2024-05-10T08:19:16.237Z

Vereinsnachrichten

D/A-Präsident Rigo Gooßen und das „geilste Jahr“

Großes Interview mit Präsident Rigo Gooßen

Über dem Stadion in scheint die Sonne. Der Fußball-Regionalligist SV Drochtersen/Assel gewann den Landespokal, spielte das Jahrhundertspiel gegen die Bayern und steht auf dem fünften Tabellenplatz. Präsident Rigo Gooßen und zieht eine positive Bilanz.

TAGEBLATT: Herr Gooßen, was ging Ihnen in der 31. Minute während des DFB-Pokalspiels gegen den FC Bayern München durch den Kopf?

Rigo Gooßen: Schade! Man kennt ja diese Momente, in denen du diese eine Torchance in solch einem Spiel bekommst. Gegen Gladbach war es damals Alexander Neumann. Gegen Bayern war es Florian Nagel. Du denkst, wow, das wäre es ja gewesen, wenn du gegen die Bayern 1:0 in Führung gehst. Ich habe das aber erst verinnerlicht, als ich das Spiel verarbeitet hatte, weil alles wie ein Film ablief.


Gegen jeden anderen Torwart hätte er wahrscheinlich getroffen, oder?

Ja, das denke ich auch. Vielleicht hätte er ja auch ein wenig weiter rechts geschossen. Aber es hat nicht sollen sein. Mit einer 1:0-Führung gegen die Bayern im Rücken… es wäre gar nicht auszudenken gewesen, was im Stadion losgewesen wäre. Im Nachhinein hätte ich es gern erlebt. Auf die Reaktion der Bayern wäre ich gespannt gewesen.


Gab es nach dem Spiel noch einen Spruch für Florian Nagel?

Ich glaube, er ist noch auf keine vergebene Torchance so lange angesprochen worden, wie auf diese. Und nicht nur von meiner Seite (lacht). Ich mach es ja dann spaßhaft. Ich glaube, er selbst bedauert am meisten, dass er den nicht reingemacht hat.


Wie fällt denn die Gesamtbilanz des Jahres 2018 aus? Nach dem Rehden-Spiel haben Sie dieses Jahr als das geilste Jahr der D/A-Geschichte bezeichnet.

Ja. Es fing Ostern mit dem Spiel gegen den VfL Osnabrück an, das wir im Elfmeterschießen gewonnen haben. Dann haben wir wiederholt den Niedersachsen-Pokal geholt gegen Jeddeloh. Die Abstiegsgefahr, die im Winter noch bestand, haben wir gebannt. Dann sind wir nach Dortmund zur DFB-Pokalauslosung gefahren und bekamen die Bayern zugelost. Dann haben wir es geschafft, das Spiel in Drochtersen austragen zu können. Da wussten wir schon, dass wir im Landespokal gegen Eintracht Braunschweig spielen müssen. Und dann haben wir auch noch dieses Spiel gewonnen. Hinzu kommt der fulminante Verlauf dieses Jahres in der Regionalliga und Platz fünf.


Wenn Sie nach den Heimspielen bei der Pressekonferenz das Mikrofon in der Hand hatten, haben Sie die Zuschauer auch nach schwachen Auftritten immer wieder runtergeholt und die Erwartungshaltung heruntergeschraubt. Aber insgeheim trauern Sie doch bestimmt den vergebenen Punkten gegen Mannschaften wie Lupo Martini Wolfsburg oder Egestorf/Langreder nach, oder? D/A könnte Zweiter sein.

Nein, den Punkten trauere ich nicht nach, weil das insgesamt Erreichte fantastisch ist. Vor der Saison war das nicht unbedingt zu erwarten, weil einige Leistungsträger den Verein verlassen haben und es dauert auch immer einige Zeit, bis sich neue Spieler integrieren. Deshalb muss man die Kirche im Dorf lassen. Es gibt immer wieder Spiele, die nicht so gut laufen. Häufig war es so, dass wir gegen vermeintlich bessere Mannschaften besonders gut gespielt haben und uns in den Spielen, die wir eigentlich gewinnen müssten, schwergetan haben. In der Erwartungshaltung muss eine Grenze sein. Wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, wer wir sind und woher wir kommen. Dann dürfen wir mit einem Unentschieden nicht unzufrieden sein. Das habe ich versucht, den Zuschauern zu erklären.


Natürlich weckt Euphorie auch Erwartungen. Trainer Lars Uder war in Norddeutschland ein unbeschriebenes Blatt. Seine Verpflichtung war bestimmt auch ein Risiko. Hatten Sie nie Bauchschmerzen mit der Verpflichtung?

