Am Ende waren all die Mühen umsonst gewesen. Der lange Weg und all der Schweiß einer ganzen Saison. Der Traum vom Durchmarsch in die Kreisklasse – wie eine Seifenblase ist er zerplatzt an diesem Samstagnachmittag. In Altenfurt, gegen die SC Viktoria, mussten Muarrem Demir und seine Truppe erkennen: Diese A-Klasse ist nicht einfach nur eine Durchgangsstation. „Wir müssen das jetzt erst einmal sacken lassen“, sagt Demir.
Er ist Spielertrainer bei der DJK und erst letztes Jahr hierher aufgestiegen. An der Hand hält er seine zwei kleinen Töchter. Man malt sich in diesen Momenten vielleicht aus, wie es hätte sein können in der Kreisklasse. Man wird an die Bilder nach dem Gewinn, des WM-Titels erinnert, wie Bastian Schweinsteiger Podolskis Sohn auf dem Rasen des Maracana ausführt. Es hätte alles so schön sein können, wenn, ja, wenn dieses Relegationsspiel am Ende eben nicht mit 1:2 verloren gegangen wäre.
Kleine Schildchen mit „Heute Sieg“, „Konzentration“, und „ein Team“ hängen vor Spielbeginn in der Kabine, diesem Zehn-Quadratmeter-Kabuff, an dem sich die Knie der gegenübersitzenden Spieler touchieren. „Die Bilder hingen da aber schon“ sagt Demir. Neumodische Motivationsutensilien vermeintlicher Konzepttrainer sind nicht das Ding des 33-Jährigen. „Wenn überhaupt“, sagt er „dann würde da stehen: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren“. Die Ansprache hält er auf Türkisch, aber die Spieler von Eintracht Süd sind höflich: „Sollen wir übersetzen oder lieber zuhören?“ fragen sie. Demir ist für Ersteres. Unnötige Standards wolle man vermeiden, sich gegenseitig unterstützen und jeder solle für jeden kämpfen – das sind die Brocken, die nach jedem Halbsatz des Trainers leise durch die Kabine geflüstert werden.
Dann ist es so weit, die Spieler gehen raus, machen sich warm – nur Demir hat es nicht ganz so eilig. „Das Schlechte als Spielertrainer ist, dass man immer der Letzte ist beim Rausgehen.“ Man spürt, wie der, nun ja, ganz gut gebaute Demir unter der Situation leidet, die Sprintübungen der Kollegen nicht mitmachen zu können. „Ab einem gewissen Alter braucht man sich nicht mehr so viel warmmachen“, findet Demir. Nervös ist er vor der entscheidenden Partie nicht. „Ich bin eher aufgeregt. Wenn das nicht so wäre. Dann wäre aber auch was falsch.“ Vorbereitet haben sie sich jedenfalls wie immer. „Also nicht trainiert.“ Demir muss grinsen.
Die Wahrheit liegt schließlich nicht auf dem Trainingsplatz. Sondern auf dem frisch gemähten Altenfurter Rasen. Und dort wurde in der 32. Minute am Rande des Sechzehnmeterraums binnen Sekunden eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Anstatt den Ball, wie es sich in brenzligen Situationen und für diese Spielklasse gehört hoch und weit nach vorne zu bolzen, wurde A-Klassen-untypisch das Dribbling gesucht. Die Folge: ein bitterer Ballverlust und das 0:1. Thema in der Kabine war der Fauxpas dann aber nur ganz kurz. An die Ehre wurde stattdessen appelliert, auf die vielen Zuschauer verwiesen. 120 Menschen säumten das Altenfurter Sportgelände.
Ja, es wurden in dieser Halbzeitansprache sogar Amateurfußballwunder bemüht, wie jenes, das sich Mitte der Woche im fernen Raitersaich zugetragen hat. Als die Jungs des ASN Pfeil/Phönix gegen Hagenbüchach nach einer Stunde scheinbar aussichtslos 0:3 zurücklagen, das Spiel dann aber drehten und mit 4:3 in Führung gingen. Zwar verloren die tapferen Pfeile am Ende noch, aber darum ging es hier nicht: „Bei uns steht es gerade mal 0:1“, sagt Demir. Und überhaupt: Er habe jetzt Rückenwind. „Alle meine Bälle kamen zurück. Der Wind war ein Handicap. Die Bälle kommen jetzt weit“, kündigt er an.
Er spielt den linken Innenverteidiger. Wenn er hinten am Ball ist, versetzt das die Stürmer regelmäßig in helle Aufruhr: „Muri Diago“ rufen sie dann sicherheitshalber und bringen sich in Position. Geholfen haben seine Bälle heute nichts. Nach einem eigenen Standard ist Demir noch zu weit vorne, hastet dem Viktoria-Spieler eilig hinterher, greift an der Mittellinie noch nach dessen wehenden Trikot. Vergeblich. Zu schnell wird der Konter vorgetragen und die Eintracht nach der Pause kalt erwischt. Versucht haben sie danach alles.
