2024-04-29T14:34:45.518Z

Allgemeines

Revolution in der Talentförderung: DFB-Pläne und Auswirkungen vor Ort

In Deutschland soll die Ausbildung der besten Nachwuchs-Fußballer neu ausgerichtet werden. Um was geht’s? Und welche Folgen hat das auf die Arbeit in der Region Trier?

Der Ist-Zustand: Die Daten und Zahlen klingen alarmierend. Der Anteil von U-23-Spielern in der Fußball-Bundesliga der Männer ist im Sinkflug. Die Zahl der absoluten Toptalente ist locker an einer Hand abzuzählen. Da gibt‘s Kai Havertz (21, FC Chelsea). Und danach kommen der vier Jahre jüngere Florian Wirtz (17, Leverkusen) sowie Youssou­fa Moukoko (16, Dortmund).

Und die männlichen Jugend-Nationalmannschaften? Bei einer U-20-Weltmeisterschaft stand ein deutsches Team letztmals 1987 in einem Finale. Der letzte Titelgewinn bei einer U-19-Europameisterschaft liegt sieben Jahre zurück (2014). Die bis dato letzte Finalteilnahme bei einer U-17-Europameisterschaft ist auch schon sechs Jahre her. Bei einer U-17-WM ließ sich eine deutsche Auswahl letztmals 1985 in einem Endspiel blicken. Immerhin: Die U 21 verlor 2019 das EM-Finale nur knapp gegen Spanien (1:2) – und 2017 gelang gegen denselben Gegner der Titelgewinn. Doch selbst U-21-Nationaltrainer Stefan Kuntz schlägt angesichts des Trends Alarm: „Wir sind so was von abgeschlagen!“ hatte er Ende November 2020 plakativ das Niveau der Nachwuchsausbildung im deutschen Fußball kritisiert.

Die Konsequenzen: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Deutsche Fußball Liga (DFL) wollen gegensteuern. Erarbeitet wurde ein „Projekt Zukunft“. Eine Nachwuchs-Reform, die augenscheinlich einiges auf links drehen soll. Das Kernziel: Weniger Wettbewerb, dafür mehr individuelle Entwicklung der Talente.

Was da insgesamt genau drin steht, ist noch nicht offiziell kommuniziert. Selbst Betroffene tappen teilweise noch im Dunkeln oder müssen versuchen, sich mit Informations-Häppchen, die an die Öffentlichkeit gelangen, ein Puzzle zusammenzusetzen. Aufkommender Gegenwind aus den Landesverbänden zeigt zudem, dass bei manchen Vorschlägen noch nicht das letzte Wort gesprochen sein dürfte.

Welche Auswirkungen hätte die Umsetzung auf die Arbeit an den DFB-Stützpunkten in der Region Trier und bei einem ambitionierten Ausbildungsverein wie Eintracht Trier?

Wettbewerbe: In der B-Jugend und A-Jugend sollen die jeweils in drei regionale Staffeln aufgeteilten U-17- und U-19-Bundesligen abgeschafft werden. In der C-Jugend sollen die Teams der Nachwuchsleistungszentren (NLZ) aus den U-15-Regionalligen, in denen sie bislang mit Amateurvereinen zusammenspielen, rausgenommen werden. Angedacht ist in den Altersklassen stattdessen ein eigener NLZ-Spielbetrieb, der keinen Auf- und Abstieg vorsieht. In der C- und B-Jugend sind sogenannte Entwicklungsspiele vorgesehen (zur Stärkung der individuellen Entfaltung) sowie Entwicklungsturniere, um Meister zu ermitteln (zur Schaffung von Leistungsanreizen). In der U 19 ist eine reine NLZ-Liga geplant.

Heißt: Grundsätzlich sollen die aktuell bundesweit insgesamt 56 Nachwuchsleistungszentren ab der U 14 aus dem Ligensystem genommen und in einen eigenen Spiel-Kosmos geführt werden. Anders ausgedrückt: Die Talentschmieden der (vornehmlich) Proficlubs bilden den Planungen zufolge künftig eine nahezu geschlossene Gesellschaft.

Die Idee dahinter: Die Talente sollen individueller gefördert werden, statt taktischer Zwänge zu unterliegen, um bestimmte Resultate zu erzielen – bei geringerem Druck des Gewinnen-Müssens. Als Katalysatoren sollen eine größere Flexibilität (durch Bildung regionaler Gruppen), eine altersgerechtere Belastung (dank einer Entschlackung des Rahmenterminkalenders) und Mindesteinsatzzeiten für Spieler dienen.

