2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines

Steven Jones ist mit beiden Beinen zurück im Leben

Sein Leben hat sich am 18. Mai 2008 nach einem Kopfballduell einschneidend verändert. „So unglücklich der Unfall auch war, so optimal lief alles danach“, sagt der ehemalige Spieler des SV Enger-Westerenger heute

"Ich denke nicht mehr viel an das, was passiert ist“, sagt Steven Jones. Mit „das, was passiert ist“, meint der 39-Jährige den einschneidendsten Augenblick seines Lebens.

Es ist der 18. Mai 2008 und auf dem Kunstrasenplatz an der Poststraße in Verl läuft die 16. Minute des Fußball-Landesliga-Spiels zwischen dem SC Verl II und Union Minden. Was dann kommt, lässt den Protagonisten noch heute den Atem stocken. Bei einem Kopfballduell kollidiert Jones mit Mitspieler Kai Wiebusch und Gegenspieler Dennis Kroos (spielt heute beim SC Herford). Die Folgen sind verheerend. Jones erleidet ein Schädel-Hirn-Trauma, seine Überlebenschancen werden auf zwei Prozent taxiert. Zehn Jahre später muss der Mindener mit diversen leichten Einschränkungen leben, doch wenn man ihn sieht, merkt man: Es geht ihm sehr gut.

„Für die Schwere der Verletzungen habe ich das Optimum für mich herausgeholt“, sagt Jones heute. So kann der ehemalige Spieler des SV Enger-Westerenger inzwischen wieder Fahrradfahren, ein Auto lenken, er geht als Key Account Manager einem geregelten Job nach und ist in einer glücklichen Beziehung. „Mir geht es also wirklich gut“, erzählt der Ex-Fußballer, dessen Leben sich an jenem Sonntagnachmittag schlagartig für immer änderte.

Dass er sein Leben heute so führen kann, bezeichnen manche als Wunder. Für Steven Jones selbst ist es vor allem ein Resultat aus unbändiger Arbeit und eisernem Willen – und der Verkettung vieler glücklicher Umstände. „So unglücklich der Zusammenprall auch war, so optimal lief alles nach dem Unfall“, berichtet er. So rettete der ehemalige Union-Betreuer Hendrik Lange ihn vor dem Ersticken, als er Jones’ Zunge aus dem Hals holte. Zudem lief neben dem Fußballplatz gerade eine Flugshow. „Dadurch waren Rettungswagen und Hubschrauber vor Ort“, sagt der einstige Teamkapitän, der so binnen kürzester Zeit in die neurologische Spezialklinik Gilead in Bielefeld-Bethel geflogen wurde: „37 Minuten nach dem Unfalls lag ich auf dem OP-Tisch.“ Dort kämpften die Ärzte stundenlang um sein Leben. Einer von ihnen leitete nach der Operation eine zweite CT-Untersuchung ein und fand dabei eine weitere Hirnblutung. Jones: „Hätte man die nicht gefunden, wäre ich heute tot. “


Nach der OP folgten vor allem für die Familie nervenaufreibende Stunden. Drei Tage nach dem Zusammenprall herrschte zwar keine akute Lebensgefahr mehr, doch keiner konnte ahnen, wie es Jones ergeht, wenn er aus dem Koma erwachen würde. Am 31. Mai, also 13 Tage nach dem Unfall, war es soweit. Einen Tag danach verspielte Union Minden mit einem 3:3-Remis beim VfB Fichte Bielefeld den Aufstieg in die Verbandsliga. „Wäre das nicht passiert – ich glaube wir wären aufgestiegen“, sagt der Mindener heute. Doch das war natürlich Nebensache. Denn von dort an beginnt Steven Jones’ Kampf zurück ins Leben.


„Keiner wusste, als ich aufgewacht bin, wie es mir geht und welche Schäden Gehirn und Gedächtnis genommen haben“, erzählt er und erinnert sich an eine Anekdote: „Meine Mutter hat mich gefragt, wer sie sei. Da ich noch intubiert war, konnte ich nicht antworten und habe auf einen Zettel geschrieben ’Ich bin doch nicht blöd’. Da wussten alle, dass es nicht ganz schlimm sein konnte.“ Für ihn selbst war die Situation surreal. „Ich habe irgendwann registriert, dass ich im Krankenhaus bin. Doch was ich hatte, wusste ich nicht. Ich habe mich auch gefragt, warum meine Verwandten bei mir am Bett saßen“, so der heute 39-Jährige, der noch nicht beweglich war – seine linke Körperhälfte war gelähmt.


In mühsamer Arbeit und etlichen Behandlungen musste er alles neu erlernen. „Ich dachte am Anfang, dass die Reha losgeht und ich das Laufen sofort wieder lerne. Mir war sonnenklar, dass ich wieder Fußball spielen werde.“ Mit dieser Motivation machte er große Fortschritte. Sein damaliger Arzt Dr. Alexander Hemmersbach sagt: „Steven ist ein Vorbild für andere Patienten.“


In dieser Zeit läuft allerdings nicht alles positiv. Steven Jones war Lehramtsstudent, stand kurz vor dem Abschluss – und musste diese Pläne verwerfen. „Da hat man natürlich Existenzängste. Ich wusste nicht, wie es weitergeht“, sagt Jones, der von Ersparnissen leben musste und auf die Hilfe seiner Familie angewiesen war. „Die Hilfe von meiner Mannschaft, dem Verein und der gesamten Fußballszene werde ich nie vergessen“, sagt er, der mit einigen tausend Euro aus Spenden unter anderem bei ein Benefizspiel bedacht wurde: „Das Geld habe ich in die Therapien und Fortbildungen für meine berufliche Zukunft investiert.“

Inzwischen steht Steven Jones, der vor seiner Zeit bei Union Minden etwa beim FC Gütersloh Zweitliga-Luft schnupperte, für den SC Verl in der Regionalliga spielte und mit Ex-Nationalspieler Arne Friedrich befreundet ist, wieder mit beiden Beinen im Leben – fast so als wäre nichts gewesen. „So kann man das aber auch nicht sagen“, sagt er. Vor allem seine Einstellung hat sich geändert. „’Hauptsache gesund’ ist bei mir keine Floskel – so lebe ich“, erklärt Jones, der sich bewusst ernährt, viel Sport im Fitnessstudio, der Reha oder auf dem Fahrrad treibt und das Leben noch viel mehr schätzt als vorher. „Dabei denke ich immer positiv. Es ist wichtig sich hohe, aber realistische Ziele zu setzen und Wünsche zu haben. Dann werden sich diese auch erfüllen.“

Aufrufe: 06.6.2018, 09:37 Uhr
Patrick SchwemlingAutor