2024-06-06T14:35:26.441Z

Ligavorschau
Lothar Buchmann.
Lothar Buchmann.

"Bei den Lilien ist alles persönlicher"

Lothar Buchmann hat als ehemaliger Trainer in Frankfurt und Darmstadt reichlich Hessenderby-Erfahrung

Lothar Buchmann hat sowohl den SV Darmstadt 98 als auch Eintracht Frankfurt in der Fußball-Bundesliga trainiert. Bei drei von vier Hessenderbys saß er auf der Bank: einmal auf der Darmstädter, zweimal auf der Frankfurter. Vor dem ersten Derby seit 33 Jahren am Sonntag (17.30 Uhr) in der Commerzbank-Arena blickt der 79-jährige Reichelsheimer zurück und voraus.

FuPa: Herr Buchmann, die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es am Sonntag aus?

Lothar Buchmann: Mein Wunsch ist, dass die Lilien in Frankfurt einen Punkt holen. Die Art und Weise, wie in den letzten Jahren dort erfolgreich gearbeitet wurde, hat mir imponiert. Unter den jetzigen Bedingungen die Klasse zu halten, wäre eine Supersache. Ein Auswärtspunkt wäre dazu sehr wichtig, zumal man die Eintracht dann auch hinter sich lassen würde.

FuPa: Sie drücken also den Lilien die Daumen?

Buchmann: Ja. Das ist mein Einzugsgebiet, ich bin hier zu Hause. Ich schaue mir regelmäßig Spiele der Lilien an, war gegen Mainz, Hertha, Wolfsburg und Hannover im Pokal im Stadion. Und ich habe auch Kontakt zu den Trainern. Nach Frankfurt habe ich kaum noch Verbindungen.

FuPa: Was für ein Spiel erwarten Sie?

Buchmann: Die Eintracht ist gezwungen anzugreifen. Sie muss das Spiel machen, ob sie will oder nicht, denn das Publikum hätte wenig Verständnis, wenn sie sich hinten reinstellen würde wie gegen die Bayern. Das kommt der Art und Weise, wie Darmstadt spielt, natürlich entgegen. Die 98er stehen tief, sind sehr zweikampfstark, die Arbeit hinter dem Ball wird sehr ernst genommen. Und sie können kontern.

FuPa: Die Lillien waren 2013 sportlich in die vierte Liga abgestiegen, während sich die Eintracht im selben Jahr als Tabellensechster für die Europa League qualifiziert hatte. Zweieinhalb Jahre später haben die 98er in der Ersten Liga einen Punkt mehr auf dem Konto als der Rivale aus der Mainmetropole. Warum ging es bei dem einen Klub steil bergauf, während bei dem anderen eine Abwärtstendenz festzustellen ist?

Buchmann: Bei den 98ern gab es nach der Sanierung den Glücksgriff mit Dirk Schuster und dem gesamten Trainerteam. Die hatten ein Konzept und haben kontinuierlich und zielstrebig gearbeitet. In Darmstadt ging es aufwärts wie bei kaum einem anderen Verein in Deutschland. Der Sprung ist riesig, während ich bei der Eintracht in den letzten zwei Jahren keine Fortentwicklung sehe. Und den Trainerwechsel von Thomas Schaaf zu Armin Veh habe ich als Außenstehender nicht verstanden. Armin ist von der Eintracht weg, weil es keine Perspektive gab, und ist jetzt wieder da, obwohl der Großteil der Spieler im Kader verblieben ist.

FuPa: Sie haben 1978 die Lilien erstmals in die Bundesliga geführt und drei Jahre später mit Eintracht Frankfurt den DFB-Pokal gewonnen. Welcher Erfolg war schöner?

Buchmann: Nach außen war es wohl der DFB-Pokal-Sieg. Aber die drei Jahre bei den Lilien waren einmalig. Es gab kurze Wege, so wie heute, zwischen mir, dem Präsidenten Georg Schäfer und dem Vizepräsidenten Karl Ernst Engelbrecht. In unserer Aufstiegssaison haben wir zwölfmal in Serie gewonnen, ich weiß gar nicht, ob es das in Deutschland danach noch einmal gab. Und die Stimmung am Böllenfalltor war damals wie heute einmalig.

FuPa: Wo hat es Ihnen besser gefallen: in Darmstadt oder in Frankfurt?

Buchmann: In Darmstadt. Da war alles intimer, so wie es heute auch ist. In Stuttgart und in Frankfurt war mehr Abstand zu den Fans, bei den Lilien war und ist alles persönlicher.

FuPa: Wenn Sie heute noch einmal Trainer bei einem der beiden Clubs sein dürften, welchen würden Sie sich aussuchen?

Buchmann: Ich ginge dahin, wo ich die bessere Perspektive hätte.

FuPa: Und das wäre?

Buchmann: Das weiß ich nicht. Ich würde mir beide Mannschaften ansehen und die trainieren, die mehr Potenzial hat.

