2024-05-10T08:19:16.237Z

Ligabericht
Mars Lais köpft trotz schlechter Sicht zielgenau zum 1:0 für den Jahn ein. Foto: Nickl
Mars Lais köpft trotz schlechter Sicht zielgenau zum 1:0 für den Jahn ein. Foto: Nickl

Ein packendes Duell auf Augenhöhe

Die Spieler des SSV Jahn gehen gegen den TSV 1860 ans Limit und lassen den Favoriten lange ziemlich alt aussehen.

Vielleicht hat sich Marc Lais gedacht: So, jetzt komm ich, sieht mich ja eh keiner! Nachdem Fans des TSV 1860 München Feuerwerkskörper gezündet hatten, zogen dichte Rauchschwaden durch den Strafraum der Löwen. Und weil sich in diesem Dunst noch die Abendsonne brach, war von außen nur schemenhaft zu erkennen, wie sich ein junger Mann bei einem Eckball des SSV Jahn Regensburg in die Luft schraubte und das Spielgerät erbarmungslos ins Tor der Löwen köpfte. Ob ihn nun jemand gesehen hat oder nicht, war Lais hinterher aber ziemlich egal. Wichtig sei nur gewesen, ein Tor zu schießen, denn das sei ein wundervolles Gefühl, sagte er. Dann noch in der Relegation, „da gibt es eigentlich nichts Schöneres“.

Marc Lais, dieser 26-jährige Mittelfeldspieler, trägt seit zwei Jahren das Trikot des SSV Jahn. Er hat schon viele gute Spiele für die Regensburger gemacht. So gut wie am Freitagabend im Hinspiel der Relegation um einen Startplatz in der 2. Liga gegen den TSV 1860 München war er aber nur selten. Und wenn man Leistungen auch anhand der Bedeutung der Partie einstuft, dann war es seine bislang beste.

Lais war überall. Bereits in der zweiten Minute übernahm er mit seinem Kopfball das Toreschießen. Danach klaute er den Münchnern im Mittelfeld einen Ball nach dem anderen, half immer wieder hinten in der Abwehr aus und schaltete sich immer auch in die Angriffe mit ein. Lais ging ans Limit – und darüber hinaus. Er lief so viel, dass er sich in der Pause in der Kabine zweimal übergeben musste, wie sein Trainer Heiko Herrlich später berichtete. Lais machte dennoch weiter und hielt bis eine Viertelstunde vor Abpfiff durch. Als er nicht mehr auf dem Platz stand, fing sich der Jahn den Ausgleich ein.


Hesse haut „einfach alles raus“

Im dem Freitagabend von Marc Lais steckte viel drin. Letztlich war seine Geschichte aber nur eine von vielen, die dieses wunderbare Fußballspiel schrieb. Etwa die von Uwe Hesse. Der war in den vergangenen Monaten beim SSV Jahn fast in Vergessenheit geraten. Meist war er zweite Wahl hinter Jann George. Dieser musste nun verletzt passen. Hesse rückte in die Startelf – und machte ein Riesenspiel. „Ich habe meine Chance bekommen und einfach alles rausgehauen“, sagte er später. Als er in der 74. Minute ausgewechselt wurde, feierten ihn die Fans mit „Uwe, Uwe“-Rufen.

Andy Geipl bekam dagegen Trost gespendet. Die Löwen hatten in der 78.Minute durch ein Tor von Florian Neuhaus ausgeglichen. Sechs Minuten später gab es für den Jahn aber die Riesenchance aufs Siegtor: Elfmeter. Dass Geipl schießen würde, war klar. Er war vor einem Jahr in der Relegation und auch im letzten Saisonspiel in der Liga in wichtigen Situationen angetreten und hatte beide Male getroffen. Dieses Mal verschoss er – und haderte mit sich selbst: „Den muss ich einfach machen. Dann gewinnen wir.“

Dass er dieses Mal einfach nur Pech in der Elfmeterlotterie gehabt habe, fand Geipl nicht. Er habe den Ball anders schießen wollen: „Der war weder ins Eck noch war er mittig, der war einfach schwach, das muss man einfach so sagen.“ Bei aller Selbstkritik will sich Geipl aber auch in Zukunft nicht davonstehlen, wenn jemand gebraucht wird, der sich traut, wenn es drauf ankommt. Ob er beim Rückspiel am Dienstag in München wieder antreten würde, wenn es einen Elfmeter gibt, wurde er gefragt – und sagte: Ja! Überhaupt schalteten die Regensburger trotz des Rückschlags, den der späte Gegentreffer bedeutet hatte, sofort wieder in den verbalen Angriffsmodus. „Wir gehen in jedes Spiel so, dass wir sagen: Wir wollen gewinnen. Warum sollten wir da in München nicht gewinnen?“, meinte Erik Thommy. Er fand auch, dass man, obwohl auf dem Papier ein Zweit- gegen einen Drittligisten angetreten war, keinen Klassenunterschied gesehen habe.

Das war eine Einschätzung, die wohl auch die meisten, wenn nicht alle der 15 224 Zuschauer teilten. Die Frage, ob das daran lag, dass der Jahn so gut oder der TSV 1860 so schlecht war, wurde hitzig diskutiert. Mancher unterstellte den Münchner Spielern sogar, nicht wirklich alles gegeben zu haben. Ein Vorwurf, der mit großer Wahrscheinlichkeit an der Wahrheit vorbei geht. Auch die Löwen liefen, kämpften und schwitzten. Sie stritten sich mit Gegenspielern und dem Schiedsrichter und schlichen nach der Partie ausgepumpt in die Kabinen.

„Wir wolln Euch kämpfen sehen“

Die Sechziger schaffen es aber einfach nicht, ihre Fans davon zu überzeugen, dass sie wirklich mit vollem Herzen dabei sein. Wenn die Anhänger nach einer Viertelstunde „Wir wollen Euch kämpfen sehen“ – in einem Relegationsspiel (!) – dann läuft etwas schief. Zumal der Tonfall der Gesänge nicht einmal höhnisch wirkte, sondern mehr wie ein flehender Appell.

Bis Dienstag bleibt Ostbayern ein geteiltes Fußball-Land. Die vielen Löwen-Fans, die es hier gibt, werden beten, dass es auch im Rückspiel irgendwie gut ausgeht. Die Jahn-Fans werden darauf hoffen, dass ihre Mannschaft einfach so weiter macht wie zuletzt – dann könnte es mit dem Aufstieg klappen. Fast wie eine Drohung für alle, die es mit dem TSV 1860 halten, ist Marc Lais’ Ausblick auf die Zeit bis zum Rückspiel: „Jetzt heißt es regenerieren, Kraft tanken und dann nach München fahren“ – und ja, dann einfach mal wieder „alles raushauen“.

Aufrufe: 029.5.2017, 10:00 Uhr
Jürgen Scharf und Thomas Gottschling, MZAutor