Erwin Igel wurde heuer 60. Eine große Feier, mit Freunden und der Familie, viele Geschenke gab es, viele schöne Stunden mit den Menschen, die dem Abteilungsleiter des FC Kalchreuth nahestehen. „Von meinen Fußballern“, sagt er, „habe ich mir auch etwas gewünscht.“ Das haben sie am Samstag eingelöst, mit einem 2:1 (1:1) über den SV Eyüp Sultan in der Kreisliga 2, mit einem letzten Mal Dramatik in dieser Saison und einer Explosion der Erlösung, deren Eruption man vermutlich bis zum Flughafen nach Buchenbühl hinaus hatte spüren können. „Heute“, sagte Erwin Igel nach dem Spiel, als ihm Bier durch die Haare rann und vom Kinn tropfte, „ist der schönste Tag meines Lebens beim FC Kalchreuth.“ Solange man denken kann ist Erwin Igel Abteilungsleiter in Kalchreuth, und solange man denken kann, versucht dieser Verein in die Bezirksliga aufzusteigen. Dutzend Mal Zweiter der Endabrechnung, Dutzend Mal in der Relegation gescheitert, immer gab es mindestens noch einen Verein, der nicht unbedingt besser war, aber am Ende glücklicher. „Ich bring es selbst schon gar nicht mehr zusammen, wann wir es wie nicht geschafft haben“, sagt Erwin Igel.
Schon 2013 hatte er in einer Umfrage mit dieser Zeitung gesagt: „Wir machen das einfach wie die Fürther, auch wenn mir das als Club-Fan schwerfällt, das zu sagen: Die galten auch als unaufsteigbar und haben es dann trotzdem irgendwann geschafft.“ Damit es endlich klappt hatten sie schon alles probiert. „Starspieler und Startrainer“, sagt Erwin Igel, hatte er verpflichtet, aber es blieb verhext. „Es war manchmal schwer, den Glauben nicht zu verlieren.“ Wenn es heuer wieder nichts geworden wäre, trotz neun Punkten Vorsprung zur Winterpause, trotz eines Kaders von 19 Mann, trotz eines Wintertrainingslagers im türkischen Belek, trotz eines Sebastian Lutz, der am Ende in 23 Spielen 23 Tore schoss, „dann hätten wir die Liga gewechselt“, verrät Igel. Kalchreuth liegt auf einem Höhenrücken des Sebalder Reichswalds, hier verläuft die Landkreisgrenze. Manche Sportplätze in der Kreisliga, sagt der Abteilungsleiter, die könne er nach all den Jahren schon gar nicht mehr sehen. Mit beinahe jeder Gästekabine verbinden sie beim FC Kalchreuth irgendwelche wichtigen, verlorenen Punkte, die in der Endabrechnung fehlten.
Auch heuer schmolz der Vorsprung wieder schneller dahin, als der Schnee im Föhn. Drei Punkte waren es vor dem letzten Spieltag nur noch, der ASV Fürth, der ihnen auf den Fersen war, hatte sechsmal in Folge gewonnen: „Wochen“, gesteht Erwin Igel, „die der pure Stress waren für mich“.
Doch er hatte mit Wolfgang Lutz einen Trainer geholt, der zumindest hinterher behauptete, dass er nie die Ruhe verloren habe. „Am Ende“, sagt der Coach, „war das doch nur noch eine Kopfsache.“ So wie Ende Mai, im Spitzenspiel gegen den ASV Fürth. Ein Heimsieg hätte gereicht zur vorzeitigen Meisterschaft, doch Kalchreuth unterlag mit 1:2. Es war die einzige Niederlage seit 10. Oktober 2015 – und dennoch war plötzlich das Scheitern schon wieder in unmittelbarer Nähe.
Am Samstag dann, am letzten Spieltag, reichte theoretisch ein Punkt gegen Eyüp Sultan, den Tabellendritten, für den es rechnerisch um nichts mehr ging. „Wir wollten denen hier heute die Feier vermiesen“, sagte Gökhan Cakmak, der Torhüter der Nürnberger. Er hat eine Vergangenheit beim ASV Fürth, aber darum ging es nicht. „Wir sind Sportler und wir wollen jedes Spiel gewinnen. Ich denke, das hat man auch gesehen.“ Trotz des Ramadan, des Fastenmonats, den die Hälfte des Teams begeht. In der Pause haben sie keinen Schluck getrunken, sind trotzdem weitergerannt. Nach neun Minuten erzielte Mehmet Karanfil das 1:0 und die Spieler des ASV Fürth, die hinten an der Eckfahne standen, freuten sich. „Ich habe mir gedacht: Oh Gott“, gestand Wolfgang Lutz, „das geht ja gut los.“ Erwin Igel behauptete, das alles zum Glück nicht mitbekommen zu haben - „ich musste ja am Grill aushelfen“. Manche sagen auch, Igel hatte sich selbst dorthin gestellt, um bloß nichts mitzubekommen.
Der FC Kalchreuth riss das Spiel dann endlich an sich, und der Sohn des Trainers, Sebastian Lutz, traf zum 1:1 (35.). An diesem Tag würde alles anders, das spürte jeder, der Torwart Jonas Anschütz zwei-, dreimal in höchster Not wild fliegend klären sah. Als Florian Müller das 2:1 (66.) gelang, da waren sich sogar die ersten Berufspessimisten auf Höhe der Mittellinie einig: „Des lass mer uns hait nimmer nehma!“ So kam es dann auch, noch nie hatte ein Schlusspfiff auf dem Kalchreuther Sportplatz eine derartige Erlösung bedeutet: Alle tanzten, alle sprangen, Gerstensaft spritzte in dicken Tropfen über die Anhöhe und ganz hinten zwang sich Erwin Igel aus seinem Hemd hinein in ein knallrotes Aufstiegs-T-Shirt. Minutenlang feierte dieser Verein mehr als nur einen Aufstieg: das Ende einer verhexten Zeit, oder einfach nur: das Geburtstagsgeschenk für Erwin Igel. „Und morgen“, sagte der zum Abschied, „fahren wir mit Kutsche und Trekker durchs Dorf.“