Aber wo bleiben auf diesem neuen Weg ambitionierte Amateurvereine wie Eintracht Trier, die immer mal wieder mit einem Auge in Richtung Qualifikation für eine Jugend-Bundesliga schielen? Nachfrage bei Andreas Schäfer, dem Sportlichen Leiter Jugend beim SVE, der gleichzeitig auch DFB-Stützpunkttrainer in Konz ist.

Was hält Eintracht Trier von den Ideen? Vorneweg kritisiert Schäfer, dass „uns als ambitioniertem Amateurverein die Konzeption bislang nicht vorliegt“. Bis dato sei sie nur den NLZ und den Präsidien der Landesverbände präsentiert worden: „Diese Art der Kommunikation bezüglich der Amateurvereine ist leider bedauerlich.“

Die bislang bekannt gewordenen Punkte sieht der SVE kritisch. Schäfer: „Dadurch, dass die Bundesligen wegfallen sollen, wird es für uns schwieriger, attraktiv zu bleiben und den Spielern der Region eine gute sportliche Perspektive im Verein zu bieten. Das ist ein klares und wichtiges Ziel unserer Jugendarbeit. Zudem fehlt uns dann in den höchsten Ligen unterhalb der Bundesliga (in unserem Fall den Regionalligen) der wichtige Vergleich mit den NLZ der Großregion und der sportliche Wettkampf mit diesen.“ Also mit Kaiserslautern, Saarbrücken, Mainz und Elversberg.


Schäfer befürchtet, dass so die Kluft zwischen ambitionierten Amateurvereinen und den NLZ größer wird: „Das ist nicht nur nicht im Sinne des Vereins, sondern auch gegen jede Talentförderung. Man würde dadurch nur das System fördern, dass die Kinder noch früher ihre Heimatvereine verlassen. In letzter Konsequenz hat man da nicht über den Bereich unterhalb des Profibereichs – das ist nämlich die Basis unseres Fußballs in Deutschland – nachgedacht.“

Der DFB argumentiert anders und macht den Amateurclubs beziehungsweise Spielern, die keinem NLZ angehören, Alternativangebote: In den Entwicklungsturnieren der Altersklassen U 14 und U 16 soll es jeweils 16 Startplätze für Amateurclubs geben. In der U 15 und U 17 sind jeweils 16 Startplätze für neu zu schaffende Regionalauswahlen vorgesehen. In der U 19 soll der A-Jugend-DFB-Pokal von 32 auf 64 Teilnehmer ausgeweitet werden – mit sicheren Startplätzen für alle Sieger der 21 Länderpokale, an denen keine NLZ-Teams mehr teilnehmen. Zudem soll in der U 19 ein Amateur-Meister unter den Siegern der neun höchsten Amateurligen (zu ihnen zählt die Regionalliga Südwest) ermittelt werden, der in einem Finale gegen den NLZ-Titelträger um den Supercup spielen.

Aus Sicht von Schäfer sind diese Modelle kein adäquater Ersatz: „Es wird so getan, als ob dieses Bonbon (eine dann einmalige Sache) eine Zielorientierung im Sinne der Vereine darstellen würde. Wir dürften da­ran gegebenenfalls teilnehmen. Es wird aber nichts darüber mitgeteilt, wer im Bereich U 14 bis U 17 wie da­ran teilnimmt.“ Zu den U-19-Regionalauswahl-Turnieren sagt er: „Da weiß ich im Moment überhaupt nicht, wie diese dann aussehen sollen und welchen sportlichen Sinn es für uns dann macht. Grundsätzlich besteht einfach die Gefahr, dass die Durchlässigkeit bei den Junioren zwischen Amateurbereich und Profibereich nicht mehr gegeben ist.“

Der DFB hält mit Zahlen dagegen: In den U-17-Bundesliga-Staffeln haben im Schnitt der vergangenen Jahre pro Saison fünf Amateurteams mitgewirkt, in den neuen Entwicklungsturnieren gebe es dagegen 16 Startplätze für Nicht-NLZ-Vereine. Und für die U 19 stellt der Verband im Schnitt vier Amateurclubs in den Bundesliga-Staffeln die Zahl von künftig 21 DFB-Pokalteilnehmern gegenüber.

