2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines
– Foto: Meiki Graff, Thomas Rinke

Friedberger Kicker geschlossen gegen Problem-Paragrafen

UMFRAGE: +++ Neben Saisonende stehen ab Mai auch viele Verträge auf der Kippe +++ Vereinsvertreter wünschen sich rasche Klärung der beunruhigenden Lage +++ "Solidarität" als fester Kernbegriff +++

Es ist nicht so, als hätte die Welt aktuell nicht schon genügend Sorgen. Klar, im Leben ist Fußball nur eine ganz kleine von aktuell sehr vielen Baustellen. Aber wir sind hier ja ein Fußball-Portal, und deshalb haben wir uns heute einem Thema gewidmet, was einige Friedberger Clubs beunruhigt, ehe es nicht abschließend geklärt worden ist: Paragraf 121 / 2f) der HFV-Spielordnung besagt nämlich, dass Amateur-Fußballer, die 6 Monate nicht zum Pflichtspieleinsatz gekommen sind, ablösefrei wechseln dürfen - und das ohne Rücksprache mit dem abgebenden Verein. Puh. Handy in die Hand genommen - eine ligaübergreifende Umfrage.

Auch wenn einige Clubs das Thema erst einmal noch recht entspannt zurückstellen können, da sie 2020 schon gespielt haben - es gibt Vereine, die theoretisch bereits im Mai ohne Kader da stehen könnten. Eine bewusst überzogene Formulierung, um die praktisch vorhandene Wucht des Paragrafen 121 verständlich zu machen. In der geschilderten Härte wird es sicherlich keinen Club treffen, allein schon aufgrund der emotionalen Verbundenheit der meisten Spieler mit ihren Clubs, aber dennoch bleibt die potenzielle "Ablösefreiheit" aller Spieler ab sechs Monaten erzwungener Pause ein großes Thema für viele Vereine. Deshalb: Keine Panikmache notwendig, ein genaues Nachhorchen schadet allerdings nicht.

Das Team, das es gemäß zuletzt gespielter Begegnungen als Erstes erwischen könnte, ist der A-Ligist SV Hoch-Weisel. Zum letzten Mal trat die Elf von Spieler-Keeper Jan-Eric Dreikausen kurioserweise am 3. November an. Dann folgten Platzsperren, Winterpause, Matschplätze, und nun der Covid-19-Alarm. Am 3. Mai sind die SV-Spieler frei zu haben, vorausgesetzt sie spielen das fragwürdige Spiel mit, wenn Anfragen eintrudeln. "Wir sind ein familiär geführter Verein, ich vertraue den Jungs"; so Dreikausen, "die Spieler, die da sind, sind nicht wegen der großen Kohle hier, sondern weil sie sich hier wohlfühlen." Und doch verursacht "der 121er" ihm Bauchschmerzen: "Für junge Spieler, die einfach noch nicht genau wissen, wo sie ihr Ei hinlegen wollen, kann das schon eine kritische Verlockung sein. Sag niemals nie, du kannst ja nicht jedem in den Kopf schauen", so der Coach, der sich direkt ganz klar in Richtung eventuell abwerbende Vereine positioniert: "Ganz ehrlich, das fände ich unheimlich charakterschwach, um nicht zu sagen charakterlos. Egal ob bei uns oder anderswo. Es wäre enfach fies, gerade in dieser Situation eine Art Formfehler derart auszunutzen, übrigens auch von betreffenden Spielern. Ich wüsste nicht, wie ich hinterher mit solchen Beteiligten umgehen könnte". In einem eng verbundenen, ländlichen Gebiet wie dem Friedberger Kreis für Dreikausen zusammenfassend ein "absolutes No-Go". Nachvollziehbarerweise hofft er stark auf eine Aussetzung des Paragrafen bis zum SV-Stichtag.

Trainer Alexander Jörg vom 1. FC Rendel, der wie weitere sieben A--Ligisten betroffen wäre, bewertet es aus ethischer Sicht genauso wie sein Trainer- und Ligakollege: "Für uns ist ganz klar: Wir wollen von so etwas nicht profitieren. Gäbe es Wechsel, würden wir dennoch eine Ablöse zahlen, so weit will ich mich da mal aus dem Fenster lehnen. Denn es ist einfach eine Sache der Fairness." Ängste, wichtige Spieler aus diesem Grund zu verlieren, hat er aber nicht: "Das ist für mich erstmal kein Thema. Trotzdem wäre es schön, wenn es den Verbänden bald gelingt, die nachvollziehbaren Unsicherheiten zu nehmen."

Auch Stefan Raab vom SKV Beienheim macht sich dieser Tage so seine Gedanken. Während die Gruppenliga-Erste im März noch gespielt hat und somit bis September keine Gefahr droht, wäre die SKV-Reserve, die im nächsten Jahr von Maximilian Mück vom TSV Dorn-Assenheim trainiert wird, Ende Mai dem Ausverkauf ausgeliefert. "Gott sei Dank ist noch kein Spieler auf uns zugekommen.Das wäre fatal und ich kann nur an die Solidarität innerhalb des Kaders und vor allem des Kreises appellieren", so der Abteilungsleiter. Ich erwarte, dass die Verantwortllichen das aussetzen oder am besten die Wechselfrist auf zehn Monate verlängern. Ansonsten verschwinden im Worst Case sogar Vereine von der Landkarte, während sich die Reichen qualitativ weiter bereichern." Für ihn kommt ein Ausnutzen der Situation definitiv nicht in Frage: "Wir könnten partizipieren, ja, wir wollen aber nicht. Das wäre schäbig. Die Kleinen müssen von den Verbänden beschützt werden".

