2024-06-17T07:46:28.129Z

FuPa Portrait

Einen Tag ohne Schmerzen kennt sie nicht!

Seit ihrem 17. Lebensjahr leidet Anna Meierebert unter dem Schmerzverstärkungssydrom. Für sie ist jeder Tag, jede Woche und jedes Jahr eine neue Herausforderung. Jedes Fußballspiel hingegen ist für die Krankheit wie ein Arschtritt!

Der letzte Schmerzschub war der Schlimmste. Tage zuvor spürte Anna etwas. Diese Anspannung. Der innere Druck. Sie weiß zwar, es ist eine mentale Sache, doch manchmal werden die Schmerzen einfach zu schlimm. Und sie will spielen. Unbedingt. Immer wieder sagt Anna Meierebert zu sich selbst: „Die Krankheit soll nicht mein Leben bestimmen." Sie schwor es sich ein wie ein Mantra. Wieder und wieder. Doch letztendlich half es nicht. Der Schub kam - und wie.

Vor dem Frauenkreisliga-Derby, SV Häger gegen TSV Amshausen, provozierte der TSV: „Wir hauen einfach eure Nummer 7 (Annas Nummer) um und dann läuft das schon.“ Eine Floskel, die im Fußball gerne gesagt wird und weniger ernst genommen werden sollte, doch für Hägers Spielerin Anna sind solche Aussagen schwierig. Anna Meierebert leidet unter dem Schmerzverstärkungssyndrom, dabei gibt es meist einen psychosomatischen Auslöser, der für einen Schmerzschub verantwortlich ist.

Am dritten Spieltag der Frauen Kreisliga A Bielefeld in der Saison 2019/20 war es soweit. Das Spiel gegen Amshausen stand an. Es ging direkt wie angekündigt los. Anna wurde des Öfteren gefoult. Dann geschah es. Plötzlich durchzuckte ihren ganzen Körper ein stechender Schmerz, der von ihren Knien ausging. Sie war kurzzeitig wie gelähmt, dann schrie sie den Schmerz nur noch heraus. Ihr Trainer und Vater Stefan Meierebert lief zu ihr, ihre Mitspielerinnen auch. Sie warteten ab, standen ihr bei und versuchten Anna zu trösten. Wenige Sekunden später verlor sie neben dem Platz das Bewusstsein. Dass ein Krankenwagen in diesem Moment völlig überflüssig war, wussten alle. Rein körperlich ist die nun 21-jährige Anna Meierebert gesund. Ihre Nerven sind es allerdings nicht.



Anna leidet seit ihrem 17. Lebensjahr am Schmerzverstärkungssyndrom. Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde eines Tages signalisiert ihr Körper ihr Schmerzen. Einen Tag ohne Schmerzen kennt sie nicht. Aus medizinischer Sicht gibt es keine Erklärung dafür. Nur ihre Nerven wissen das nicht. Sie senden dauerhaft einen Schmerzimpuls an ihr Gehirn. In manchen Krankheitsbildern des Schmerzverstärkungssyndrom gibt es eine bestimmte Stelle von der der Schmerz ausstrahlt. Bei Anna sind es beide Knie.

„Vor drei Jahren hätte ich nach solch einem Schub, wie im Spiel zwei bis drei Wochen im Bett gelegen, geweint vor Schmerzen und teilweise keine Luft mehr bekommen, weil ich mich nicht auf meine Atmung konzentrieren konnte. An Bewegung ist dann nicht zu denken. Momentan ist es weniger schlimm und es dauert 'nur' zwei bis drei Tage“, erzählt Anna.

„Jedes Spiel ist es wie ein Arschtritt für die Krankheit“


Nach dem Schub im Spiel gegen TSV Amshausen war die Partie für die Stürmerin erstmal beendet. Es ging nichts mehr. Die Schmerzen waren zu stark. Doch am Platz ist sie immer in guten Händen. Ihr Vater ist dort und motiviert sie, ihre Mannschaft ebenfalls. Liegt Anna am Boden vor Schmerzen, kommen ihre Teamkolleginnen zu ihr und fragen, ob es geht und ob sie etwas braucht. Sie werden es auch nie leid zu fragen. „Manchmal weiß ich gar nicht, wie ich auf dem Sportplatz rüber komme oder wirke. Ich war früher nie so. Wenn ich nun etwas gegen ein Knie bekomme, was eigentlich gar nicht so schlimm ist, aber trotzdem weh tut, dann muss ich kurz durchatmen oder im schlimmsten Fall vom Platz.“

