2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview der Woche
F: Institut für Sportgeschichte Baden-Württemberg e.V. (IfSG)
F: Institut für Sportgeschichte Baden-Württemberg e.V. (IfSG)

Wie arbeitet man die eigene Geschichte auf?

Martin Ehlers berichtet vom IfSG als zentraler Dokumentationsstelle des Sports in Baden-Württemberg

Große Jubiläen standen in den letzten Jahren und stehen auch in Zukunft bei vielen Vereinen an. Damit ist jeweils die Frage verbunden, wie man den eigenen Verein z.B. zu dessen 100-jährigem Jubiläum präsentieren möchte. Gibt man eine Festschrift heraus? Nimmt man das Jubiläum zum Anlass, die Vereinsgeschichte einmal grundlegend aufzuarbeiten?
Wie auch immer man sich entscheidet: Wer die Vergangenheit erforschen will, muss dafür Quellen sammeln und auswerten. Doch das ist meistens nicht so einfach, befinden sich die Vereinsarchive an vielen Orten in einem beklagenswerten Zustand. Wie baut man also ein Archiv auf?
Für diese und andere Fragen gibt es in Maulbronn einen kompetenten Anprechpartner. Seit 1993 exisitiert dort das Institut für Sportgeschichte Baden-Württemberg e.V. (IfSG), das als zentrale Dokumentationsstelle des Sports in Baden-Württemberg fungiert. Wir haben mit Martin Ehlers, dem Geschäftsführer des IfSG, über sein Institut, regionale Sportgeschichte und das Arbeiten mit Quellen gesprochen.

Guten Tag Herr Ehlers, am 21.05.2018 treffen sich der FV Wiesental und der FC Forst zum insgesamt 60. Ligaduell seit 1945. Beide Vereine waren über Jahrzehnte sportliche Aushängeschilder des Bruchsaler Kreises, aktuell ist aber die Kreisliga Realität. Wäre ein so historisch bedeutsames Spiel nicht eine Möglichkeit, Vereinsgeschichte zu präsentieren?

Anhand dieses Beispiels könnten gleichermaßen Tradition wie Entwicklung sowohl der Vereine als auch der Rahmenbedingungen der Spiele aufgezeigt werden. Gerade der mühselige Wiederaufbau von funktionierenden Strukturen im Nachkriegsdeutschland war eine enorme Leistung und verdeutlicht die gesellschaftliche Bedeutung des Vereinssports in schwierigen Zeiten. Wenn man den Bogen bis heute schlagen würde, könnte damit eine Epoche regionaler Sportgeschichte dargestellt werden.

Seit Herbst 1993 hat Baden-Württemberg ein Institut für Sportgeschichte. Erzählen Sie uns doch bitte etwas von den Anfängen. Was gab den Anstoß, ein Institut zu gründen?

Den Anstoß zur Gründung des Vereins „Institut für Sportgeschichte Baden-Württemberg e.V.“ (IfSG) gab zum einen der „freie Sport“, d. h. Vertreter aus Verbänden und Sportorganisationen, und die Universität Tübingen. Maßgeblich waren daran Prof. Michael Krüger – heute Universität Münster – und Andreas Felchle – heute Präsident des Württembergischen Landessportbundes – beteiligt. Da sich keine Einrichtung um die historischen Quellen der zahlreichen Vereine und Verbände in Baden-Württemberg kümmerte, die mittlerweile über 200 Jahre zurückreichen, hat man beim IfSG Eigeninitiative ergriffen und sich deren Sicherung und Erschließung zur Aufgabe gemacht.

Die Gründerzeit ist gemeistert, das IfSG steht mittlerweile auf einem soliden Fundament. Es ist dabei inzwischen auch mit dem Landesarchiv verwoben. Wie dürfen wir uns diese Zusammenarbeit vorstellen?

