2024-05-24T11:28:31.627Z

Allgemeines
– Foto: Thies Meyer

Das ist schöner, als nur zu skypen

FRAUEN: +++ Fußballerinnen des TSV Fleisbach wollen von ihrem „Training auf Abstand“ nicht mehr lassen +++

Sinn-Fleisbach. Ist ein Fußballtraining unter den geltenden Kontaktbeschränkungen und Hygienevorgaben möglich und sinnvoll? Die Kreisoberliga-Fußballerinnen des TSV Fleisbach sagen entschieden ja. Sie sind nach drei Wochen Probezeit von ihrem „Training auf Abstand“ überzeugt.

Trainerin Christine Nadler ist sicher: „Wir werden diese Einheiten bis in den Sommer fortsetzen“ - bis die Behörden eines Tages wieder ein gewohntes Mannschaftstraining mit allen Vollkontakt-Elementen gestatten. Spielertrainerin Julia Hecker, mit der sie sich die Leitung teilt, hat in ihrem neuesten via Facebook veröffentlichten Video Szenen aus dem Koordinationsparcours, den Pass- und Abschlussübungen sowie vom Zielschießen auf den Querbalken festgehalten.

„Skypen war auch schön“, erinnert sich Julia Hecker an die Hochphase der Corona-Krise zwischen Mitte März und Mitte Mai. Die ungefähr 20 Frauen im Kader hielten in jenen zwei Monaten mithilfe elektronischer Medien Kontakt. Dreimal in der Woche verabredeten sie sich zu gemeinsamen Kräftigungsübungen via Videoschaltung. Außerdem spornten sich die Fußballerinnen in einer Lauf-Challenge gegenseitig an: Jede sammelte bei individuellen Läufen durch Wälder und Wiesen Kilometer für eine Gesamtstrecke, die von Fleisbach bis ans Kap Sao Vicente im Süden Portugals reicht. „Aber das Gemeinschaftserlebnis steht im Teamsport nun einmal ganz weit oben, und das hat uns allen gefehlt“, beschreibt die 34-Jährige die Gewissheit, am Ende doch nur allein trainiert zu haben.

Deswegen sind alle froh, dass inzwischen wenigstens ein „Fußballtraining light“ ohne Kopfballspiel und ohne Zweikampfführung zustande kommen darf. Christine Nadler schildert die Stimmung: „Alle hatten immer wieder gefragt, wann es wieder möglich sein würde, Fußball zu spielen. Alle wollten wieder auf den Platz.“ Übungseinheiten sind seit dem 11. Mai wieder zweimal in der Woche unter Wahrung von Abstands- und Hygieneauflagen möglich.

Nachdem die Behörden die Kontaktbeschränkungen gelockert hatten und nachdem der Hessische Fußball-Verband (HFV) Empfehlungen für eine Rückkehr in den Trainingsbetrieb erarbeitet hatte, las sich Christine Nadler in die Bestimmungen ein und bereitete die Rückkehr ihres Teams auf das Kunstrasenfeld vor.

„Respekt war da, wir haben lange überlegt“, verschweigt Christine Nadler, die bei der Gemeindeverwaltung in Bischoffen arbeitet, nicht, dass es leichte Bedenken gab. Julia Hecker stellte sich die Frage: „Was wäre, wenn das gemeinsame Trainieren eine Infektionswelle auslösen würde?“

Gleichzeitig nutzten die Frauen die Gelegenheit, um die Ellenbogen auszufahren und Trittbrettfahrer aus anderen Trainingsgruppen des Feldes zu verweisen. Nachdem der Vereinsvorstand grünes Licht gegeben hatte, stellten sie klar: „Wir tragen die Verantwortung, also sind in unserer Trainingszeit auch nur wir Frauen auf dem Platz“, berichtet Julia Hecker.