FuPa: Sie galten als harter Hund. Welcher Trainer ist Ihnen ähnlicher: Armin Veh oder Dirk Schuster?

Buchmann: Der etwas Härtere. Das bleibt Ihnen überlassen, wen Sie für härter halten. Ich wurde ja auch schon mit Felix Magath verglichen, aber bei mir war es eher die Disziplin, auf die ich Wert gelegt habe. Ich hatte kein Verständnis dafür, wenn Spieler zwischen zwei Trainingseinheiten Flipper gespielt und nebenbei gegessen haben. Was die Trainingsdosierung angeht, hatte ich anderen einiges voraus. Deshalb waren die Lilien, die nur viermal in der Woche eineinhalb Stunden trainiert haben, Teams läuferisch überlegen, die sechs-, siebenmal trainiert haben.

FuPa: Das erste Bundesliga-Derby zwischen der Eintracht und den Lilien 1978 sahen 30 000 Fans, das letzte 1982 10 000. Für das Spiel am Sonntag hätte man wohl an die 100 000 Karten verkaufen können. Warum hat damals der Fußball die Massen nicht so elektrisiert wie heute, wo es in Sachen Freizeitgestaltung ja viel mehr Alternativen gibt?

Buchmann: Die Spiele der Eintracht gegen die Lilien hatten früher zwar Derbycharakter, aber nicht diese Anziehungskraft wie heute. Damals wussten wir bei der Eintracht: Wenn die Bayern kommen, ist das Stadion ausverkauft. Bei Bochum oder Leverkusen waren es nicht selten nur zehn- oder zwölftausend Zuschauer. Ich glaube, im positiven Sinne sind heute auch die Medien schuld. Die stellen den Fußball anders dar und verkaufen ihn auch ganz anders.

FuPa: Sie hatten in Frankfurt und Darmstadt rund 100 Spieler unter Ihren Fittichen. Wer war Ihr Lieblingsspieler?

Buchmann: Der wichtigste Mann in Darmstadt war ganz klar Walter Bechtold, eine Führungsperson und ein hervorragender Fußballer. Aber die ganze Truppe, von Dieter Rudolf bis Peter Cestonaro, war eigentlich einmalig. Und es waren sehr intelligente Spieler, die verstanden haben, um was es geht und die richtig mitgezogen haben. Bei der Eintracht war Bernd Hölzenbein der wichtigste Mann. Er hat vieles mitentschieden, wenn es kritische Situationen gab. Mein Lieblingsspieler war aber Bum-Kun Cha.

FuPa: Zum Abschluss noch ein Blick nach vorn: Was trauen Sie Ihren Ex-Klubs in dieser Saison und langfristig zu?

Buchmann: Die Eintracht läuft der Erwartungshaltung hinterher. Aber ich glaube, wenn es nicht immer wieder Verletzungen gibt oder so unmögliche Dinge wie die Gelb-Rote Karte von Alexander Meier in Mainz, dass sie einen Mittelfeldplatz schaffen müsste. Viel hängt allerdings von den beiden nächsten Heimspielen gegen Darmstadt und Bremen ab.

FuPa: Und die Lilien?

Buchmann: Denen traue ich zu, dass sie die Klasse halten. Aber sie müssen langfristig so planen, dass die Zweite Liga ein absolut sicherer Faktor ist. Alles andere wäre überzogen. Ich würde so planen, dass man im Falle des Abstiegs dauerhaft ein Spitzenverein in der Zweiten Liga sein kann. Das wäre für die Region hier eigentlich ausreichend, und man hätte immer noch ein volles Haus. Dass der Wechsel vom Absteiger zu einem Zweitliga-Topteam nicht so einfach ist, haben ja die Beispiele Paderborn und Düsseldorf gezeigt.


Zur Person:

Der am 15. August 1936 in Breslau geborene Lothar Buchmann machte sich bereits als Fußballspieler in Ober- und Regionalliga einen Namen, unter anderem beim FSV Mainz 05, Eintracht Bad Kreuznach, Wormatia Worms und dem VfR Bürstadt.

Als Trainer war der ehemalige Verwaltungsangestellte von 1976 bis 1979 für den SV Darmstadt 98 verantwortlich, den er 1978 in die Erste Bundesliga führte- In der Saison 1979/80 trainierte Buchmann den VfB Stuttgart, ehe er für zwei Jahre die Frankfurter Eintracht coachte. Mit dem Club vom Main wurde er 1981 DFB-Pokal-Sieger.

Weitere Trainerstationen waren unter anderem Kickers Offenbach, VfR Bürstadt, Karlsruher SC, Rot-Weiss Essen und der Linzer ASK- Von 1996 bis 1998 trainierte Lothar Buchmann noch einmal die Lilien, danach wirkte er meist bei unterklassigen Amateurklubs. Letzte Station war 2013 der Verbandsligist FC 07 Bensheim.

Aufrufe: 02.12.2015, 09:03 Uhr
Heiko WeissingerAutor