2024-05-29T12:18:09.228Z

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Ein Abräumer, der selber oft gestoppt werden musste: Erwin Hermandung (links) im Februar 1970 auf dem Tivoli gegen Wolfgang Weber vom 1. FC Köln.
Ein Abräumer, der selber oft gestoppt werden musste: Erwin Hermandung (links) im Februar 1970 auf dem Tivoli gegen Wolfgang Weber vom 1. FC Köln. – Foto: Imago / Pfeil
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Als Baal nach Aachen fuhr

Alemannias Bundesliga-Rekordspieler Erwin Hermandung wird am Sonntag 75 Jahre alt

Und es gab eine Zeit, da war die Sprache so einfach wie im Prinzip das Spiel. Was heute als „Pressing“ oder – wortschöpferisch ein völliger Unsinn – „Gegenpressing“ wie ein Mantra von Fußballtrainern propagiert wird, hieß früher allgemeinverständlich in der Kabinenansprache: „Wir gehen drauf.“ Auch „Scouting“ ist keine Erfindung der Neuzeit, Spiel(er)-Beobachtungen gab es schon in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Wenn man so will, war Oswald Pfau ein echter Pionier auf diesem Gebiet; jedenfalls hatte er jemanden, der den jungen Erwin Hermandung vom SV Baal unter die Lupe nahm.

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Pfau, Trainer von Alemannia Aachen, begnügte sich schon damals nicht allein mit dem sportlichen Werturteil. „Die haben sich sogar bei unserem Pastor erkundigt, was ich für einen Charakter habe“, erinnert sich Hermandung. Schon optisch kaum zu glauben, dass dieser Mann – in Alemannias Jahrhundert-Elf gewählt – am Sonntag 75 Jahre alt wird, so frisch, lebendig und als ob es erst gestern passiert wäre, erzählt Hermandung aus seiner Karriere. Mit 98 Einsätzen und 19 Toren ist er Aachens Bundesliga-Rekordspieler und -schütze, und es gibt keine Hinweise, dass sich das in absehbarer Zeit ändert.

Erwin Hermandung begann in der Jugend als Mittelstürmer und wurde zu einem der torgefährlichsten defensiven Mittelfeldspieler und Vorstopper im deutschen Profifußball. „Immer als Sonderbewacher. Wenn mein Gegenspieler pinkeln gegangen wäre, wäre ich mitgegangen.“ Als Uwe Seeler mal gefragt wurde, wie das denn so sei mit dem Kontrahenten Hermandung, antwortete die HSV-Legende: „Haben Sie schon mal gegen eine deutsche Eiche gespielt?“

Als 19-Jähriger wechselte Hermandung 1964 zu Alemannia. Bereits in der Saison davor trainierte er regelmäßig mit Jupp Martinelli & Co. Bis donnerstags arbeitete er im erlernten Beruf als Maurer, „mittags habe ich mich dann in den Zug gesetzt und bin nach Aachen gefahren“. Borussia Mönchengladbach lag zwar räumlich näher und hatte ebenfalls Interesse, doch schon vor seinem Gespräch dort lernte Hermandung den „Kommisskopp“ Fritz Langner kennen. „Der hatte Theater mit Horst-Dieter Höttges und wurde richtig ausfallend. Mit diesem Trainer wäre ich nicht klargekommen.“ Am Ende seiner ersten Spielzeit für Schwarz-Gelb stand Hermandung unter dem „väterlichen Typ“ Pfau im DFB-Pokal-Finale gegen Borussia Dortmund (0:2).

„Die Baaler fuhren zum Fußball nach Aachen“, um „ihren“ Erwin zu sehen. Nach dem Aufstieg in die Bundesliga 1967 verpasste er (verletzungsbedingt) nur vier Spiele, 1969 ließen sich die „Kartoffelkäfer“ als Deutscher Vizemeister feiern – und stiegen ein Jahr später sang- und klanglos ab. „Ich hatte schon im Quellenhof mit Schorsch Knöpfle über einen Wechsel zum Hamburger SV verhandelt. Aber mein Schwiegervater sagte: Wenn der Leo Führen Dir einen Vierjahresvertrag gibt, dann bleib.“ Zuvor war – man mag es wegen des Grundes kaum glauben – ein Transfer zum FC Bayern geplatzt. „Die wollten den Umzug nicht bezahlen. Da habe ich einen Fehler gemacht.“ Gerd Müller kam später auf Erwin Hermandung zu: „Wie konntest Du das Angebot ablehnen? Die hätten Dir natürlich alles bezahlt!“

1971 verließ Hermandung die Krefelder Straße. „Wenn ich samstags die Bundesliga im Fernsehen sah, dachte ich: Das ist doch was anderes, als in der Regionalliga nach Lünen zu fahren.“ Es passte, dass Alemannia Geld brauchte, Hertha BSC stellte einen Scheck über 300.000 Mark Ablösesumme aus, von drei zusätzlich vereinbarten Freundschaftsspielen fand nur eines statt. Hermandung ging in seinem 188. Liga-Einsatz mit seinem 48. Tor beim 2:1 gegen Wattenscheid 09. „Vom Verein verabschiedet wurde ich nicht. Ich bin dann bei meiner Auswechslung schön langsam vor die Haupttribüne gegangen, die Tribüne entlang, am Würselener Wall vorbei . . .“

Im Rückblick ist Hermandung froh, dass der Transfer nach Berlin nicht schon im Jahr zuvor zustande gekommen war. „Wer weiß, ob ich nicht auch in den Bundesliga-Skandal reingeraten wäre.“ Die Hertha nahm eine Hauptrolle ein, etliche Spieler wurden gesperrt, „eigentlich wollte ich da schnell wieder weg. Aber dann wurde eine neue Mannschaft aufgebaut.“ Wie mit Alemannia wurde Hermandung mit der Hertha Vizemeister (1975) und zog ins Pokal-Finale (1977) ein. Bei Eintracht Trier (bis 1981) wählten ihn die Fans in vier Spielzeiten zum Spieler der Saison, bei der SpVgg Bayreuth beendete er 1982 seine Profi-Karriere.

„Wenn ich das verdient hätte, was heutzutage gezahlt wird, dann wäre ich Multi-Millionär“, sagt Erwin Hermandung. 1986 holte ihn Werner Fuchs als Co-Trainer zurück an den Tivoli; die Chefs, die er bis zum erstmaligen Abstieg in die Drittklassigkeit 1990 erlebte (Ferner, Neururer, Denizli, Krautzun), kommen in der Beurteilung mehr oder weniger schlecht weg.

Vielleicht ist der 75. Geburtstag ein schöner Anlass, dass sich die Alemannia-Verantwortlichen eines der größten Spieler der Klubgeschichte erinnern. „Traurig, da ist viel eingeschlafen. Wenn ich Hertha in Gladbach sehen möchte, dann besorgt mir Michael Preetz eine Karte. Bei Alemannia bezahle ich die Karte an der Kasse selbst. Dabei geht es mir nicht ums Geld.“

Am Sonntag wird zu Hause in Baal im Kreise der Familie gefeiert, mit Partnerin Marianne, Tochter Susanne, Sohn Gerwin und den fünf Enkelkindern. „Zum Achtzigsten mache ich dann wohl wieder was Größeres.“

Aufrufe: 023.8.2019, 12:00 Uhr
Klaus Schmidt | AZ/AN Autor