2024-06-04T08:56:08.599Z

Interview
Heiko Westermann heute: Der 37-Jährige ist Co-Trainer der U16-Nationalmannschaft.
Heiko Westermann heute: Der 37-Jährige ist Co-Trainer der U16-Nationalmannschaft. – Foto: Imago Images

»Das Verhältnis zwischen Magath und mir war schon speziell«

- Teil 2 des großen FuPa-Interviews mit Ex-Profi Heiko Westermann aus Alzenau

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Von großen Erfolgen mit Schalke bis zu herben Pleiten mit dem HSV hat Heiko Westermann in seiner Karriere vieles erlebt: Darum und über seine Anfänge dreht sich Teil 1 des großen FuPa-Interviews mit dem 37-Jährigen. Im zweiten Teil spricht der gebürtige Alzenauer nun über seine heutige Aufgabe beim DFB, die Zeit bei der Nationalmannschaft, den Amateur-Fußball in der Heimat, aber auch über seinen Ex-Coach Felix Magath

FuPa: Herr Westermann, was trauen Sie als Vize-Europameister von 2008 dem DFB-Team bei der EM zu?
Heiko Westermann (37):
Schwer zu sagen. Eigentlich hatten sich die Jungs stabilisiert, doch dann kam das Nordmazedonien-Spiel. Abgesehen von der WM 2018 ist Deutschland eine Turniermannschaft, es kann wieder weit gehen. Nur um die Abwehr mache ich mir manchmal Sorgen, weil sie nicht eingespielt ist. Insgesamt hat das Team viel Qualität. Nach so einer langen Saison lassen sich ohnehin kaum Favoriten nennen. Deswegen freue ich mich auf eine spannende EM und hoffe, ein, zwei Begegnungen live im Stadion verfolgen zu können.

2021 soll die EM in gleich elf Nationen stattfinden – vor 13 Jahren waren es zwei Gastgeberländer. Wie war es in Österreich und der Schweiz?
Das war ganz groß, eine super EM. Alles war bestens organisiert. Dazu wunderbare Stadien, tolle Stimmung und perfektes Wetter. Eine unvergessliche Erfahrung!

Gegen Österreich (1:0), Portugal (3:2) und die Türkei (3:2) feierte Deutschland damals knappe Siege…
Vom Duell mit Österreich habe ich vor allem den Freistoß von Ballack im Kopf. Krass war das Halbfinale gegen die Türkei: Das war im St. Jakob-Park in Basel – eine viel engere Arena als das Ernst-Happel-Stadion in Wien, wo wir auf Österreich trafen. Das Stadion hat gegen die Türkei gebrannt, es war ein Spektakel. Erst lagen wir hinten, dann drehten wir das Spiel, danach der türkische Ausgleich kurz vor Schluss und in letzter Sekunde schoss uns Philipp Lahm ins Finale. Was für ein geiles Duell! Man muss sagen, dass die Türken 2008 ein überragendes Turnier spielten.

27 Länderspiele absolvierte Westermann für Deutschland.
27 Länderspiele absolvierte Westermann für Deutschland. – Foto: Imago Images

Kam der deutsche Finaleinzug für Sie überraschend?
Nein, wir hatten eine gute Truppe: Nach dem großen Umbruch 2006 waren mit Miroslav Klose, Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Per Mertesacker und anderen viele gestandene Spieler dabei. Nur Spanien war im Finale besser und hat verdient gewonnen.

Sie selbst kamen während der EM aber nicht zum Einsatz…
Ich war recht frisch in der Nationalmannschaft und wollte unbedingt spielen. Bei den Tests im Frühjahr war ich auch gesetzt, es sah gut aus. Doch am Tag des vorletzten Testspiels gegen Weißrussland kam meine Tochter zur Welt – da habe ich erstmals nicht gespielt. Ich weiß nicht, ob es daran lag, aber danach saß ich nur noch auf der Bank. In der Verteidigung wird gerade während eines Turniers nicht mehr groß getauscht. Schade, aber es gibt eben wichtigere Dinge als Fußball. Ich habe trotzdem während der EM alles gegeben und versucht, die Jungs zu unterstützen.