Dann hätte ich sie ja nicht getroffen. Ich hatte aus 40 Bewerbungen genügend Auswahl. Es hing von den Kriterien ab, die ein Trainer erfüllen muss. Ein D/A-Trainer darf mir nicht sagen, was in Drochtersen fehlt. Das weiß ich selbst. Nein, er muss mit den Begebenheiten vor Ort vertraut gemacht werden und sagen, das kann ich mir trotzdem vorstellen. Wir unterscheiden uns von vielen anderen Vereinen in der Regionalliga, was die Bedingungen angeht. Außerdem müssen wir schon aus finanziellen Aspekten jüngere Spieler in diese Mannschaft einbauen. Da hat er mich überzeugt. Und dann muss ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen. Ich hatte nie Bedenken.


Und er hat geliefert…

…er hat mehr als erwartet geliefert. Er hat seinen eigenen Stil. Und das ist auch gut so. Zumindest für den Zuschauer legen wir eine attraktivere Spielweise an den Tag. Aber auch für die Spieler. Ich merke das. Ich bin nahe dran. Sie haben mehr Freiheiten, können mehr Fußball spielen. Und er hat alle Spieler gut integriert. Was mich persönlich erstaunt ist, dass Lars Uder nie klagt, nie jammert, wenn vermeintlich Stammspieler fehlen. Dann sucht er nach einer Lösung. Er musste schon viele Lösungen suchen bei den vielen Verletzten.


Das heißt, er hat Ihnen auch keinen Wunschzettel vorgelegt für Neuverpflichtungen in der Winterpause?

Nein. Das haben mir Trainer nie vorgelegt. Ich war nie ein Freund von Neuverpflichtungen im Winter. Außer in Ausnahmefällen. Er kommt mit dem aus, was er hat. Das war nicht einfach in diesem Jahr. Und wir hatten immer eine schlagkräftige Mannschaft auf dem Platz.


Versprochen! Diese Frage kommt zum letzten Mal. Haben Sie Uders Vorgänger Enrico Maaßen den Abgang mittlerweile verziehen?

Es geht nicht um Verzeihen. Das wurde vielleicht auch falsch gedeutet. Trainer kommen und gehen. Bei D/A gehen sie nicht so schnell. Das ist jetzt mein siebenter Trainer in 36 Jahren, den ich eingestellt habe. Das ist ein Schnitt von über sechs Jahren. Es ging mir damals um den Zeitpunkt, der mich unter Zugzwang gesetzt hat. Ich bin eigentlich ein gemütlicher Mensch, aber das schätze ich eben nicht. Die Tatsache des Wechsels war nicht das Problem. Der Zeitpunkt war unglücklich, dabei bleibe ich auch. Alles andere ist jetzt wirklich Geschichte.


Ich habe Rigo Gooßen noch nie so oft so aufgebracht gesehen am Spielfeldrand. Wird D/A in dieser Saison von den Schiedsrichtern benachteiligt, oder werden die Aktionen anders bewertet?

Ich glaube auch, dass wir in diesem Jahr oftmals Entscheidungen hinnehmen mussten, die nicht eindeutig waren. Das haben auch die Fernsehbilder bestätigt. Das war in Spielen besonders ärgerlich, wenn es auch noch ein entscheidender Pfiff war. Da habe ich schon drei, vier Entscheidungen im Kopf, die so nicht hinnehmbar waren. Dann bin ich eben zu dicht an der Mannschaft dran und sehr emotional. Dann passiert das mal, ohne unsachlich zu werden. Ich will aber nicht unterstellen, dass man uns anders bewertet.


Ist in Drochtersen mit der Regionalliga das Ende der Fahnenstange erreicht? Was wäre nötig, damit D/A noch einen Schritt mehr macht?

Im Moment ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Unter den jetzigen Bedingungen können wir nicht in der 3. Liga spielen. Wir müssten unsere ganze Philosophie aufgeben, mit eigenen und noch berufstätigen Spielern zu arbeiten. Du kannst nicht mal eben am Sonntagmorgen nach Unterhaching fahren. Außerdem haben wir kein Stadion für 10000 Zuschauer. Aber es ist im Fluss. Und vielleicht ändern sich die Bedingungen ja auch.


Stichwort: Zweigeteilte 3. Liga.

Dann müssen wir das alles überdenken. Im Moment würde uns das überfordern. Die Regionalliga ist für uns eine gute Klasse, und sich da zu behaupten, das ist schon ziemlich gut.


Aber ist es, davon mal abgesehen, ein persönlicher Traum?

Nein. Eher im Gegenteil. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was wir erreicht haben. Irgendwo hat alles seine Grenzen. Da müssen wir die Kirche im Dorf lassen und uns fragen: Was passt zu Drochtersen/Assel? Und da ist das im Moment die Grenze. Ich füge aber hinzu: Vor zehn Jahren war das auch mal die Oberliga. Neue Strukturen können zu Veränderungen führen.


Strukturen ist ein gutes Stichwort. Also Infrastrukturelles. Was steht in den nächsten Monaten und Jahren auf der Agenda?

