2024-05-10T08:19:16.237Z

Interview
In dieser Woche im FuPa-Interview der Woche: Ali Cakici, Aufstiegstrainer der TuS Marienborn. Foto: D. Ritz /  Ig0rZh – stock.adobe
In dieser Woche im FuPa-Interview der Woche: Ali Cakici, Aufstiegstrainer der TuS Marienborn. Foto: D. Ritz / Ig0rZh – stock.adobe

"... dann sind wir wie eine Maschine"

Ali Cakici, Erfolgstrainer der TuS Marienborn, spricht über den Aufstieg, seine speziellen Methoden, die Oberliga und so manche Kontroverse

Zweite Saison, zweiter Aufstieg: Ali Cakici hat es geschafft, die TuS Marienborn von der Bezirks- in die Verbandsliga zu führen. Im Interview der Woche spricht der 51-Jährige über Meisterfeier und Berufsalltag, Rein-Raus-Micky-Maus und Clowns-Nase, die Trennung vom TSV Schott und die Zukunft der TuS, Etienne Portmanns Verbleib und (wenige) Neuzugänge, kontroverse Aussagen und große Vorbilder.

Mit was für einem Gefühl bist Du am Morgen nach der Meisterfeier aufgestanden?

Einem guten! Über Nacht hat sich das alles gesetzt. Verbandsliga und Marienborn, das muss man erst einmal zusammen finden lassen. Am meisten ist hängen geblieben, wie entspannt all die Leute, die jüngeren und älteren, die aktiven und inaktiven, im Vereinsheim beisammen waren. Das war eine richtig geile Gemeinschaft.

Du hattest Dich irgendwann mit der Begründung verabschiedet, dass Du am Morgen um acht Uhr in der Kita sein musst. Was genau machst Du da eigentlich?

Ich lerne Erzieher seit einem Jahr, in der Zweigstelle der Sophie-Scholl-Schule am Goetheplatz. Jetzt habe ich ein sechswöchiges Praktikum. Aus meinem Job bei der IGS Bretzenheim musste ich nach dreimaliger Verlängerung ausscheiden, aber ich wollte unbedingt einen pädagogischen Hintergrund haben.

Junge Menschen entwickeln und etwas wachsen sehen, ist ja genau Dein Ding.

Genau, und es geht in jedem Alter. Ich denke, dass ich hinsichtlich der Rhetorik einiges von Matthias Werner (in Nierstein ansässiger Mental-Coach, d. Red.) gelernt habe, und er hat mir gezeigt, worauf Menschen in welcher Weise reagieren. Wir wollen den Willen nicht brechen, sondern unterstützen. So eine Reaktion der Mannschaft auf eine Drucksituation in den Aufstiegsspielen entwickelt sich über Monate und Jahre, wenn man einander vertraut.

Wie hat sich der als Co-Trainer in die zweite Liga und später als Chefcoach in die Oberliga aufgestiegene Ali Cakici in diesen zwei Jahren in Marienborn entwickelt?

Ich kümmere mich noch mehr darum, was außerhalb des Platzes passiert. Der Mentalbereich ist unheimlich wichtig. Du brauchst nicht so hart zu trainieren, wenn andere Dinge die Spieler antreiben. Und man hat mich hier komplett in Ruhe gelassen, niemand hat mir einen Stein in den Weg gelegt. Dann entwickelst du dich auch als Trainer, probierst mehr aus.

Ist dieser Doppelaufstieg nach der Entlassung beim TSV Schott Mainz auch eine persönliche Genugtuung, oder denkst Du gar nicht in diesen Kategorien?

Überhaupt nicht, denn ich weiß ja, was ich kann. Bei Schott war ich auch erfolgreich. Das letzte halbe Jahr hat mir weh getan, weil ich menschlich enttäuscht war. Aber das Thema ist begraben.

Jetzt bist Du maximal erfolgreich mit Marienborn, hast auch beruflich Dein Leben auf neue Füße gestellt. Unterstützt das die These, dass aus allem Unglück auch etwas Gutes werden kann?