Immer wieder differenziert sie in ihrem Kopf den Schmerz. „Bin ich wirklich verletzt oder ist es nur die Krankheit?“ Mittlerweile kann sie es gut unterscheiden, obwohl sie jedes Foul mindestens doppelt so stark spürt wie alle anderen. „Ich weiß ja, dass im Prinzip nichts kaputt gehen kann. Natürlich ist es schmerzhaft und manchmal muss ich noch mehr auf die Zähne beißen. Schließlich ist es jedes Mal ein Arschtritt für die Krankheit, wenn ich auf dem Platz stehe“, so Anna kämpferisch. Diese positive Lebenseinstellung lernte sie erst in mehreren stationären Aufenthalten in einer Spezialklinik.

Ihr allererster Schmerzschub


Ihre Leidenszeit begann, als nicht nur ihr großer Traum zum Greifen nah war, sondern sie ihn fast schon erreicht hatte. Gegen die Reservemannschaft von Turbine Potsdam am 28. August 2016 sollte Annas sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen: Ihr Debüt in der 2. Frauen-Bundesliga. Mit drei Jahren schnürte sie das erste Mal ihre Fußballschuhe und 14 Jahre später kickte sie beim Herforder SV Borussia Friedenstal. In der 62. Minute wurde sie eingewechselt und spielte bis zum Ende durch. Die Partie endete mit einem 2:2.

Doch an dieses Spiel erinnert sie sich kaum noch. Im Training danach geschah es. Ihr erster Schub! Sie brach zusammen vor Schmerzen. „Sie waren plötzlich da, ich wusste überhaupt nicht, was los war. Plötzlich taten beide Knie so unglaublich weh, ich schrie nur noch. Mein Vater holte mich später ab. Und ich weinte die ganze Rückfahrt vor Schmerzen." Der Anfang einer langen Leidenszeit und das Ende eines Traums.

– Foto: Anna Meierebert


Dabei war sie mit ihren Schmerzen nicht allein, denn ihre Zwillingsschwester Gina Meierebert leidet unter der gleichen tückischen Krankheit. Beide haben nur unterschiedliche Krankheitsbilder. Bei Gina sind es Gliederschmerzen und Magenschmerzen. Anna und Gina spielten immer zusammen Fußball.

Jahrelang beim Herforder SV, dann gemeinsam beim FSV Gütersloh und dann ging es wieder zurück zum Heimatverein. Es gab beide immer nur im Doppelpack. Gina zog einige Wochen, bevor Anna es tat, die Reißleine und hängte die Fußballschuhe an den Nagel. Sie schaffte nie ihr Debüt.

– Foto: Anna Meierebert


Zurück zu Anna und ihren Schmerzen: Es dauerte sechs qualvolle Monate der Unsicherheit und Angst, bis sie wusste, was wirklich los war. Anna bekam ihre Diagnose im Gespräch mit den Ärzten der Klinik für Rheumatologie des St. Josef-Stift Sendenhorst. Sie wussten, was sie hat und dass ihre Zwillingsschwester an der gleichen Krankheit leidet. Es folgten drei Klinik-Aufenthalte über mehrere Wochen. Psychotherapie, Bewegungstherapie - beide lernten dort ein Leben mit der Krankheit. Man erklärte ihnen, wie sie sich Teile ihres bisherigen Lebens wieder zurückholen konnten.

„Am Anfang hatte ich Angst, dass ich nie wieder spielen könnte. Dann gab es im Heilungsprozess immer wieder kleine Fortschritte. Jeder, der mich kennt, weiß, dass Fußball einfach zu meinem Leben gehört. Erst war ich Trainerin einer D-Jugend-Mannschaft, habe mich langsam herangetastet an den Fußball und habe mir immer mehr zugetraut. Kein Druck, kein Zwang. Es soll einfach nur noch Spaß machen“, so die Spielerin.

Auch ihre Schwester Gina ist wieder aktiv - beim FSV Gütersloh II in der Westfalenliga. Anna kann sich jedoch nicht vorstellen, noch einmal höherklassig zu spielen. „Mein Körper signalisierte mir, dass er für so eine Belastung nicht gemacht ist. Ich habe unfassbares Glück gehabt, an so eine Mannschaft zu kommen. Mit dieser Truppe würde ich überall hingehen“, sagt die 21-Jährige über ihre ambitionierte Kreisliga-Mannschaft. Sie fühlt sich beim SV Häger bestens aufgehoben, besonders wenn der nächste Schub kommt.

Aufrufe: 016.12.2020, 08:00 Uhr
Teresa KrögerAutor