Die Platzbegebenheiten sind unbefriedigend. Der Kunstrasenplatz in Drochtersen ist sehr verletzungsgefährdend und muss saniert werden. Das wird teuer. Da sind schnell 150000 Euro verbraucht. Wir müssen gemeinsam mit der Politik Lösungen finden.


Aber D/A hat ja eine gute Lobby im Dorf und der Verein hat gute Argumente.

Ja, die haben wir. Insgesamt hat sich der Verein so stark entwickelt mit seinen sieben Herrenmannschaften, der Jugend und den Frauen. Deshalb brauchen wir auch einen zusätzlichen Platz in Drochtersen mittelfristig. Realistisch gesehen könnten wir die Sanierung 2019 umsetzen und den zusätzlichen Platz in zwei bis drei Jahren.


Ist mit dem Vereinsheim noch etwas geplant?

Das Vereinsheim wird 25 Jahre alt und ist äußerst spärlich gebaut. Damals war es okay, da waren wir stolz drauf. Auch heute ist es beim Feiern noch gemütlich. Aber den Anforderungen der Regionalliga wird es nicht gerecht. Wir haben keine Geschäftsstelle. Das sieht aus wie bei Hempels hinterm Sofa. Auch die sanitären Anlagen sind nicht mehr zeitgemäß. Wir versuchen, mit Sponsoren etwas zu bewegen.


Sportlich erfolgreich war das Jahr. War es auch wirtschaftlich erfolgreich?

Dieses Jahr wird wahrscheinlich das wirtschaftlich erfolgreichste. Uns haben die Spiele gegen Bayern, Osnabrück, Braunschweig und Jeddeloh Geld in die Kassen gespült. Das hatten wir im Jahr zuvor nicht. Deshalb brauchen wir das auch als Ausgleich für die Jahre, die nicht so positiv laufen. Nach wie vor gelingt es uns nicht, den Zuschauerschnitt zu erhöhen. Erfreulich ist, dass sich immer mehr Sponsoren für die Marke Drochtersen/Assel entscheiden. Wir sind zu einer Marke geworden. Das Bayern-Spiel hatte einen Effekt.


Im ersten Regionalligajahr kamen im Schnitt mehr als 1000 Zuschauer. Jetzt 756. Sind die Leute satt?

Das Fernsehen macht uns zu schaffen. Manchmal spielen der HSV oder Werder Bremen parallel zu uns. Das beißt schon. Ich glaube, das Interesse an D/A ist groß. Aber den Weg ins Stadion machen nicht alle. Freitags ist es sehr viel besser. Sonntags ist es schwieriger. Die Leute kommen aus dem ganzen Umkreis. Schön wäre, wenn noch mehr Leute aus Drochtersen selbst kämen. Aber ich habe es mir abgewöhnt, mich über Leute zu ärgern, die nicht kommen und freue mich über die Leute, die die da sind. Aber der harte Kern ist präsenter geworden.


Zurück zur Marke: Was hat diese Marke bislang für ein Image?

Ich glaube ein sehr Positives. Die Marke ist davon geprägt worden, das Bayern-Spiel unbedingt im Kehdinger Stadion stattfinden zu lassen, in der guten Stube. Wir sind draußen die vom Dorf, die aber wissen, was sie tun. Und die zu ihren Strukturen stehen, zu ihrem Dorfverein mit Herz. Die meisten anderen hätten sich aus kommerziellen Gründen für ein Spiel auf St. Pauli entschieden.

Saßen Sie eigentlich schon auf der Tribüne in der Allianz-Arena in München auf Einladung von Karl-Heinz Rummenigge?

Nein, dieses Jahr ist an mir vorbeigehuscht. Das habe ich mir für nächstes Jahr vorgenommen. Dann ist die Stimmung vielleicht bei den Bayern auch wieder besser.


Jetzt ist ja auch ein bisschen mehr Platz auf der Ehrentribüne.

(lacht) Ja, wir könnten den Platz von Paul Breitner nehmen. Das Verhältnis zu den Bayern war unheimlich nett. Die haben wahrgenommen, was wir für eine Marke sind.


Warum muss ein Fußball-Fan unbedingt ins Kehdinger Stadion nach Drochtersen kommen?

Weil er dort ehrlichen Amateurfußball und ganz engagierte Spieler sieht. Unsere Stärke ist die alte Tugend Kameradschaft. Wir sind eine eingeschworene Truppe, die Spaß macht.


Ihr wollt für eure Mannschaft auch beim FuPa-Wintercheck mitmachen? Dann sendet uns eure Antworten an lueneburg@fupa.net. Hier findet ihr unseren Fragenkatalog. KLICK

Aufrufe: 021.12.2018, 17:30 Uhr
Tageblatt / Von Daniel BerlinAutor