Die Rahmenbedingungen hat Christine Nadler bis ins Detail ausgearbeitet: Anmeldung zum Training per App, Anreise in Sportkleidung, ja sogar über die Zuweisung eines individuellen Ablageplatzes für die Jacke, die Schlüssel und die Wasserflasche jeder Spielerin hat sie sich Gedanken gemacht, damit in den Trinkpausen nicht alle auf demselben Fleck zusammenkommen. Ein kurzes „Schwätzchen auf Abstand“ ist nach dem Training drin. „Aber nur zwei, drei Worte. Es wird einem ja auch schnell kalt“, schildert die 36-Jährige, dass nicht nur die Mahnung zur Disziplin, sondern auch der frische Abendwind seinen Teil dazu beiträgt, um die Gruppe zügig aufzulösen. Geduscht wird zu Hause, denn das Vereinsheim, die Umkleiden und die Duschen sind wie vom HFV empfohlen abgesperrt.

Anders als so manche Männermannschaft im Fußballkreis Dillenburg, die das „Trainieren auf Abstand“ nach ein, zwei Mal wegen fehlender Vollwertigkeit des Trainings und wegen des relativ hohen Organisationsaufwands wieder sein gelassen hat, wissen die Frauen aus Fleisbach weitaus mehr zu schätzen, was sie sich an Sport und an Gemeinschaftserlebnissen zurückerobert haben. Christine Nadler beschreibt die Stimmung: „Es freuen sich alle, wieder auf dem Platz zu stehen und ein wenig kicken zu dürfen. Ein Spiel elf gegen elf ist leider noch nicht erlaubt, aber es gibt anderes, das Sinn macht. Spaß, Technik und Koordination stehen im Moment im Vordergrund. Mit der Konditionsarbeit halten wir uns zurück, es steht ja kein Wettkampf bevor.“

Die beiden Übungsleiterinnen teilen die zwölf bis 19 Spielerinnen, die zurzeit ins Training kommen, in drei Gruppen auf. Die Koordinationsübungen für schnelle Füße im Stangen- und Hütchenparcours läuft von selbst. Christine Nadler leitet die Pass- und Kombinationsübungen, Julia Hecker kümmert sich ums Schusstraining, das ihrer Einschätzung nach intensiver ausfällt als während eines üblichen Mannschaftstrainings. Nach zehn bis 15 Minuten wechseln die Kleingruppen zur nächsten Station. Julia Hecker fungiert als Trainerin, will selbst aber ebenfalls mitkicken – und hält manchmal sogar noch die Videokamera in der Hand. Die nebenbei gedrehten Szenen für die Facebook-Präsenz des TSV Fleisbach sind alle authentisch. „Es ist nichts Gestelltes dabei“, sagt sie.

Wie ist sie eigentlich zum Videofilmen gekommen? „Ich habe mir das Filmen und Schneiden selbst beigebracht und mit Videos über meine Reisen begonnen“, erzählt sie. Während der Corona-Krise hat sie gemeinsam mit anderen Fußballerinnen gleich mehrere Filme gedreht und via Youtube veröffentlicht. „Das Schneiden geht inzwischen recht schnell“, sagt Julia Hecker, die bei einer IT-Firma in Sinn arbeitet. Ihr 62-sekündiger Clip „Training auf Abstand“ steht seit einer Woche im Netz. Der Zweiteiler „Talente an der Klopapierrolle“, eine kreative Corona-Kick-Challenge auch mit Fußballerinnen aus anderen Vereinen, ist mit mehr als drei Gesamtminuten und Material aus mehreren Quellen schon aufwendiger zu bearbeiten gewesen. Der Mini-Spielfilm „Das weiße Gold“, vor vier Wochen veröffentlicht, kommt sogar auf zehn Minuten Länge.

Abschluss des neuesten Clips und auch jeder Trainingseinheit ist das Lattenschießen. Jede Spielerin hat drei Versuche, um den Ball aus der Distanz an den Querbalken zu setzen. Vielleicht ist es das, was der Fußball der Corona-Krise eines Tages zu verdanken haben wird: eine neue Lust aufs Kicken und auf die nächste Fußball-Challenge – egal ob mit oder ohne Videoclip.

Die Videos „Training auf Abstand“, „Das weiße Gold“ und „Talente an der Klopapierrolle“ sind unter www.facebook.com/tsvfleisbach zu finden.



Aufrufe: 01.6.2020, 18:06 Uhr
Sven Jessen (Dill-Post / Dill Zeitung)Autor