Ich habe ja auch vor der Schott gelebt und meinen Erfolg gehabt. Ich war bei Red Bull Leipzig und in Ingolstadt erfolgreich, bin mit dem FSV Frankfurt als Co-Trainer in die zweite Liga aufgestiegen. Aber das ist unerheblich. Das Wichtigste für mich war, dass Marienborn mich aufgefangen hat, auch sozial. Für mich war wichtig, eine Aufgabe zu bekommen und gestalten zu können.

Was macht die Stärke des Vereins TuS Marienborn aus?

Die sind einfach in Ordnung. Jeder Spieler, alle haben das Herz am rechten Fleck. Was nicht machbar ist, wird auch nicht versprochen. Was versprochen wird, wird gehalten. Diese Menschlichkeit macht uns aus, und dann kann auch nichts schief gehen.

So eine Truppe mit einigen Top-Individualisten – Lukas Harden war Oberliga-Stammspieler, Frank Berninger und Dennis Ritz hatten herausragende Scorer-Werte, Andreas Klapper macht 40 Tore, Etienne Portmann hatte ein unterschriftsreifes Oberligaangebot vorliegen – zusammenzuhalten, auch im Großteil nach dem Abstieg vor zwei Jahren, muss man auch erst mal schaffen...

Das muss man Dietmar Hofmann zuschreiben. Die Jungs haben natürlich gewartet, wer Trainer wird. Es ist eine Mannschaft, die sich entwickeln möchte. Als der Präsident mit mir um die Ecke kam, haben sich die Spieler ja auch gefragt, was ich in der Bezirksliga will. Aber es sind hervorragende Fußballer, und man kann jeden formen, der Potenzial hat. Das habe ich mein Leben lang bewiesen. Auch bei uns wird sich noch mehr entwickeln.

Was macht Ihr noch auf dem Transfermarkt? Nils Letz kommt vom SV Gonsenheim, passiert noch mehr?

Wir arbeiten immer situativ, auf dem Platz und auch in der Planung. Wenn wir Ausfälle haben, müssen wir sie ersetzen. Wenn wir merken, wir brauchen jemanden, holen wir jemanden. Wenn jemand angeflogen kommt, weil jemand jemand anders kennt, ist es auch okay. Ich habe gesagt, für die Landesliga langt mir diese Mannschaft, sie kriegt das hin. Für die Verbandsliga denke ich auch, dass wir nur einen oder zwei Spieler brauchen. Aron Klein kommt vom SV Gonsenheim aus der A-Jugend, weil er ein herzhafter Fußballer ist. Und wir nehmen drei aus der eigenen U19 dazu, die brutales Potenzial haben, und entwickeln etwas.

Etienne Portmann hatte gefühlt schon den Stift in der Hand zur Vertragsunterzeichnung beim TSV Schott, nun bleibt er doch. Du hattest mal gesagt, dass Dir das Wohl Deiner Spieler am wichtigsten ist. Meine Meinung: Jemand mit 20 Jahren und dem Potenzial muss in die Oberliga. Warum ist es für ihn besser, zu bleiben?

Es geht um das Wohl des Spielers, und das heißt auch, dass er sich in einer Gemeinschaft wohl fühlen kann. Ich weiß, dass er das bei uns kann und dass er verrückt danach ist. Ich glaube, dass einen die Liga manchmal zwar besonders reizt, aber das kann man sich ja auch selbst erarbeiten.

Das heißt, Ihr greift direkt wieder an, oder wie lautet der Fahrplan für die Saison?

Wir wollen überragenden Fußball spielen. Dann kann alles passieren. Wir wollen mit der gleichen Mannschaft etwas hinkriegen, das andere so nicht machen. Und die Oberliga muss einen wirklich nicht so sehr vom Hocker reißen. Das hat er dann verstanden.

Du hattest kürzlich im Spaß zu mir gesagt: Drei Aufstiege in fünf Jahren mit Rein-Raus-Micky-Maus, das ist doch kaum zu fassen. Aber ein bisschen mehr wird ja doch dahinter stecken. Wie wirst Du die Mannschaft für die körperlich anstrengendere Verbandsliga präparieren?