In den ersten Jahren musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um die Finanzierung unseres Vereins sicher zu stellen. Aber aus den Sportorganisationen heraus und dank der Unterstützung des Kultusministeriums konnte die Grundlagenarbeit sichergestellt werden. Seit diesem Jahr ist nun das Sportarchiv im Landesarchiv Baden-Württemberg in Stuttgart als eigene Stelle eingerichtet worden. Sowohl der Verein „Institut für Sportgeschichte“ als auch das Sportarchiv im Landesarchiv arbeiten eng miteinander zusammen, sei es bei Dokumentationsprojekten, Veranstaltungen und Beratungsseminaren, die für Vereine und Verbände angeboten werden. Durch die Infrastruktur, die im Landesarchiv vorhanden ist, können die Dokumentationsarbeit und die Spezialbibliothek weiter ausgebaut werden.

In Ihren Beständen findet sich auch die Überlieferung regionaler Fußballvereine. Von Bauschlott bis Zaisersweiher liegen dabei Quellen aus etwa 20 Vereinen aus dem Pforzheimer Kreis bei Ihnen. Hängt diese regionale Dichte ursächlich mit der Lage des IfSG in Maulbronn zusammen?

Ausgehend vom Standort Maulbronn haben wir bei unserem ersten Projekt flächendeckend die Vereine im Enzkreis dokumentiert, da wir erst einmal Erfahrungen sammeln mussten und deshalb kurze Anfahrtswege vorteilhaft waren, um notfalls korrigierend eingreifen oder Nachlieferungen von ehrenamtlich Tätigen nachtragen zu können. Viele Dokumente zur Vereinsgeschichte sind häufig bei verschiedenen aktiven und ehemaligen Vorstandsmitgliedern verteilt. Darüber hinaus gibt es im Enzkreis nicht nur gleichzeitig badische und württembergische Vereine, sondern auch vier Sportkreise. In einer Umfrage bei baden-württembergischen Vereinen ergab sich, dass die prozentuale Häufigkeit der Sportarten im Enzkreis ähnlich wie im ganzen Bundesland verteilt ist.

Wie sieht es mit dem Überlieferungszeitraum aus? Genießen Quellen aus der Zeit vor 1945 bzw. 1918 einen höheren Stellenwert?

Zweifelsohne ist es immer schwieriger Unterlagen und Fotografien zu bekommen, die vor bzw. zwischen den beiden Weltkriegen entstanden sind. Ab den 1960er Jahren „sprudeln die Quellen“ natürlich besser, aber auch die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte liegt in unserem Fokus und muss für die Nachwelt gesichert werden. Eine große Herausforderung wird es sein, die vielen digitalen Dokumente der vergangenen Jahrzehnte für die Zukunft zu sichern. Hier sind wir genauso wie bei den Unterlagen in Papierform auf die Zusammenarbeit mit den Vereinen und Verbänden angewiesen. Nur das, was dort überliefert wird, können wir auch für die Zukunft erschließen und zugänglich machen.

Jährlich bieten Sie einen Workshop für Jubiläumsvereine und Vereinsarchive an. Dazu haben Sie einen Leitfaden zu dieser Thematik herausgebracht, der 2010 schon seine vierte Auflage erfahren hat. Wie ist die Resonanz zu beiden Angeboten?

Sowohl der Workshop als auch der Leitfaden „Sammeln, Archivieren, Auswerten“ werden regelmäßig nachgefragt und bestätigen, den Bedarf unseres Beratungsangebots. Darüber hinaus beraten wir auch in Zusammenarbeit mit Dach- und Fachverbänden.

Wie dürfen wir uns die Kontaktaufnahme zwischen Ihrer Einrichtung und einem Verein vorstellen? Kommen Vertreter auf Sie zu, wie und was wird archiviert?

Entweder gehen wir seitens des IfSG oder des Sportarchivs im Landesarchiv auf Vereine oder Verbände direkt zu, die aufgrund ihres Alters, ihres Angebots oder ihrer gesellschaftlichen Ausrichtung interessante Quellen vorliegen haben oder wir werden auf unser Angebot angesprochen. Beides verläuft unkompliziert: Die Materialien werden beispielsweise bei Vereinen vor Ort gesichtet und bewertet, ob sie archivwürdig sind. Im Sportarchiv werden nun die Unterlagen wie Protokolle, Bauakten, Mitgliederverzeichnisse, Urkunden oder Dokumente rund um das Vereinsleben sowie Bilder durch Findmittel erschlossen, digitalisiert und nach der Bearbeitung möglichst an das zuständige Kommunal- oder Kreisarchiv abgegeben, um sie dort langfristig lokal zu sichern.

