2024-05-02T16:12:49.858Z

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Grenzenloser Jubel nach Abpfiff: Der FC Kalchreuth feiert den Aufstieg. F: Zink
Grenzenloser Jubel nach Abpfiff: Der FC Kalchreuth feiert den Aufstieg. F: Zink

"Am Ende war das doch nur noch eine Kopfsache"

Eruption im Nürnberger Norden: Nach zahlreichen vergeblichen Anläufen ist der FC Kalchreuth endlich in der Bezirksliga angekommen

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Der FC Kalchreuth ist erstmals in sei­ner Vereinsgeschichte, nach Dutzen­den gescheiterten Anläufen, in die Bezirksliga aufgestiegen. Ein 2:1 über Eyüp Sultan machte die Meisterschaft perfekt. Für den Abteilungsleiter war es „der schönste Tag meines Lebens beim FC Kalchreuth“.

Erwin Igel wurde heuer 60. Eine große Feier, mit Freunden und der Familie, viele Geschenke gab es, viele schöne Stunden mit den Menschen, die dem Abteilungsleiter des FC Kalchreuth nahestehen. „Von meinen Fußballern“, sagt er, „habe ich mir auch etwas gewünscht.“ Das haben sie am Samstag eingelöst, mit einem 2:1 (1:1) über den SV Eyüp Sultan in der Kreisliga 2, mit einem letzten Mal Dramatik in dieser Saison und einer Explosion der Erlösung, deren Erup­tion man vermutlich bis zum Flugha­fen nach Buchenbühl hinaus hatte spü­ren können. „Heute“, sagte Erwin Igel nach dem Spiel, als ihm Bier durch die Haare rann und vom Kinn tropfte, „ist der schönste Tag meines Lebens beim FC Kalchreuth.“ Solange man denken kann ist Erwin Igel Abteilungsleiter in Kalchreuth, und solange man denken kann, ver­sucht dieser Verein in die Bezirksliga aufzusteigen. Dutzend Mal Zweiter der Endabrechnung, Dutzend Mal in der Relegation gescheitert, immer gab es mindestens noch einen Verein, der nicht unbedingt besser war, aber am Ende glücklicher. „Ich bring es selbst schon gar nicht mehr zusammen, wann wir es wie nicht geschafft haben“, sagt Erwin Igel.

Schon 2013 hatte er in einer Umfrage mit dieser Zeitung gesagt: „Wir machen das ein­fach wie die Fürther, auch wenn mir das als Club-Fan schwerfällt, das zu sagen: Die galten auch als unaufsteig­bar und haben es dann trotzdem irgendwann geschafft.“ Damit es endlich klappt hatten sie schon alles probiert. „Starspieler und Startrainer“, sagt Erwin Igel, hatte er verpflichtet, aber es blieb verhext. „Es war manchmal schwer, den Glau­ben nicht zu verlieren.“ Wenn es heu­er wieder nichts geworden wäre, trotz neun Punkten Vorsprung zur Winter­pause, trotz eines Kaders von 19 Mann, trotz eines Wintertrainings­lagers im türkischen Belek, trotz eines Sebastian Lutz, der am Ende in 23 Spielen 23 Tore schoss, „dann hätten wir die Liga gewechselt“, verrät Igel. Kalchreuth liegt auf einem Höhen­rücken des Sebalder Reichswalds, hier verläuft die Landkreisgrenze. Manche Sportplätze in der Kreisliga, sagt der Abteilungsleiter, die könne er nach all den Jahren schon gar nicht mehr sehen. Mit beinahe jeder Gäste­kabine verbinden sie beim FC Kalch­reuth irgendwelche wichtigen, verlore­nen Punkte, die in der Endabrech­nung fehlten.

Auch heuer schmolz der Vorsprung wieder schneller dahin, als der Schnee im Föhn. Drei Punkte waren es vor dem letzten Spieltag nur noch, der ASV Fürth, der ihnen auf den Fersen war, hatte sechsmal in Folge gewon­nen: „Wochen“, gesteht Erwin Igel, „die der pure Stress waren für mich“.

Doch er hatte mit Wolfgang Lutz einen Trainer geholt, der zumindest hinterher behauptete, dass er nie die Ruhe verloren habe. „Am Ende“, sagt der Coach, „war das doch nur noch eine Kopfsache.“ So wie Ende Mai, im Spitzenspiel gegen den ASV Fürth. Ein Heimsieg hätte gereicht zur vorzei­tigen Meisterschaft, doch Kalchreuth unterlag mit 1:2. Es war die einzige Niederlage seit 10. Oktober 2015 – und dennoch war plötzlich das Schei­tern schon wieder in unmittelbarer Nähe.

Am Samstag dann, am letzten Spiel­tag, reichte theoretisch ein Punkt gegen Eyüp Sultan, den Tabellendrit­ten, für den es rechnerisch um nichts mehr ging. „Wir wollten denen hier heute die Feier vermiesen“, sagte Gökhan Cakmak, der Torhüter der Nürnberger. Er hat eine Vergangen­heit beim ASV Fürth, aber darum ging es nicht. „Wir sind Sportler und wir wollen jedes Spiel gewinnen. Ich den­ke, das hat man auch gesehen.“ Trotz des Ramadan, des Fastenmonats, den die Hälfte des Teams begeht. In der Pause haben sie keinen Schluck ge­trunken, sind trotzdem weiterge­rannt. Nach neun Minuten erzielte Mehmet Karanfil das 1:0 und die Spie­ler des ASV Fürth, die hinten an der Eckfahne standen, freuten sich. „Ich habe mir gedacht: Oh Gott“, gestand Wolfgang Lutz, „das geht ja gut los.“ Erwin Igel behauptete, das alles zum Glück nicht mitbekommen zu haben - „ich musste ja am Grill aushelfen“. Manche sagen auch, Igel hatte sich selbst dorthin gestellt, um bloß nichts mitzubekommen.

Mit der Kutsche durchs Dorf

Der FC Kalchreuth riss das Spiel dann endlich an sich, und der Sohn des Trainers, Sebastian Lutz, traf zum 1:1 (35.). An diesem Tag würde alles anders, das spürte jeder, der Torwart Jonas Anschütz zwei-, dreimal in höchster Not wild fliegend klären sah. Als Florian Müller das 2:1 (66.) ge­lang, da waren sich sogar die ersten Berufspessimisten auf Höhe der Mit­tellinie einig: „Des lass mer uns hait nimmer nehma!“ So kam es dann auch, noch nie hatte ein Schlusspfiff auf dem Kalch­reuther Sportplatz eine derartige Erlö­sung bedeutet: Alle tanzten, alle spran­gen, Gerstensaft spritzte in dicken Tropfen über die Anhöhe und ganz hinten zwang sich Erwin Igel aus sei­nem Hemd hinein in ein knallrotes Aufstiegs-T-Shirt. Minutenlang feier­te dieser Verein mehr als nur einen Aufstieg: das Ende einer verhexten Zeit, oder einfach nur: das Geburts­tagsgeschenk für Erwin Igel. „Und morgen“, sagte der zum Abschied, „fahren wir mit Kutsche und Trekker durchs Dorf.“

Aufrufe: 013.6.2016, 13:35 Uhr
Christoph BeneschAutor