2024-05-10T08:19:16.237Z

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Mehmet Scholl mit seinem Sohn Lucas am 15. August 2007 in der Allianz Arena. 
Mehmet Scholl mit seinem Sohn Lucas am 15. August 2007 in der Allianz Arena.  – Foto: MIS / M.i.S./Renate Reimann

FC Bayern: Der Fall Scholl Junior und was man daraus lernen kann

Mehmets Abrechnung mit Lucas

In seiner Kolumne „Zwischentöne“ greift Reinhard Hübner die Kritik von Mehmet Scholl an Sohn Lucas auf. Auch fast perfekte Voraussetzungen sind keine Garantie.

München - Mal ehrlich, wir Fußballväter haben doch eigentlich immer nur eines im Sinn: Wir wollen das Beste für unser Kind. Und vor allem für uns selbst. Der Kleine soll das schaffen, was wir selbst nie geschafft, uns aber so sehr erträumt haben. Wir hatten ja eigentlich auch alles, Wahnsinnstalent, großen Ehrgeiz und riesigen Fleiß. Nur fehlte Unterstützung, weil unsere Eltern anderes vorhatten mit uns. Wir sollten in erster Linie gute Schüler sein, einen anständigen Beruf erlernen und nicht unsere Zeit damit vergeuden, neben 21 anderen Buben einem Ball hinterherzurennen.

Lucas Scholl: 2. Liga in Österreich statt FC Bayern München

So erstrebenswert war es damals noch nicht, Profi zu werden. Die Bezahlung war zwar nicht schlecht, aber halt bei Weitem nicht das, was man heute so kriegt, wo schon ein stagnierendes Talent bei den Bayern-Amateuren fünf Millionen kassiert. Das zumindest hätte der
Lucas auch schaffen können, der aber kickt heute in Österreichs zweiter Liga, ziemlich weit unten, und bekommt nun von seinem Vater vorgehalten: Du bist ein verhinderter Multimillionär. Und das ist „sch . . . “

Denn eigentlich hatte der Junge alles: Mehr Talent geht kaum, ein feines Füßchen, Spielintelligenz, dazu eine Ausbildung in einem angesehenen Leistungszentrum. Und einen Vater, der ihn bedingungslos unterstützte, ihn beim FC Bayern selbst trainierte, als er zwölf, dreizehn war, der bestens vernetzt ist in der Szene. Und nicht nur das unterscheidet ihn von uns gewöhnlichen Fußballvätern. Er musste nicht darauf setzen, dass der Filius das erreicht, was er nicht geschafft hat. Mehr als Mehmet Scholl hätte Lucas Scholl kaum gewinnen können im Fußball, der Vater war ein Star, hat im europäischen Fußball fast alles abgeräumt, was es zu gewinnen gab.

Mehmet Scholls Sohn Lucas hat alles gewusst und trotzdem einen anderen Weg gesucht

Trotzdem, ein bisschen mehr hätte es schon sein sollen, bei Lucas. Findet Scholl senior. Und geht nun ungewöhnlich hart ins Gericht mit ihm, spricht über verschenkte Jahre und vergeudetes Talent. Irgendwann habe Lucas aufgehört, es unbedingt schaffen zu wollen, sich zu quälen, er habe es zu seinen Bedingungen versucht, nicht zu den Bedingungen, die es braucht, um ganz oben anzukommen. Er habe das alles gewusst und trotzdem einen anderen Weg gesucht. Und da, sagt Mehmet Scholl, bin ich dann irgendwann ausgestiegen.

Reinhard Hübner ist Kolumnist beim Münchner Merkur
Reinhard Hübner ist Kolumnist beim Münchner Merkur

Als Lucas 13 war, hat der Papa auf die Frage geantwortet, ob er Lucas mal in der Bundesliga sehe: Wenn nicht, haben wir etwas falsch gemacht. Der Verein? Der Vater? Der Sohn? Ein Faktor, weiß Scholl senior heute, hat wohl gefehlt, ein entscheidender Faktor: Die Mentalität. Wie reagiert ein Spieler, wenn’s eng wird? Legt er eine Schippe drauf oder bricht er weg? Da sieht der Vater den Sohn nur bei 30 Prozent.

Lucas Scholl: Fast perfekte Voraussetzungen keine Garantie für erfolgreiche Profi-Karriere

Kennen wir das nicht auch, wir gewöhnlichen Fußballväter? Nun, so knallhart hätten wir wohl nie geurteilt über unsere Jungs. Aber wollten sie wirklich das, was wir wollten? Haben sie immer alles für ihr (oder unser?) großes Ziel gegeben? Wir hatten, im Gegensatz zu Scholl, wenigstens den Vorteil, dass der Sohn nicht einen großen Namen als Bürde mit sich schleppen musste, nicht ständig am berühmten Vater gemessen wurde. Gefehlt aber hat wohl auch ihm dieser unbedingte Wille, es schaffen zu wollen. Zu Bedingungen, die es braucht.

Am Beispiel Scholl können wir nun erkennen, auch fast perfekte Voraussetzungen reichen nicht, wenn das Wichtigste fehlt: Glaube, Besessenheit, Mentalität. Darauf muss bei der Talentförderung viel mehr Wert gelegt werden. Sonst ist alles nichts.

Oder sollte es so sein, dass unsere Buben ganz einfach andere Ziele für ihr Leben hatten als wir, die (über-)ehrgeizigen, vom großen Reibach träumenden Fußballväter?

(Reinhard Hübner)

Aufrufe: 029.3.2021, 12:41 Uhr
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