Können Sie uns etwas zur Nutzung der Quellen sagen? Steht diese prinzipiell Interessierten offen? Was muss man beachten, wenn man mit Archivquellen arbeitet?

Im Archivgesetz des Landes Baden-Württemberg findet sich zur rechtlichen Situation folgende Regelung: „Jedermann, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, hat nach Maßgabe der Benutzungsordnung das Recht, das Archivgut nach Ablauf der Sperrfristen zu nutzen, soweit sich aus Rechtsvorschriften oder Vereinbarungen mit derzeitigen oder früheren Eigentümern des Archivguts nichts anderes ergibt.“ Weiter heißt es: „Archivgut darf nicht vor Ablauf von 30 Jahren seit Entstehung der Unterlagen genutzt werden.“ Wenn man mit historischen Quellen arbeitet, sollte man auch ihre Fundstelle bzw. Archivsignatur nachweisen. Zum einen zeigt man bei einer Veröffentlichung, auf welche Quellen man sich berufen hat, und zum anderen verliert man selbst nicht den Überblick, woher eine Information stammt.

Wieso hat regionale Sportgeschichte eine so erhebliche Bedeutung?

Bei der Erfassung von bedeutsamen Quellen zur Sportgeschichte eines Landes bzw. einer Region spielen politische Verhältnisse und Verwaltungsstrukturen eine erhebliche Rolle. Ist die Verwaltung föderalistisch gestaltet, wirkt sich diese Struktur genauso auf den Sport aus, wie ein zentralistisches geprägtes System. Wer lokale und regionale Entwicklungen nicht berücksichtigt, wird genauso scheitern wie wenn man ehrenamtliche Strukturen nicht verstehen lernt.

Warum ist das Institut für Sportgeschichte der ideale Partner, um sich mit der eigenen Vereinsgeschichte zu befassen?

Das Institut berät genauso wie das Sportarchiv Vereine unentgeltlich in sämtlichen sportgeschichtlichen Fragen. Darüber hinaus bietet es Vereinen eine kostenlose Möglichkeit, sie bei der Archivierung ihrer Unterlagen zu unterstützen bzw. diese fachmännisch zu übernehmen. Die Spezialbibliothek des Sportarchivs steht allen Interessierten nach Vereinbarung offen. Die einzelnen Buchtitel sind über das Internet recherchierbar. Auch bieten beide Einrichtungen Beratung bei der Organisation einer Jubiläumsausstellung und beim Verfassen einer Vereinschronik.

Der knapp 100 Seiten umfassende Band „Sammeln, Archivieren, Auswerten. Ein Leitfaden für Vereinsarchive, Festschriften und Jubiläumsausstellungen“ bietet genau das, was er verspricht. Es ist ein Leitfaden, der Grundlegendes erläutert, auf weitere Literatur verweist und insgesamt als praxisnahe Anleitung dienen kann. Der Band ist 2010 in seiner mittlerweile vierten Auflage erschienen und gegen eine geringe Schutzgebühr direkt beim IfSG erhältlich.
Weiter sei noch auf den von Martin Ehlers oben erwähnten Workshop für Jubiläumsvereine und Vereinsarchive verwiesen. Der findet in diesem Jahr am 28. und 29. Oktober im Kloster Maulbronn statt. Der Teilnahmebeitrag beträgt 35 €. Das Programm ist dem nachfolgenden Link zu entnehmen.

http://www.ifsg-bw.de/images/a/aa/Ifs_flyer_workshop_2017_Netz.pdf

Aufrufe: 024.7.2017, 14:00 Uhr
Florian WittmannAutor