Man kann den Blickwinkel ja auch verändern und dafür sorgen, dass der Gegner sich körperlich mehr anstrengt. Je mehr Ballkontrolle ich habe, je besser ich Fußball spielen kann, desto mehr muss der Gegner rennen. Wenn ich das nicht hinbekomme, muss ich mehr über den Kampf und die Körperlichkeit kommen. In der Verbandsliga müssen wir uns ein bisschen anpassen, dafür haben wir Jens Strußenberg (Co-Trainer und Fitness-Fachmann, d.Red.). Es wird Hausaufgaben für das Fitnessstudio geben, wo die Jungs eh alle hingehen. Wenn sie dort die richtigen Dinge tun, nicht Luft in die Muskulatur blasen, sondern funktionell für den Fußball trainieren, hast Du schnell fünf oder sechs Einheiten die Woche. Aber das überlasse ich ganz klar dem Strußenberg. Was die Experten um die Mannschaft herum angeht, auch die Physios, sind wir längst oberligareif. Natürlich werden wir körperlich zulegen und strategisch ein, zwei Dinge mehr reinnehmen. Wir sind frisch und frech, unbedarft und können was. Das ist eine gute Mischung, da kann einiges entstehen.

Es entsteht auch was im Umfeld, deutlich mehr Zuschauer kommen. Und es gibt neben der guten alten Klubheim-Theke auch eine Shisha-Bar. Ihr seid up to date.

Das ist die Players Lounge, die die Spieler sich selbst eingerichtet haben. Da ist unser Dietmar Hofmann ganz nah an der Truppe. Viel wird in Eigenleistung gemacht. Die Jungs wissen, dass sie bei uns in ihrer Heimat sind. Wir trainieren 55, 60 Minuten. Die Jungs sind da, weil sie Spaß daran haben. Die Hinfahrt ist schon ein Vergnügen, die Jungs sind auch nach dem Training noch zusammen. Das gibt es ja sonst fast gar nicht mehr. Donnerstagsabends sitzen sie immer in ihrer Lounge, und das gehört für mich auch zum Training – das soziale Training. Und das gibt absolute Stärke.

Welche Rolle spielt die „Erlebnis statt Ergebnis“-Mentalität bei eurem sportlichen Erfolg?

Eine ganz große Rolle. Wenn man im Training ein Ballhaltespiel macht, verliert man den Ball und holt ihn sich wieder. Da gibt es keine Bewertung. Stellst du Tore dazu und dann verliert einer den Ball, kommt ein negatives Element dazu. Pressen, Spielen, alles wird auf einmal schwierig. Gewinnen oder verlieren, das macht Angst. Also nehmen wir die Tore weg.

Aber Torschusstraining macht Ihr schon?

Ich verabscheue Torschusstraining. Wenn sie es unbedingt wollen, mache ich es mal. Wenn ich Silvester sage, ich will keine Strafzettel bekommen, habe ich todsicher das Jahr vor mir, in dem ich die meisten Strafzettel bekomme. Wenn du Probleme verhindern möchtest und sprichst sie an, verstärkst du sie nur noch. Wenn wir Trainingsspiele auf zwei Tore haben, schießen sie ja, das genügt. Ich brauche auch keine Passformen zu machen, die Ballhaltespiele decken das ab. Wir machen uns ja auch direkt mit Fußball warm, da habe ich schon mein Techniktraining.

Welches Feedback bekommst Du aus dem Kosmos des Mainzer und rheinhessischen Fußballs?

Eine gute Frage. Die Jungs, die ich schon länger kenne, kommen immer mal wieder. Ansonsten kann ich es nicht so wirklich einschätzen. Die Art, wie wir miteinander umgehen, arbeiten und auch, wie ich die Dinge nach außen transportiere, ist vielen Leuten fremd. Deswegen bin ich ein Stück weit verdammt, Erfolg zu haben. Wenn du alles anders machst und keinen Erfolg hast, heißt es: War ja klar. Wenn du Erfolg hast, dauert es ewig, bis du Resonanz bekommst, weil alle auf den Misserfolg warten.