Unabhängig von sich ändernden Rahmenbedingungen für die eigene Arbeit bei der Eintracht zweifelt Schäfer daran, dass sich die geplante Verschiebung von Schwerpunkten in der Talenteförderung auszahlt: „Wie möchte man denn einen Juniorenspieler auf den internationalen oder nationalen Top-Wettbewerb vorbereiten, wenn er nie oder selten in schwierigen und unbequemen Situationen ein echtes Wettkampfspiel unter Druck bestreiten muss? Durch diese geplante Veränderung im Wettbewerb werden wir nicht automatisch wieder den Dribbler, Individualisten und Torjäger bekommen.“

Ihn stört zudem eine faktische Abschottung der NLZ: „Es ist ja grundsätzlich gut, neue Ansätze und Ideen aufzunehmen und zu forcieren. Eine strikte Trennung zwischen wirklich sehr engagiert und gut arbeitenden Amateurvereinen und den NLZ ist aber auch hinsichtlich der Talentfindung und Talentausbildung kontraproduktiv. Auch ist der Trainer, der im NLZ arbeitet, nicht automatisch besser als der Trainer eines ambitionierten Amateurvereins.“

DFB-Stützpunkte: Aktuell gibt es landauf landab 366 Stützpunkte. Im Fußballverband Rheinland (FVR) gibt es neun Stützpunkte, drei davon in der Region Trier (für die Eifel in Bitburg und Mehren/Darscheid, für Trier-Saarburg in Konz und für die Mosel-Region in Mülheim). Die Zahl der Stützpunkte soll bundesweit auf 288 sinken, um die Förderung der Talentiertesten besser zu kanalisieren. Gleichzeitig soll die Zahl der Stützpunktkoordinatoren von 29 auf 48 steigen – für mehr Qualitätskontrolle. Im Fußballverband Rheinland gibt es derzeit einen Koordinator. Wie sich die Reformpläne auf die Stützpunkt-Struktur im FVR auswirken, ist unklar.

Darüber hinaus stehen wohl die Landesauswahlen vor dem Aus. Stattdessen soll es – losgelöst von Landesverbandsgrenzen – neue Regional-Auswahlen geben, in denen bis zu 25 Nicht-NLZ-Spieler ihren Platz finden sollen.

Grundsätzlich stellt Schäfer mit Blick auf seine Arbeit keinen Niveau-Abfall fest: „Die Talente sind nicht schlechter geworden. Es sind immer noch viele talentierte Spieler da – sowohl bei Eintracht Trier als auch im DFB-Stützpunkt.“ Zu den Hintergründen der geplanten Zahlenspiele kann er nichts sagen – nur so viel: „Mehr Koordinatoren wären natürlich sinnvoll, da es dann eine bessere und intensivere Zusammenarbeit und somit eine intensivere Betreuung der Talente am Stützpunkt geben könnte.“

Der TV hat auch bei den DFB-Stützpunkttrainern Oliver Neukirch (Mosel), Fabian Ewertz und Johannes Mayer (beide Eifel) um Einschätzungen zu ihrer Arbeit an der Basis sowie zum „Projekt Zukunft“ gebeten. Sie gaben keine Auskünfte. Nahezu wortgleich antworteten Ewertz und Mayer: „Ich bedanke mich recht herzlich für die Anfrage und das Interesse an diesem wichtigen Themengebiet, bitte aber darum, dass diese Anfrage an info@DFB.de gesendet wird.“ Auf Nachfrage teilte Mayer mit, dass sie sich nach Rücksprache mit Stützpunktkoordinator Ricardo Böck aktuell nicht zu diesen Thematiken äußern sollen.

Trainer: Im Fußball wie in anderen Sportarten gilt: Nur wer die Coaches top ausbildet und gute Anreize schafft, sorgt für eine gute Ausbildung der Talente und dafür, dass die Trainer bei der Stange bleiben. In diesem Sinne soll es künftig unter der DFB-Hoheit spezifischere (Jugend-)Lizenzen und Weiterbildungsangebote geben.

„Neue Ideen in der Ausbildung und eine permanente Weiterentwicklung sind sinnvoll und auch wichtig. Ich gehe auch davon aus, dass dort wichtige Entwicklungen vorangetrieben werden“, sagt Schäfer, für den in diesem Zusammenhang ein Gedanke elementar ist: „In einem Verein ist es ganz wichtig, dass die verschiedenen Trainergenerationen voneinander profitieren und zusammen arbeiten. So sollen zum Beispiel die jungen Trainer nicht in Konkurrenz zu den älteren Trainern stehen, im besten Fall sollen sie als Team funktionieren und voneinander profitieren.“

Wann sollen die Neuerungen greifen? Die meisten Punkte des Reform-Pakets sollen bis 2024 umgesetzt werden, sofern eine Einigung im laufenden Abstimmungsprozess gelingt und entsprechende DFB-Bundestags-Beschlüsse gefasst werden. So viel steht fest: Anlass zu Debatten gibt es noch reichlich.

Aufrufe: 08.2.2021, 13:29 Uhr
Mirko BlahakAutor