Auch vor der WM 2010 wurde Ihnen ausgerechnet das vorletzte Testspiel wieder zum Verhängnis…
In der vierten Minute der Nachspielzeit habe ich mich gegen Ungarn verletzt. Ich habe sofort gespürt, was los war: Der Schmerz ging nicht weg und wurde stärker. Mannschaftsarzt Dr. Müller-Wohlfahrt war sich schnell sicher, dass da etwas kaputt sein musste. Es war enorm bitter, in Südafrika hätte ich sicher gespielt. Aber so ist das halt passiert, man kann es nicht ändern.

Für die EM 2012 wurden Sie nicht mehr nominiert. Wieso?
Ich war noch bis 2013 Nationalspieler, aber da waren dann allmählich andere da. Letztlich spielte auch unsere durchwachsene Leistung beim HSV eine Rolle.

Fünf Jahre lang spielte Westermann beim HSV - meist als Verteidiger vor Keeper Adler (l.).
Fünf Jahre lang spielte Westermann beim HSV - meist als Verteidiger vor Keeper Adler (l.). – Foto: Getty Images

Dem DFB sind Sie aber treugeblieben: Heute arbeiten Sie als Co-Trainer der U16-Nationalmannschaft. Geben Sie mal einen Einblick in Ihre Arbeit.
Während der Pandemie lief vieles über Online-Videositzungen. Seit Frühjahr geht es jetzt endlich wieder auf dem Platz los: Es soll bald die ersten Länderspiele geben. Wir haben die Jungs teilweise ein dreiviertel Jahr nicht gesehen und da gilt es jetzt, den aktuellen Leistungs- und Entwicklungsstand zu beobachten. Gerade in dem Alter wachsen die Jungs schnell und entwickeln sich fußballerisch weiter.

Welche Rolle spielen da die Folgen der Corona-Pandemie bei der Entwicklung?
Für die Jungs kommt das mitten in die Entwicklungsphase, es ist sehr bitter. In Bremen hatte das Nachwuchsleistungszentrum beispielsweise fünf Monate geschlossen, da verlieren die Spieler wertvolle Trainingszeit auf dem Platz. In anderen Bundesländern durften Nachwuchsteams hingegen normal weitertrainieren. Ich bin gespannt, wie sich die Jungs in den nächsten Monaten präsentieren. Wir haben versucht, sie mit unseren virtuellen Einheiten dennoch weiterzubringen und waren als Partner an ihrer Seite.

Dabei haben Sie 2021 noch viel mit dem Team vor…
Uns stehen mehrere Turniere bevor: Im September fängt es mit dem Vier-Nationen-Turnier an, danach kommt die EM-Quali. Dafür suchen wir jetzt eine gefestigte Achse an Spielern, mit der wir in diese wichtigen Begegnungen gehen können.

Wollten Sie schon immer Trainer werden?
Das nicht. Nach meiner Karriere habe ich erst das Diplom in Sportmanagement in St. Gallen abgelegt. Danach bin ich erstmals mit einer U-Nationalmannschaft mitgefahren, habe mir das angeschaut und fand das interessant. Bislang macht es Riesen-Spaß! Auch wenn ich froh bin, wenn es wieder zurück auf den Platz gehen kann, nachdem wir alle in den vergangenen Monaten viel zuhause waren.

Ansonsten sind Sie wahrscheinlich eher unterwegs statt daheim, oder?
Richtig, denn wir müssen wissen, was der Jahrgang 2005 aktuell fußballerisch macht. Am Wochenende bin ich dort, wo es etwas zu sehen gibt. Mal in Hamburg, mal im Westen, mal im südlichen München. Ich brauche überall den Einblick und muss sehen, wie die Qualität der Spieler jeweils ist. Im Juni schaue ich mich in Berlin und Brandenburg um.

Bleibt da Zeit für Heimatbesuche rund um Aschaffenburg?
Ja, das geht schon. (lacht). Sofern es die Corona-Regeln zulassen, besuche ich mein Zuhause regelmäßig – häufiger als während meiner Spieler-Karriere. Gerade während der Hauptzeit mit Champions League sowie Nationalmannschaft war ich kaum in meiner Heimat – höchstens mal an Weihnachten. Trotzdem versucht man den Draht zu halten.