Du polarisiert, so viel ist sicher. Die teils impulsive Art am Spielfeldrand, die Stirn-an-Stirn-Szene im Derby gegen Bretzenheim mit Trainer Timo Schmidt oder die auf Nils Letz und den SV Gonsenheim gemünzte Aussage in einem anderen Online-Medium, wonach bei euch gesundheitsfördernd trainiert wird, haben mächtig Wellen geschlagen. Denkst Du Dir manchmal auch, dass Du ein bisschen zu spontan bist?

Die Aussage bezüglich Letz muss ich gerade stellen. Wir haben eine gesundheitsfördernde Art zu trainieren. Aber was das betrifft, bin ich von Gonsenheim auch total überzeugt. Nils ist dort behutsam aufgebaut worden, der Verein macht eine Top-Arbeit. Das ist komplett falsch rüber gekommen, ich möchte es auf alle Fälle zurücknehmen. Wir profitieren ja auch insbesondere von der Arbeit von Babak (Keyhanfar, Ex-Trainer SV Gonsenheim, d. Red.) in der A-Jugend, die so hervorragenden Fußball gespielt hat, dass man es bei uns noch sieht. Alle Jungs, die damals dabei waren, sind charakterlich top. Das Ding mit Timo war, auf die letzten zwei Jahre geblickt, eine Ausnahme. Ich bin ein Ringer, ab und zu muss ich auch mal die Muskeln spielen lassen. Er ist ein guter Kerl.

Apropos, Deine Spieler werden demnächst mit Dir Grabbling trainieren. Wissen sie, worauf sie sich eingelassen haben?

Noch nicht so wirklich. Wir wollen andere Wege gehen, andere Bewegungsmuster anbieten. Und es hat etwas mit Mut zu tun. Wir befinden uns in einem Sport, wo einer, wenn er angespuckt wird, hinfällt, und wo Verletzungen simuliert werden, um Kontersituationen zu verhindern. Das wollen wir nicht. Ein Kampfsportler macht so etwas nie. Mir geht es um die Mentalität. Es soll verstanden werden, wie es ist, im Würgegriff zu stecken und wirklich keine Luft mehr zu bekommen.

Du bist ein Stück weit auf einer Mission, habe ich den Eindruck.

Ich habe die Möglichkeit, weil die Jungs auf mich hören. Und es wird uns nach vorne bringen. Wenn ich elf Mann auf dem Platz habe, die überhaupt nicht auf den Gegner reagieren, sind wir wie eine Maschine.

Welche Rolle spielt dabei die Clowns-Nase, die Du gern aufsetzt?

Ein Clown wird herangezogen, wenn es nicht mehr weiter geht, wenn kranke Kinder aufgemuntert werden müssen. Er ist der Erste, der im Zirkus rausgeht, vor dem Löwen und den Akrobaten, die lebensgefährliche Dinge tun, und die Leute beruhigt. Der Rodeo-Clown rettet die Reiter, die in die Bredouille geraten, vor den wild gewordenen Bullen. Wenn ein Clown nicht mutig ist, wer denn dann?

Gibt es Vorbilder, an denen Du Dich in Deiner Arbeit orientierst?

Mein verstorbener Vater war für mich ein Vorbild, weil er unheimlich viel Geduld gezeigt hat und eine menschliche Klasse hatte. Die letzten acht, neun Jahre hat mir Matthias Werner mit seinem Coaching extrem viel beigebracht, und er hat vielen Dingen, die ich schon wusste, einen Namen gegeben.

Wann ist euer Trainingsstart?

Wir wissen es noch nicht. Solche Dinge kommen komplett aus dem Bauch heraus, weil die Mannschaft ja bereit steht.

Aufrufe: 07.6.2018, 23:05 Uhr
Torben SchröderAutor