debüt kamen Sie aber unter Eugen Hach im Jahr 2003…
Er war ein spezieller Typ, aber ich kam gut mit ihm aus. Im ersten Spiel nach der Winterpause setzte er mich in der Startelf gegen Duisburg ein. Besser in Erinnerung habe ich aber meinen zweiten Einsatz: Eine Woche später durfte ich zuhause gegen Eintracht Frankfurt ran. Das war damals der große Aufstiegsfavorit und die SGE war das Team meiner Kindheit. Zurzeit von Yeboah, Okocha und Gaudino war ich dort gerne im Stadion – das fand ich super. Später hat sich das dann zerlaufen.

Wie war Ihr erstes Duell mit der SGE damals?
Ich war super aufgeregt, doch die Vorfreude war noch größer. Nach dem Anpfiff ging die Nervosität bei mir eh flöten, stattdessen war ich konzentriert. Ich spielte 45 Minuten als Rechtsverteidiger und wurde dann ausgewechselt. Aber nicht, weil ich schlecht war, sondern weil der Coach etwas ändern wollte (lacht). Nach der Begegnung war ich für den Rest der Saison gesetzt.

Ihr Durchbruch!
Ja, aber die zweieinhalb Jahre bis dahin waren enorm schwer. Ich war erstmals von zuhause weg. Ich habe immer bei der 2. Mannschaft mittrainiert, einmal pro Woche bei der Ersten. Am Wochenende spielte ich in der A-Jugend und teilweise zusätzlich noch in der 2. Mannschaft. Ich habe damals nur dazugelernt, es war eine kleine Talfahrt. Den Männerfußball musste ich erst kennenlernen. Es war am Anfang gar nicht abzusehen, dass ich mal in der Bundesliga auflaufen würde…

Wäre aus der Karriere damals nichts geworden, dann wäre Heiko Westermann heute…
…vielleicht Architekt, das hat mich fasziniert. Ich kann gar nicht sagen warum. Aber Zahlen, Mathematik und räumliches Denken waren schon immer meine Stärken.

Fähigkeiten, die Ihnen auch auf dem Platz halfen?
Klar! Antizipation und räumliches Denken sind heute Eigenschaften, die quasi jeder Fußballer mitbringen muss – gerade in den zentralen Positionen.

Haben Sie also am liebsten in der Mitte gespielt?
Ich war gerne als Innenverteidiger, Sechser oder Außenverteidiger unterwegs. Gerade in meiner Anfangszeit kam mir auf dem Flügel meine Schnelligkeit zugute, da habe ich viel nach vorne gemacht. Je älter man aber wird, desto langsamer wird man. Und wenn man die 30 Meter nicht mehr unter vier Sekunden schafft, wird es auf der Außenbahn schwierig. Deswegen habe ich später vor allem zentral gespielt.

Schon nach Ihrem Wechsel von Fürth zu Bielefeld waren Sie häufiger als Innenverteidiger gesetzt – später auch auf Schalke und in Hamburg. Auf welche Station blicken Sie heute besonders gerne zurück?
Auf alle! Jeder Verein hatte seine positiven Seiten. Bei S04 hatte ich aber die größten Erfolge: Wir spielten Champions League, wurden 2010 Vize-Meister und ich wurde Nationalspieler.

Trotzdem verließen Sie Königsblau 2010 in Richtung Hamburg…
Ja, ich hatte es mir anders vorgestellt. Es war der große HSV, ein Mega-Verein, der ein tolles Team hatte. Und zeitweise hat es richtig Spaß in Hamburg gemacht. Aber ansonsten waren es Jahre im freien Fall. Ständig wurden Manager, Präsidenten und Trainer ausgetauscht. Auf dem Platz ging es immer weniger darum, Fußball zu spielen – es war mehr ein Kampf ums Überleben.

0:6, 0:5, 2:9, 0:8: Wie waren all die großen Pleiten gegen die Bayern?
Der pure Wahnsinn. Man versuchte, das zu verhindern, aber es griff kein Rädchen mehr ins andere. Viele von uns hatten gar nicht die Power, um sich dagegen zu stemmen – auch mental nicht. Wir haben unter der Last des großen Vereins keine Leistung mehr gebracht.

Frust beim gebürtigen Alzenauer - und die Bayern durften jubeln.
Frust beim gebürtigen Alzenauer - und die Bayern durften jubeln. – Foto: Getty Images

Warum sind Sie trotzdem ganze fünf Jahre in Hamburg geblieben?
Ich bin ein positiver Mensch und dachte, dass sich das alles zum Guten wendet. So war es leider nicht. 2015 haben wir uns dann an einen Tisch gesetzt: Mir war klar, dass ich den Verein verlassen will und im Ausland neue Erfahrungen sammeln möchte.

Letztlich lief es auf Betis Sevilla hinaus, wo Sie dann in La Liga auf Messi und Ronaldo trafen…
Das war eine Mega-Erfahrung! Ich hätte die Entscheidung vielleicht früher treffen sollen – es hätte sich gelohnt, länger da zu spielen. Es sind nicht nur Messi und Ronaldo: La Liga ist ganz besonders – die Stadien und Teams wie Atletico, Barca oder Real sind außergewöhnlich. Es hat unglaublich Spaß gemacht!

Trotzdem sind Sie nach einer Spielzeit wieder gewechselt. Warum?
Ich hatte noch zwei Jahre Vertrag bei Betis, aber dann wurden innerhalb kürzester Zeit Trainer, Manager und Präsident ausgetauscht. Die Neuen hatten andere Pläne und dann kam das Angebot von Ajax. Ich habe mich mit Peter Bosz zusammengesetzt: Auch wenn ich wusste, dass ich mit damals 32 Jahren bei einem Ausbildungsverein wie Amsterdam eher wenig spielen würde, wollte ich das machen. Angesichts der Stadt und des Vereins hat es sich gelohnt! Viele der damaligen Team-Kollegen sind heute Weltstars und dominieren die Champions League.

Hat es Sie also nicht gestört bei Ajax auf der Bank zu sitzen?
Es war das erste Mal in meiner Karriere so, aber ich wusste es schon vor dem Transfer. In der Verteidigung spielten Sanchez und de Ligt. Der eine ist später für 42 Millionen Euro zu Tottenham gewechselt, der andere für 85 Millionen Euro zu Juve. Das hat also alles so gepasst (lacht).

Voller Einsatz im Nord-Derby
Voller Einsatz im Nord-Derby – Foto: Getty Images

Ajax war aber nicht Ihre letzte Spielerstation…
Zum Karriereausklang wechselte ich 2017 zu Austria Wien. Leider habe ich mich da nach einigen Monaten schwerer verletzt – das war der Schlusspunkt.

Wer auf Ihre Karriere zurückblickt, kommt an Ihrem Spitznamen „HW4“ nicht vorbei. Wie kams dazu?
Das war eine coole Marketinggeschichte, die der HSV ins Leben gerufen hat. Der Hype hält bis heute an, aber das sehe ich entspannt. Nur wenn es ins Lächerliche gezogen wird, haue ich dazwischen. Ein Spieler braucht mir beispielsweise nicht mit „HW4“ kommen. Im Freundeskreis wird der Begriff auch nicht benutzt.

Im zweiten Teil des Interviews wird Heiko Westermann über seine Zeit bei der Nationalmannschaft, den Amateur-Fußball in seiner Heimat sowie seine aktuelle Tätigkeit sprechen.

Aufrufe: 021.5.2021, 07:00 Uhr
Kilian AmrheinAutor