2024-05-10T08:19:16.237Z

Kommentar
SV Empor II - NFC Rot-Weiß (6:2). Foto: Ian Stenhouse
SV Empor II - NFC Rot-Weiß (6:2). Foto: Ian Stenhouse

Fußball ist doch in erster Linie Sport, oder?

Kolumne von ABHB

Ein Spiel von Freizeitfußballern kann nur mithilfe der Polizei zu Ende geführt werden. Drohungen, Beleidigungen und Rangeleien. Das hat nichts mit dem Amateurfußball zu tun, den ich kennengelernt habe...

Anfang der 90er, Prenzlauer Berg, die ganz frühen 90er Jahre. Ich bin mit meinen Enkeln beim Fußball. Um die Ecke beim BFC Dynamo/FC Berlin, der den FC RW Erfurt begrüßte. Zwei jungsche Burschen hatte ich mit dabei. Nach dem Spiel mit der Bahn nach Hause. Wenn das nur alles so einfach wäre. Die Jungs auf die Rastbank auf dem U-Bahn-Steig Eberswalder Straße gestellt, geschützt von der Polizei. Drum herum ging die Post ab. Tolle Vorbilder für meine beiden Enkel. Fußball und fliegende Fäuste gehören zusammen?

Fast 20 Jahre später wohne ich im Altersheim. Mein Enkel bestellt das Taxi zu 11.45 Uhr. Ich steige in den Fahrstuhl. Nach der Fahrt mit dem vertikalen Gefährt und circa 40maligem Hupen vom Taxifahrer vor der Tür geht es los zum Fußball.

Im Taxi die Frage, ob ich denn zum Fußball gehe. Nach meiner positiven Antwort kommt die Aussage: „Fußball, ohne mich. Union kann sich ja keener mehr ankieken und Hertha spielt in ner ISTAF-Schüssel!“. Wie auch immer, rechts ist das Gaspedal, Freundchen! Endstation Cantianstr. 24 - wie damals. Ewig war ich hier nicht gewesen. Prompt den Eingang nicht gefunden, Sehstärke null, also Umweg über die Max-Schmeling-Halle. Hat da nicht mal Alba gespielt? Die Trommeln habe ich heute noch im Ohr. Angekommen am Kunstrasen steht mein Holzstuhl schon bereit, Enkel Nummer zwei kümmert sich. Schon bei der Begrüßung fixiere ich den Verkaufscontainer. Wie lange hatte ich keine Sportplatzwurst mehr gegessen und 'n feines schäumendes Getränk zu mir genommen? Schmeckt allemal besser als der Dosenfraß im Heim. Senfbeschmiert gehe ich danach zufrieden an die Barriere und setze mich auf den Stuhl.

Vorm Anstoß sagt mir Enkel Nr. 1 noch kurz "Hallo". Er spielt hier nun in der 2.Mannschaft. Der Gegner kommt aus Neukölln, NFC Rot-Weiß. Mir wurde berichtet, beide Mannschaften seien punktgleich. Nun saß ich also 12.15 Uhr auf meinem Holzstuhl am Kunstrasen, hinter mir ragen die Giraffen des Jahn-Sportparks in den Himmel. Schöne heile Fußballwelt.

Amateurfußball, noch vor Jahren war ich begeisterter Fan der LSG Ostrau und des SV Blau Weiß Schortewitz, zwei Vereinen in Sachsen-Anhalt. Da ging es einige Male hoch her, wenn die Dörfer zum Derbytanz baten. Mit dem roten Diamant-Rad über die Landstraße und dann durch die geheime „Schlippe“ direkt zum Sportplatz. Die Rücktour wurde meist geschoben. Aber ich sage es vorab, was ich heute erlebt habe, das habe ich in über 80 Jahren purem Leben nicht erfahren.

Ein junger Schiedsrichter geriet in den Mittelpunkt, und zwar quasi ab der 1.Minute. Pöbeleien, lautes Schreien, hartes Einsteigen. Ein Spieler auf dem Feld ragt heraus, der ist hier doch nicht wegen der schönsten Nebensache der Welt, wegen des Fußballs. Wie an der Schnur gezogen flippt er Minute um Minute mehr aus. Die Blau-Weißen gehen in Führung, aber wie. Die haben da vorn im Sturm wohl 'nen Ex-Profi aus Ungarn, so berichtete mein Enkel. So eiskalt wäre ich auch gern gewesen, wenn mich meine Frau früher fragte, ob das Mittagessen schmeckte. Ein Dreierpack in acht Minuten, halleluja. Nach dem dritten Tor plötzlich ein Pfiff, die rote Karte für den Torhüter der Neuköllner. Jetzt war hier richtig Fasching. Der Schiedsrichter inmitten eines großen Rudels. Immer wieder will der Torhüter auf den Schiedsrichter los. Da bekommt man selbst ein mehr als mulmiges Gefühl. Plötzlich auch noch Zuschauer auf dem Platz.