Auch Hakan Aydogdu, der 30-Tore-Mann der Eintracht hat sich nach dem 0:2 in seinem letzten Spiel noch mal reingehauen, ist gerannt wie ein Wiesel und hatte sogar zweimal den Ausgleich auf dem Fuß. Ein Abschiedstor wäre vielleicht zu kitschig gewesen. Nach zweieinhalb Jahren verlässt er den Verein. Zu Erlangen-Bruck, Süd 73 oder Quelle Fürth zieht es ihn. Probetrainings hat er dort schon absolviert. Wohin genau es hingeht, das weiß er aber noch nicht. Nur, dass der Abschied nach zweieinhalb Jahren sehr schwerfällt: „Diese Liga hat auch ihren Reiz. Die Zuschauer hier sind alles Freunde von uns“, sagt der 20-Jährige. Dann verschwindet er in der Kabine.
Es ist ein stiller Abschied aus der A-Klasse. Die anderen wollen es im nächsten Jahr dann auch schaffen. Ohne ihren Torjäger zwar, aber sicher mit dem ein oder anderen Diagonalball von Muarrem Demir.
Das Wetter passt natürlich hervorragend zu diesem Spiel, das für Vatanspor das letzte in dieser Saison werden soll. Vor dem Anpfiff scheint die Sonne, doch über der Sportanlage der DJK Bayern verdichten sich die Wolken schon zu einer dunklen bedrohlichen Wand, die später Regen in den Wiesengrund schicken wird.
Nach dem Schlusspfiff, nach 120, für A-Klassen-Verhältnisse äußerst hochklassigen Minuten, als der Himmel zu weinen aufgehört hat und die Sonne wieder strahlt, sieht man jubelnde Fußballer in blauen Trikots und das mit dem Weinen, das haben inzwischen die in Grün gekleideten Spieler von Vatanspor übernommen. Vereinzelt schimpfen sie mit dem Schiedsrichter, aber die meisten wissen, dass sie schon selbst schuld sind, dass es in dieser Saison wieder nichts geworden ist mit dem Aufstieg in die Kreisklasse. Auf der Anzeigetafel hängen zwei Schilder, die 3 gehört ihnen, die 4 ihrem Gegner vom SSV Elektra Hellas, der sich nun in der zweiten Relegationsrunde weiter um den Aufstieg bewerben darf.
„Ich gönne es allen, die uns schlagen“, sagt Ercan Celik, dieser Vulkan von einem Trainer, der zuvor 120 Minuten an der Seitenlinie gebrodelt hat und der in der Halbzeitpause zwischenzeitlich ausgebrochen ist, weil seine Jungs nicht das umgesetzt haben, was er ihnen vor der Partie aufgetragen hatte. Jetzt, als alles vorbei ist, als sie gleich dreimal eine Führung verspielt haben und Hellas nach einem maximal mitreißenden Spiel gewonnen hat, ist Celik plötzlich ganz ruhig und wirkt gefasst. „Ich habe ein paar wunderbare Spieler, aber sie reden einfach zu wenig miteinander“, sagt er. „Vor der Verlängerung habe ich gesagt: ,Wenn ihr so weitermacht, verlieren wir.‘“
Hin- und her ist dieses packende Duell zwischen den beiden Mannschaften mit den türkischen und den griechischen Wurzeln gegangen. Sonne, Wolken, Regen, wieder Sonne – nur, dass die am Ende eben nur für Hellas lacht.
Vor einer Woche haben sie schon einmal die anderen beim Feiern beobachtet. Am letzten Spieltag der regulären Saison hatten sie spielfrei und mussten tatenlos dabei zusehen, wie der TV Glaishammer sich mit einem Sieg doch noch in der Tabelle an ihnen vorbeigeschoben hat. Als Glaishammer 2:0 in Führung gegangen ist und die Spieler auf dem Platz bereits Purzelbäume schlugen, haben sie es nicht mehr ausgehalten und sind nach Hause gegangen. Der Traum vom Aufstieg, er war ja noch lebendig, sie hatten es ja noch selbst in der Hand. Auch nach 45 Minuten in diesem Relegationsspiel sieht es gut aus, sie führen mit zwei Toren ihres flinken Außenstürmers Dorin Prelipcean, Hellas kann lediglich durch ein Traumtor des überragenden Ex-Landesligakickers Ioannis Palpanis, der am Ende alle vier Tore für Hellas erzielen wird, den Anschluss halten.
In die zweite Hälfte geht es mit Verzögerung. Jemand hat die Schiedsrichter aus Versehen in deren Kabine eingesperrt. Es ist der einzige Moment bei diesem Fußballfest, der wirklich Alltag in der A-Klasse ist, auch die Nerven haben beide Teams erstaunlich gut im Griff, das war bei Vatanspor in dieser Saison ja nicht immer der Fall. Auf dem Feld geht es mitunter hart zur Sache – Relegation eben, aber richtig unfair wird es eigentlich nie. Wenn einer zu Fall kommt, hilft ihm sein Gegenspieler wieder auf, als die Emotionen nach dem 3:3 in der 90. Minute doch noch hochkochen, rufen die Ordner vorsichtshalber schon mal bei der Polizei an, doch es bleibt auch nach dem dramatischen Ende ruhig, auf dem Rasen nehmen sie sich teilweise sogar gegenseitig in den Arm.
Auch Celik will seine Jungs nun trösten und danach möchte er von ihnen wissen, ob sie auch in der kommenden Saison wieder alles für den Aufstieg geben wollen. „Nur dann mache ich weiter“, sagt der Trainer. „Für alles andere habe ich keine Zeit.“ Dann verabschiedet er sich, er muss schnell nach Hause, in der Arbeit wartet die nächste Nachtschicht auf ihn, das Wetter ist dann egal.