An dieser Stelle der notwendige Schwenk zu Kreisfußballwart Thorsten Bastian, um ein Bild zu gewinnen, wer hier überhaupt was genau leisten kann, um den Paragrafen auszubremsen. "Wir haben beim HFV den Sachverhalt früh nach oben weitergegeben, das liegt jetzt tatsächlich bei der FIFA. Leider müssen wir uns noch in Geduld üben. Ich hoffe genauso wie die Vereine, dass bald Sicherheit in Sachen Verträge da ist und bin natürlich auch schon oft drauf angesprochen worden. Ich freue mich, dass die Solidarität unter den Clubs groß ist. Ich wünsche mir ebenfalls eine rasche Klärung, kann aber gerade in der aktuellen Zeit nichts Genaues garantieren", bedauert Bastian.

Auf weitere Wartezeit würde u..a. auch Gennaro Grazioso, Coach beim B-LIgisten SV Assenheim, gerne verzichten. Auch sein Team hat als einer von elf B-Ligisten 2020 noch kein Spiel gemacht. Sein junges Team hat er bislang bewusst nicht über den Sachverhalt gebrieft und fürchtet um die Früchte der intensiven Jugendarbeit beim SVA. "Wir sind von der G- bis zur A-Jugend für unsere Spieler da. Der Gedanke, dass vielleicht einer geht, weil er woanders 10 Euro mehr kriegt oder ein schönes Paket Handgeld - das dann dennoch niedriger ist als die erforderliche Ablöse - , ist ganz bitter. Besonders, falls das ein Verein wäre, der selbst keine Jugend hat. Es ist normal, dass nicht alle für immer bleiben. Aber so wäre es wirklich sehr sehr hart für uns. Ich hoffe inständig, dass eine sinnvolle Regelung kommt, und das am besten nicht erst Ende Mai", schließt Grazioso, der nun darauf setzt, die Abwerbe-Ablehnung im Kreis gemeinschaftlich auf den Tisch zu packen: "Ich kann das leider sowieso nicht für immer von den Jungs verstecken", scherzt er, nachdem er den ersten Stress abgelegt hat.

Es gibt allerdings auch generell entspanntere Stimmen. Nicht minder solidarisch, aber relaxter. Weil der Kader älter ist oder alle Gespräche schon gelaufen sind. Oder weitere Themen ebenfalls brennen wie bei KOL-Tabellenführer SV Steinfurth, der um den verdienten Aufstieg zittert. "Joa, wie das ausgeht, ist natürlich die große Frage bei uns, die uns sehr bewegt. Ansonsten steht der Kader für die nächste Saison weitgehend, da machen wir uns keine großen Sorgen. Wir werden auch niemanden aufgrund dieser Ausnahme-Klausel ansprechen, das ist nicht unser Stil", betont Abteilungsleiter Torben Müller. Und stößt damit ins gleiche Horn wie Nieder-Weisels Sportlicher Leiter Sebastian Volp: "Bei uns wird das kein Transferbeben geben", lacht er, "auch hier sind die meisten Gespräche schon durch, zudem sind wir traditionell kein Club, der mit viel mehr als guter Atmosphäre und Organisation locken kann, und das geht ja immer", so Volp, der dankbar ist, dass "der HFV schon eine Weile am Thema dran ist und sich weitere Problemfelder sicherlich ersparen will. Da wird sicher bald ein Riegel vorgeschoben."

Ligarivale TSV Dorn-Assenheim, wie alle genannten Teams ebenfalls noch ohne Partie in 2020, sieht sich aufgrund klarer Zusagen auch nicht akut bedoht. Abteilungsleiter Benjamin Krätschmerist derselben Meinung wie die Konkurrenz und geht sogar noch einen Schritt weiter. "Wenn fiktiverweise jetzt unser Trainer käme und die Idee hätte, irgendwo die Lage auszunutzen, würde ich das nicht erlauben. Da muss das Fairplay im Vordergrund stehen. Vornehm ausgedrückt ist ein Spieler-Abwerben unter Ausnutzung des Paragraphen nicht die feine englische Art."

Zumindest einen Tick unruhiger ist Florian Fünffinger von der FSG Burg-Gräfenrode. "Auch wenn 90 Prozent der Jungs gesagt haben, dass sie bleiben, du kannst es einfach nie sicher ausschließen, bis das Thema nicht beseitigt ist", so der 1. Vorsitzende, "denn das sind ja letztlich nur Agreements, und wer weiß, mit was für Dollarscheinen da eventuell Vereine ankommen". Das dürfe man trotz großem Vertrauen in den eigenen Kader nicht vergessen, zumal die nicht notwendige Absprache mit dem abgebenden Verein es "sehr sehr einfach für potenzielle Abgänge macht, doch noch kurzfristig durch die Hintertür zu verschwinden." Und dann sagt Fünffinger etwas, was so ähnlich alle Befragten gesagt haben: "Wir müssen uns gerade in diesen Zeiten das Wort Solidariät fett auf die Fahnen schreiben". Er wäre trotz positiver Grundstimmung jedenfalls "geschockt", wenn Ende Mai eine Abmeldung reinflattern würde: "Aber dann würde ich wohl auch auf den aufnehmenden Verein zugehen. Denn sowas macht man einfach nicht".

Und das ist bei allem drohendem Vertragschaos doch die wirklich gute Quintessenz aus der heutigen Umfrage: Alle Vereine lehnen ein Abwerben ab, alle wollen den Paragrafen aussetzen oder anderweitig entkräften." Und auch Grazioso hegt nach dem Schildern anderer Rückmeldungen wieder größere Hoffnung. "Wer abwirbt, hat kurzfristig den Vorteil, aber mittelfristig den Image-Schaden. Schön, dass wir als Kreis so zusammenhalten! Das muss auch so bleiben!"

Aufrufe: 02.4.2020, 15:06 Uhr
Dennis BellofAutor