2024-05-17T14:19:24.476Z

Allgemeines
– Foto: Günter Staudinger

Ein Ur-Lintorfer mit Schwaben-Herz

Ratingen ist eine fußballbegeisterte Stadt – mit breit gefächerten Sympathien. In unserer Serie berichten Anhänger unterschiedlicher Vereine über die Liebe zu ihrem Klub, ihre schönsten Fan-Erlebnisse, -Rituale und -Träume.

„Min Verein, dat is Stuttjart“ – so, wie Manfred Etzrodt dürften nicht allzu viele VfB-Fans ihren Herzens-Klub aussprechen. Denn auch, wenn man in der Schwaben-Metropole starken Dialekt pflegt: Tiefstes Ratinger Platt ist dort eine absolute Besonderheit.

Tatsächlich hat „Manni“ auch gar keinen landsmannschaftlichen Bezug zu seinem Verein. Vielmehr brachten ihn einst „äußere Umstände“ zum VfB Stuttgart.

Als Etzrodt noch in der Jugend von Rot-Weiß Lintorf zwischen den Pfosten stand, hörte er eines Tages den Satz: „Jung, Du siehst aus, wie Günter Sawitzki.“ Der Vergleich zum damaligen Nationaltorhüter, der seinerzeit gerade vom SV Sodingen nach Stuttgart gewechselt war, beschäftigte ihn. „Da hab‘ ich mir am nächsten Tag erstmal die Zeitung geholt, nachgeschaut und festgestellt: Das stimmt!“ Von da an war Sawitzki sein Vorbild – und der VfB sein Verein.

Fortan war er mit weiß-roter Leidenschaft dabei, erlebte, wie Sawitzki und der VfB sich in der neu gegründeten Bundesliga bewährten und besuchte hin und wieder auch die Spiele. Bis eine zufällige Begegnung sein Fan-Dasein noch einmal auf eine andere Ebene hob: „An einer Ampel mitten in Ratingen sprach mich plötzlich einer an: ‚Wir suchen den Platz von Ratingen 04/19‘.“ Neben ihm stand der Busfahrer des VfB, der den Weg zu dessen Trainingsstätte nicht fand. Etzrodt lotste den Bus kurzerhand persönlich zum gewünschten Ziel – der Beginn einer engen Freundschaft mit Rolf Geissler, dem bis zu seinem Ruhestand dienstältesten Busfahrer der Bundesliga.

Seitdem gilt dessen Wort: „Manni, wenn was ist, ruf an!“ Bei Spielen im Westen besuchte Etzrodt den VfB-Tross im Hotel, zu Heimspielen durfte er den VIP-Bereich kennenlernen. So knüpfte er über die Jahre Kontakte in alle Ebenen des Traditionsvereins, feierte und fachsimpelte mit Präsidenten, Meister-Trainern wie Armin Veh oder Felix Magath und Spieler-Legenden wie Europameister Hansi Müller oder Weltmeister Guido Buchwald. „Und meistens wurde ich erstmal gefragt, wie ich als Rheinländer auf Stuttgart komme“, sagt Etzrodt.

Als „Höhepunkt“ beschreibt er die Meisterfeier bei Stuttgarts letztem Titelgewinn, 2007. „Da feierten über 100.000 Fans im Stadion und auf dem benachbarten Vasen.“ Er selbst feierte noch mit der Mannschaft bis 6 Uhr morgens beim Nobel-Italiener. Etzrodt ist deswegen aber kein Nobel-Fan oder gar „Eventi“. Jahrelang riss er regelmäßig die rund 800 Auto-Kilometer zu Heimspielen alleine und an einem Tag ab. Auch auswärts ist er ein Weitgereister in Sachen VfB: Barcelona, London und Berlin stehen unter anderen in seiner persönlichen Chronik, die „Spiele im Westen“ sowieso.

In Leverkusen erlebte er eines der spektakulärsten Meisterschaftsrennen hautnah mit: Am letzten Spieltag der Saison 91/92 standen mit Frankfurt, Stuttgart und Dortmund drei Teams punktgleich an der Tabellenspitze. Kurz vor Schluss köpfte Buchwald den VfB zum Titelgewinn. Und dann brachen alle Dämme. „Da sind wir alle aufs Feld gelaufen.“

2007 unterbrach Etzrodt für die Tour zum Pokalfinale sogar den Familienurlaub auf Sylt, auch wenn er sich dafür von seiner Frau für „bekloppt“ erklären lassen musste. Mit dem ersehnten Pokalsieg wurde es nichts, dafür bekam er ein Fan-Utensil, das offiziell nie erhältlich war: Einen von jenen „Double“-Schals, die schon vorab gedruckt waren, durch die Endspiel-Pleite jedoch ihre Berechtigung verloren hatten.

Als besonders stimmungsvoll ist ihm das Champions-League-Spiel beim FC Chelsea in Erinnerung geblieben, ebenso die „Fußballverrücktheit der Engländer“. Und sportlich am packendsten war das 4:4 in Dortmund, als man nach 0:2- und 3:4-Rückstand beim damaligen Meister und Tabellenführer in der Schlussminute doch noch punktete.

Trotz Meisterschaften, Pokalsieg und Europacup-Reisen bezeichnet er ein anderes als sein schönstes VfB-Erlebnis: „Das war der Aufstieg 2017“, betont Etzrodt, „endlich wieder aus der zweiten Liga raus!“ Ein Gefühl, das es ja in diesem Sommer auch wieder gab – diesmal Corona-bedingt nur ohne Stadion-Besuch. Und den vermisst der Ur-Lintorfer schon sehr. „Ich bin heiß darauf, ins Stadion zu gehen, sobald es wieder geht.“ Und da freut er sich nicht nur auf seine gewachsenen Bekanntschaften unter den „Offiziellen“ des Vereins, sondern auch auf dessen Fans. „Die sind mit ihrer Stimmung absolute spitze, auch auswärts. VfB-Fans sind weit verbreitet.“

Ohnehin seien „die Schwaben ein ganz freundlicher Menschenschlag und ein super Fußballvolk – eine große VfB-Familie“. Und deren Familienbande hält auch weit über Stuttgart hinaus. Als etwa Ex-VfB-Torjäger Giovanni Elber zu seiner Gladbacher Zeit in der Waldseesiedlung wohnte, traf Etzrodt ihn häufiger auf seiner üblichen Spazierrunde. „Da haben seine Kinder immer mit meinem Hund gespielt.“

Nach weit über 50 Jahren VfB-Anhängerschaft kennt man die sportliche Leidenschaft des heute 72-Jährigen mittlerweile in ganz Lintorf. Da kommt dann auch schon mal ein Anruf aus der Stammkneipe: „Manni, komm rum, ich mach Dir die VfB-Übertragung an.“ Überhaupt lobt der gebürtige Ratinger die Fankultur in seiner Heimatstadt: „Das ist hier eine tolle Gemeinschaft der Fußballfans – bunt gemischt, alle begeistert, und man kommt gut miteinander zurecht.“

Was seinen VfB angeht, so ist Manfred Etzrodt „erstmal wieder froh, dass wir erste Liga sind“. Und hier gelte es, sich wieder zu etablieren. Sein Wunsch: „Nochmal einen Pokalsieg in Berlin sehen.“ Und gegen die anschließende Feier hätte er sicher auch nichts einzuwenden – auch, wenn er dann sicher wieder allen erzählen muss, wie er als Ratinger zum Schwaben-Fan wurde…

Aufrufe: 026.8.2020, 17:00 Uhr
RP / Mark ZellerAutor