2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview
"Klein, aber für unsere Trainingsgruppe ausreichend": Die beiden Brüder Justus (links) und Kilian Schulze vor dem Trainingsplatz in Spandau. Fotos: Schulze
"Klein, aber für unsere Trainingsgruppe ausreichend": Die beiden Brüder Justus (links) und Kilian Schulze vor dem Trainingsplatz in Spandau. Fotos: Schulze

"Die Kinder kamen in Jeans, Winterjacke und Badelatschen"

Auf dem Platz sind die Brüder Rivalen, beim gemeinsamen Training mit Flüchtlingen ziehen Justus und Kilian Schulze an einem Strang - ein Interview.

In der Kreisliga Süd in Ostbrandenburg stehen sich Justus und Kilian Schulze regelmäßig in brisanten Derbys gegenüber. Als Brüder und Trainer für geflüchtete Kinder in Berlin-Spandau halten sie zusammen, wo es nur geht. Wir haben uns mit ihnen über ihr Engagement in der Gemeinschaftsunterkunft Oberhafen unterhalten.

Ihr seid in Oberhafen als ehrenamtliche Fußballtrainer tätig und betreut viele Kinder, die in jungen Jahren schon harte Zeiten durchleben mussten. Was ist Euer Antrieb?

Kilian: Fußball stand für uns schon von klein auf an im Mittelpunkt. Justus und ich haben beim Neuzeller SV gemeinsam Jahre lang Kinder trainiert. Im Jahr 2016 legten wir unser Traineramt nieder, da ich zu dieser Zeit umzog und Justus arbeitstechnisch ziemlich eingespannt war. Die Trainerjahre waren für uns sehr lehrreich. Mitte letzten Jahres suchte ich eine neue Aufgabe. Am besten ein Ehrenamt, das ich parallel neben meiner Arbeit im Schichtdienst realisieren könnte. So kam meine Verlobte auf die Idee, dass ich mich in einem Flüchtlingsheim engagieren und mein Wissen an die Kids weitergeben könnte. Über eine Studienfreundin kam das dann zustande.

Justus: Eines Tages fragte mein Bruder mich, ob ich ihn bei einem Testspiel der Kinder unterstützen könnte. Natürlich war das für mich selbstverständlich und ich begleitete ihn an diesem Tag, da wir im ständigen Kontakt zueinander stehen. Wir tauschten uns bereits vorher über die Arbeit aus und bei besagtem Testkick war ich begeistert und stieg ab sofort mit ein. Als Antrieb sehe ich die gemeinsame Arbeit mit Kindern und den Fußball. Wir beide lieben diesen Sport und freuen uns wenn wir Kinder da mitreißen können.

Kilian: Eine große Motivation ist, dass die Kinder wenige Beschäftigungsmöglichkeiten haben und wir ihnen wöchentlich ein festes Angebot geben können. Außerdem natürlich der gemeinsame Sport mit meinem Bruder.

Wie klappt die Verständigung mit den Spielern aus verschiedensten Nationalitäten, die Ihr unter einen Hut bekommen müsst?

Kilian: Wir reden Deutsch miteinander, da fast alle Kinder sehr gut deutsch sprechen und verstehen. Für die, die nicht so gut deutsch sprechen, nehmen wir uns natürlich mehr Zeit.

Justus: Untereinander sprechen die Kinder Arabisch, Türkisch oder Farsi.

Kilian: Der Ton ist manchmal auch sehr rau, da unsere Spieler schon in jungen Jahren schreckliche Erfahrungen machen mussten und das gelegentlich hochkocht.

Wie darf man sich eine Trainingsplanung im Hause Schulze vorstellen? Unterscheidet Ihr zwischen den Altersklassen oder trainieren alle zusammen in einer großen Gemeinschaft?

Justus: Wir betreuen Jungs und Mädchen von 8-14 Jahren, die gemeinsam trainieren. Anders als im Verein spielen Taktik und Spielgestaltung keine Rolle, da wir sie nicht auf ein Spiel am Wochenende vorbereiten, es geht mehr um Spaß und das gemeinsame Trainieren.

Kilian: Wir bieten einmal die Woche ein Training für zwei Stunden an. Je nachdem, wie wir das mit unserem Schichtdienst und Privatleben vereinbart bekommen. Das Training planen wir übers Telefon oder per WhatsApp. Mittlerweile versuchen wir dem Ganzen von Woche zu Woche mehr Struktur zu geben. In den ersten sechs Monaten musste sich die Gruppe überhaupt erst einmal finden und stabilisieren.

