München – Morgen wird die Politik darüber entscheiden, wie, wann und ob es mit dem Profifußball in Deutschland weitergeht. Nach Lage der Dinge geht es mit Geisterspielen weiter, in der 3. Liga wohl erst im Juni (nach den beiden Bundesligen), aber immerhin: Die Gefahr eines Saisonabbruchs scheint gebannt. Für 1860 bedeutet das: Der Aufstiegstraum lebt weiter, und ein Löwe darf sich schon jetzt als Gewinner der Coronakrise fühlen: Sportchef Günther Gorenzel, 48, dem es gelungen ist, intern und extern (bei den Videokonferenzen der Drittligisten) sein Profil zu schärfen.
Für Alfred Böswald, in der Saison 2007/08 Mentalcoach des TSV 1860, hat sich der Österreicher zu einem Topmann entwickelt. „Er ist ein ausgezeichneter Manager geworden“, sagt der 58-jährige Weilheimer, der noch immer eine Dauerkarte besitzt und eine auf die Ziffernfolge 1860 endende Handynummer: „Speziell in der Krise zeigt sich, ob jemand führen und gestalten kann – und dabei trotzdem noch ausgeprägten Optimismus verbreitet.“
Was Böswald besonders imponiert, ist die Unbeirrtheit, mit der Gorenzel einerseits die Interessen der Löwen (Saisonfortsetzung) vertritt und sich andererseits gegen einen Zerfall der 3. Liga in unvereinbare Einzelteile stemmt. „Er ist die einzig souveräne Stimme“, sagt Böswald: „Es gibt ja Funktionäre, die ihre Gegner nur noch mit Häme, Kritik und Boshaftigkeiten überziehen, zum Beispiel der Geschäftsführer von Mannheim (Markus Kompp/Red.). Gorenzel dagegen meidet die Konfrontation, versucht zu einen und wählt die richtigen Worte. Er macht den Vereinen klar, dass alle kaputt gehen würde, wenn sie nicht an einem Strang ziehen, denn nur mit Geschlossenheit kann die 3. Liga auch später bessere Unterstützung bei DFB und DFL einfordern.“
Für Böswald ist es eine kleine Überraschung, dass der Magister der Sportwissenschaften diese Entwicklung genommen hat. 2007/08, als Gorenzel Co-Trainer war (unter Marco Kurz) und Böswald als Mentalcoach nah am Team dran war, hatte er eine andere Überzeugung gewonnen. „Mein erster Eindruck war, dass er bei den Spielern wenig Akzeptanz hatte“, so der Psychologe: „Sie haben über ihn gelächelt, weil er Volleyballer war. Das Stigma aus der wenig erfolgreichen Schachner-Zeit kam erschwerend hinzu. Man hat ihn nicht ernst genommen, weswegen er sich eine Form von Arroganz zugelegt hat, um seine Unsicherheit zu überspielen. Sehr bald ist er dann ja auch entlassen worden.“
Überrascht war Böswald auch, dass Daniel Bierofka, ab 2007 Spieler unter dem Duo Kurz/Gorenzel, sich für eine Rückkehr des Österreichers stark gemacht hatte. „Warum Biero ihn vor zwei Jahren als Sportchef haben wollte, weiß ich nicht. Ich glaube, dass die beiden von Anfang an nicht so gut harmoniert haben. Es ist ein Trugschluss zu glauben, die beiden seien das perfekte Team gewesen.“ Das Ende vom Lied ist bekannt: Es kriselte, erst in der Sportlichen Leitung – und schließlich auch auf dem Rasen. Böswald: „Die Mannschaft hat überhaupt nicht mehr funktioniert – obwohl sie ja mit der heutigen Mannschaft nahezu identisch ist.“
Als „Glücksfall für 1860“, bezeichnet Böswald nun das Zusammenspiel Gorenzels mit Michael Köllner, den der Österreicher selber verpflichtet hat: „Ein Geniestreich, diesen Trainer zu holen“, urteilt Böswald: „In Nürnberg hatte Köllner ja auch schon eine Wahnsinnsarbeit geleistet – mit einer völlig schlecht geredeten Mannschaft. Sie konnten seither beobachten, wie Gorenzel von Tag zu Tag gewachsen ist und Dinge abruft, die bis dahin nicht zum Vorschein kamen.“
Als Sportpsychologe und Coach glaubt Böswald, dass den Löwen mit dem Gespann Gorenzel/Köllner keine Grenzen gesetzt sind: „Beide machen unter den gegebenen Umständen einen hervorragenden Job. Köllner hat die Veranlagung als Naturtalent, Gorenzel hat es sich über Jahre erarbeitet – auch durch persönliche Tiefschläge und Enttäuschungen.“
Böswald, leidenschaftlicher 1860-Fan seit einem halben Jahrhundert und daher mit der Vereinsgeschichte vertraut, schwärmt: „Ein solches Duo hat es bei 1860 eigentlich noch nie gegeben.“