Dafür hatten Sie 2009/2010 mit Felix Magath immerhin einen Trainer, der ebenfalls aus der Region Aschaffenburg kam. War das dadurch ein spezielles Verhältnis?
Ja, das war es schon (lacht). Ich war sein Kapitän und wir haben bis heute ein gutes Verhältnis. Unter ihm wurden wir mit Schalke Zweiter. Aber ich muss schon sagen: Einen Coach wie Magath hatte ich nie mehr.

Stimmen die vielen Anekdoten über seine Trainingsmethoden also?
Ja, es war schon hart. Heute frage ich mich immer, wie das alles ging und wie wir das geschafft haben. Aber der Erfolg gab ihm Recht, auch wenn die Methoden heute so nicht mehr möglich wären – die meisten Spieler würden da zusammenbrechen. Aber es war eben eine andere Zeit und wir waren dadurch topfit.

Und wie fit sind Sie heute? Kicken Sie noch ab und an?
Nach meiner Verletzung in Wien habe ich lange Zeit gebraucht, um wieder richtig laufen oder Tennis spielen zu können. Heute kicke ich nur noch ab und an mal bei der Schalker Traditionself mit. Da trifft man sich unter der Woche und es sind viele alte Bekannte wie Olaf Thon, Benedikt Höwedes, Tim Hoogland oder Martin Max dabei. Die können auch alle etwas kicken, das macht schon Spaß (lacht). Aufgrund der Pandemie haben wir uns schon länger nicht gesehen.

Knapp sechs Jahre ist dieses Duell zwischen Pizarro und Westermann inzwischen her.
Knapp sechs Jahre ist dieses Duell zwischen Pizarro und Westermann inzwischen her. – Foto: Getty Images

Ihr Ex-Kollege Marcell Jansen kickt heute noch als Amateur
Das kann ich mit meiner Aufgabe wochenends nicht vereinbaren. Wenn ich es sonntags mal auf einen Dorfsportplatz schaffe, dann eher zum Zuschauen bei meinem Heimatverein SG Schimborn. Ein guter Freund ist dort Trainer und ich kenne einige der Spieler noch.

Und wie sieht es mit dem FC Bayern Alzenau und dem FC Hösbach aus?
Bei Alzenau kenne ich heute kaum noch jemanden, aber ich verfolge die Ergebnisse im Netz oder der Zeitung. Zu Hösbach habe ich keinen Draht mehr. Die Jugendzeit bei beiden Vereinen war aber schön: Gemeinsam mit mehreren Freunden bin ich da jeweils hin gewechselt und wir hatten die Möglichkeit, früh auf hohem Niveau zu kicken.

Zuletzt war in Deutschland der Amateur-Fußball ohnehin kaum möglich…
Es ist schon Wahnsinn. Mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland sind Mitglieder in Fußballvereinen und für alle ist da ein ganzes Jahr weggefallen. Ich hätte mir zwischenzeitlich gewünscht, dass zumindest das Kicken in Kleingruppen im Außenbereich erleichtert worden wäre. Mir kam der Sport allgemein in der Pandemie zu kurz, da hätte man mehr machen können. Deswegen hat der DFB rund um das Pokalfinale eine Petition gestartet – unter dfb.de kann jeder per Unterschrift einen kleinen Hinweis geben, wie wichtig es den Menschen ist, dass Sport in Gruppen schnellstmöglich wieder erlaubt wird.

Blicken wir zum Schluss erneut nach vorne: Welche Ziele haben Sie persönlich?
Zunächst möchten wir uns für die Junioren-EM 2022 qualifizieren, da haben wir noch einiges zu tun. Außerdem will ich weitere Trainerlizenzen machen, das hat sich durch die Corona-Pandemie alles verschoben. Insgesamt werde ich es wie zu meiner Zeit als Spieler handhaben: Ich gehe immer Schritt für Schritt und schaue nach vorn.

Aufrufe: 026.5.2021, 11:00 Uhr
Kilian AmrheinAutor