Justus: Begonnen wird übrigens mit einer Erwärmung wie in einem üblichen Training, anschließend gibt es kleine Passübungen oder Torschusstraining, danach folgt ein Spiel. Natürlich wollen alle hauptsächlich spielen. Aber wir versuchen die Anforderungen zu steigern und zu intensivieren.

Kilian: Die Kinder sind sehr wild und brauchen den Fußball als Ventil, um ihre Energie loszuwerden. Man kann es nicht mit einem Training in einem Sportverein vergleichen.

Konntet Ihr schon Talente entdecken, die gute Chancen hätten, auch höherklassig anzugreifen oder in Vereinen zu spielen?

Kilian: Wir haben sogar schon welche, die schon in Vereinen mitspielen. Mal sehen, wie sich das entwickelt.

Justus, Du spielst beim SV Wellmitz und Du Kilian beim Neuzeller SV. Zwei Kreisliga-Erzrivalen vom alten Schlag. Beide Mannschaften haben Euch mit Trikotspenden bei diesem Projekt unterstützt. Sicher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber wie sind die Spenden bei den Kids angekommen?

Kilian: Wir sind gerade dabei, alles zu verteilen und nach und nach abzugeben. Die Kinder kamen in der ersten Zeit teilweise in Jeans, Winterjacke und Badelatschen, da sie keine Sportschuhe haben oder nur ein Paar feste Schuhe.

Justus: Wir könnten natürlich immer noch mehr gebrauchen. Zum Beispiel fehlen uns auch noch Bälle.

Spenden aus Wellmitz: Fußballvorstand Christian Schmidt (links) bei der obligatorischen Jersey-Übergabe mit Justus Schulze. Insgesamt wurden zwei Trikotsätze für die geflüchteten Kinder vom Oberhafen gespendet.

Wie sehen generell die Bedingungen zum Trainieren aus?

Justus: Anfangs war es sehr schwer. Wir spielten im Winter auf einem Betonboden, in einem klassischen Berliner Käfig oder auf einem benachbarten Hockeyplatz. Mittlerweile haben wir einen eigenen kleinen Platz. Das ist ein Hartplatz mit festen Toren und Fangnetzen auf der Anlage. Er ist etwa 35 mal 15 Meter groß. Das klingt etwas klein, ist aber für unsere Trainingsgruppe ausreichend. Wir müssen oft improvisieren, nicht selten auch aufgrund der Motivation und Konzentration der Kinder.

Der Fußball spielt sicherlich beim Training häufig nur eine untergeordnete Rolle, oder? Wir sehr seid Ihr vor allem als Pädagogen gefordert?

Kilian: Gelegentlich kommt es auch zu Gewalt, wo wir oder die Security eingreifen müssen. Gerade da ist es unser Anliegen, den Umgang und den Respekt im Miteinander zu fördern und dadurch die Gruppenfähigkeit zu stärken. Dabei muss man aber bedenken, dass wir in zwei Stunden nur einen geringen Anteil daran haben. Jedoch hoffen wir, dass dieser kleine Teil verbunden mit dem Spaß und der Freude am Sport etwas in den Kindern bewegt und sie sich etwas für ihr Leben aneignen können.

Justus: In Rücksprache mit den Mitarbeitern des SIN e.V., die die Gemeinschaftsunterkunft betreiben, haben wir verschiedene Strategien entwickelt, um der Gewalt bei den Kindern untereinander entgegenzuwirken. Aktuell steht ein Mitarbeiter uns beim Training zusätzlich zur Seite, um in schwierigen Situationen zu helfen. Allerdings freuen sich die Kinder immer auf uns. Das ist unser positives Feedback. Und gibt es einen Streit, so sind wir immer bereit, den Streitenden entgegenzukommen und ihnen eine neue Chance zu geben. Mit der Voraussetzung, dass man sich nach jedem Konflikt zunächst wieder verträgt.

In Berlin und Brandenburg gibt es zahlreiche Vereine, die Flüchtlingen die Möglichkeit bieten, im regulären Spielbetrieb teilzunehmen. Wird hier in Euren Augen noch zu wenig Integration betrieben?

Kilian: Es ist ein harter steiniger Weg, den die Kinder gehen. Vielleicht schaffen wir es, ihnen beim Fußball etwas zu vermitteln, das sie im Alltag gebrauchen können. Es wäre toll, wenn Vereine aus der unmittelbaren Umgebung in die jeweiligen Unterkünfte gingen, um sich ein eigenes Bild von den fußballerischen Fertigkeiten der Kinder zu machen.

Spielerprofil: Kilian Schulze

Spielerprofil: Justus Schulze

Aufrufe: 021.3.2018, 10:26 Uhr
Marc SchützAutor