Stellt der Amateurfußball einen Freibrief für Pöbler aus? Hat man das Recht, einem jungen Menschen, dessen Hobby das Leiten von Fußballpartien ist, Angst einzujagen und den Tag zu versauen? Hat man das Recht, sämtliche Individuen um sich herum zu beleidigen, schief anzusehen und zu bedrohen? Ich rechnete schon hier damit, dass das Spiel nicht fortgesetzt wird. 1:0 für den Taxifahrer, dachte ich. Da fielen aus 20cm Entfernung Nase an Nase ganz grobe Worte gegenüber dem Schiri. Die Partie läuft weiter, nur noch Unruhe im Spiel sowie am Seitenrand. Irgendwie stehen da schon angsteinflößende Menschen am Rand. Aber ist ja sicher alles nur Spaß!?

Wenig später fährt die Polizei vor. Mit Halbzeitpfiff werden natürlich auch die Polizeikräfte von den Neuköllnern bepöbelt. Mit Beginn der zweiten Hälfte machte ich mir schon Gedanken um meinen Enkel. Wer weiß was da noch passiert. Eine weitere Rote Karte und viele Tore später pfeift der Schiedsrichter die Partie ab. 6:2 für die Blau Weißen. Die Anzahl an Drohungen, die ich hier gehört habe, reicht für die nächsten zehn Jahre. Purer Hass wurde allen Teilnehmern außerhalb der eigenen Mannschaft entgegen gebracht. „Fass die nicht an! Rede nicht mit den Affen!“.

Lasse ich sowas im Altersheim ab, sind Brot und Wasser vorprogrammiert. Plötzlich rennt ein Zuschauer auf den Schiedsrichter zu. Er machte sich daraus einen großen Spaß und lief an ihm vorbei. Doch die Polizei sah dies zu Recht als Angriff und so bildete sich ein riesiges Rudel. Immer wieder hörte ich selbst mit schwachem Restgehör: „Ihr müsst ja noch zu uns!“.

Ein Spiel von Freizeitfußballern kann nur mithilfe der Polizei zu Ende geführt werden. Drohungen, Beleidigungen, Rangeleien, verbale Attacken, angsteinflößende Zuschauer. Das hat nichts mit dem Amateurfußball zu tun, den ich kennengelernt habe. Da kann man nicht mehr lächeln und sich über einen Sieg seines Enkels freuen. Man denkt ja schon an die Partie in der Rückrunde.

Vor zwanzig Jahren musste ich dafür sorgen, dass meine kleinen Schützlinge heil nach Hause kommen nach dem Fußball. Ich habe Ihnen den Fußball immer näher gebracht. Bundesliga, Länderspiele, Amateurfußball. Ich war oft da, als die beiden Jungs im Nachwuchs selbst gegen den Ball getreten haben. Heute frage ich mich, wie so ein toller Sport eine Gefahr für Menschen darstellen kann. Solch eine Truppe reißt Bemühungen von Verantwortlichen, Verbänden und fairen Sportlern einfach ein. Sie lösen das Gefühl von Machtlosigkeit aus.

Grillgeruch, Getränk, 22 Spieler auf einem grünen Geläuf. Schweiß, Kampf um jeden Ball. Große Jubelszenen, Freistoßtore, Elfmeterpfiffe. So will ich den Fußball erleben. Heute aber war der Fußball nur der Spielball von Terriern, unfairen Verlierern, von schwachen Persönlichkeiten und schlechten Vorbildern.

Ich werde wieder mit dem Taxi zum Fußball fahren, mich auf meine Enkel freuen, die Sportplatzwurst genießen und den Holzstuhl besetzen! Alles andere wäre nur ein Sieg für diese Leute! Großen Respekt an die Heimmannschaft für eine besonnene Reaktion auf diesen Mist. Und das größte Lob geht an den jungen Unparteiischen, der Woche für Woche allein auf Sportplätzen steht, ohne Trainer, Physiotherapeuten, Mitspieler. Er ist auf sich allein gestellt und hat heute im Sinne des Sports gehandelt. Weiter so, junger Kerl!

Fotos: Ian Stenhouse | No Dice Magazine

Aufrufe: 07.10.2014, 11:23 Uhr
HB (ABHB)Autor