2024-05-10T08:19:16.237Z

Analyse
Ulms Trainer Holger Bachthaler (links) und Sportvorstand Anton Gugelfuß erleben mit ihrem Team gerade eine Schwächephase, die Kritik von außen wird immer lauter.
Ulms Trainer Holger Bachthaler (links) und Sportvorstand Anton Gugelfuß erleben mit ihrem Team gerade eine Schwächephase, die Kritik von außen wird immer lauter. – Foto: Horst Hörger

„Wir jagen ein Mysterium“

Woran liegt es, dass sich die Ulmer Spatzen derzeit schwertun? +++ Eine einfache Antwort kann niemand geben +++ Manche Kritiker greifen das Trainerteam an

Eine Fußballsaison nach zehn von 42 Spielen abzuschreiben ist in etwa so, als würde man einen dreistündigen Film nach 45 Minuten für schlecht befinden. Möglich, dass er tatsächlich schlecht ist, möglich aber auch, dass noch alles gut wird. Wenn sich die derzeitigen Leistungen des SSV Ulm 1846 nicht bessern, droht sein Film der Saison 2020/21 aber tatsächlich kein Meisterwerk zu werden. Die 1:2-Niederlage gegen Hoffenheim II am Dienstag war der neuerliche Beleg dafür, dass es derzeit einfach nicht rund läuft bei den Spatzen. „Im Moment ist das ernüchternd“, sagt Sportvorstand Anton Gugelfuß. Der Sportliche Leiter Stephan Baierl sagt: „Unsere Leistungen sind zu schwankend.“ Doch woran liegt es, dass die nominell stark besetzten Ulmer nicht das abrufen, wozu sie eigentlich im Stande sein sollten?

Anton Gugelfuß fällt auf die Frage auch keine echte Antwort ein. „Wir spielen eine Vorbereitung par excellence und gewinnen gegen Aue, Elversberg und Offenbach.“ Dem gegenüber stehen Niederlagen und Unentschieden gegen Teams wie Großaspach oder Hoffenheim II, die eigentlich nicht zur Kragenweite der Spatzen gehören. „Diese Punkte darf man eigentlich nicht hergeben“, erklärt Gugelfuß. Es ist auffällig, dass der SSV gegen direkte Konkurrenten wie zuletzt beim 1:0 gegen Offenbach eine starke Leistung zeigt, gegen vermeintlich schwächere Teams aber durchhängt. „Wir jagen ein Mysterium“, sagt Gugelfuß. Qualitativ sollten die Spatzen in der Lage sein, gegen diese Vereine mitzuhalten. Vielleicht ist das aber das Problem. Ulm wird seit geraumer Zeit in der Regionalliga als Top-Fünf-Team gehandelt, das wissen die Spieler. Nach dem Sieg gegen den Zweitligisten Aue im DFB-Pokal wurden sie zurecht gefeiert, sind dadurch möglicherweise aber zu selbstsicher geworden. Vinko Sapina hat nach der Niederlage gegen Aalen die These in den Raum gestellt, dass nicht jeder Spieler im Kader die richtige Einstellung hat, das hört man von anderen Personen aus Kreisen des SSV auch immer wieder. Liegt es also daran? „Ich hoffe, dass es nicht so ist“, sagt Anton Gugelfuß. „Wenn der FC Bayern zu einem Kreisligisten fährt, dann hat er trotzdem eine professionelle Einstellung. Das erwarte ich bei uns auch.“ Gegen Aalen habe er aber schon auch das Gefühl gehabt, als hätte seine Mannschaft den VfR unterschätzt. Es wäre ein Problem, das für das Trainerteam um Holger Bachthaler schwerer zu greifen wäre als die Defizite in der Chancenverwertung oder in der Abwehr.

Wozu die Spatzen in der Lage sind, wenn sie alles geben, das haben sie etwa im WFV-Pokalfinale, im DFB-Pokal oder phasenweise auch in der Liga gezeigt. Es stimmt schon, wenn Bachthaler und Baierl sagen, dass ihr Team jeden Gegner in der Liga schlagen kann, wenn es zu 100 Prozent da ist. „Aber, und das ist halt auch die Wahrheit: Wenn wir nicht 100 Prozent auf den Platz bekommen, sondern nur 85 oder 90, dann wird’s halt schwierig.“ Das hatte Bachthaler nach dem Sieg gegen Offenbach gesagt. Wenn auch nur zwei Spieler nicht so präsent sind, wie sie es sein sollten, dann bröckelt das Ulmer Konstrukt und das haben einige Partien der vergangenen Wochen bewiesen. „Mag sein, dass es an der Müdigkeit liegt“, sagt Baierl mit Blick auf den engen Spielplan. Das Pensum ist aber auch bei anderen Mannschaften hoch, die Konkurrenten um Steinbach Haiger, Elversberg, Homburg und Offenbach kommen offenbar besser damit zurecht. Deshalb vermuten Baierl und Anton Gugelfuß, dass die aktuelle Schwächephase auch darin begründet ist, dass sich Ulms Gegner mittlerweile gut auf den SSV eingestellt haben. Bei Topteams der Liga wäre das zwar eine plausible Erklärung, die niedriger angesiedelten Mannschaften sollten es aber eigentlich nicht so einfach haben, Ulm zu knacken.

Auch aus diesem Grund entlädt sich zusehends Kritik am Ulmer Trainer, besonders in den sozialen Netzwerken. Die sind zwar mit Vorsicht zu genießen, die Frage nach der Berechenbarkeit des Spielsystems wird aber auch hier gestellt. Von diesen Kritikern möchte Anton Gugelfuß jedoch nichts hören: „Ich bin kein Freund von anonymen Mitteilungen, dafür aber vom kontinuierten Arbeiten.“ Daher war vor einigen Wochen der Vertrag mit Holger Bachthaler verlängert worden – um die Basis für den langfristigen Erfolg herzustellen, wie es Gugelfuß ausdrückt. Der Trainer ist ein Teil davon. Auch Bachthaler sieht „individuelle Themen“ verantwortlich dafür, dass es zurzeit hapert, nicht das Spielsystem.

Die Basis für den langfristigen Erfolg liegt für alle Beteiligten in der Entwicklung der Mannschaft. Sie war zwar vor dieser Saison gut verstärkt worden, insbesondere das Problem mit der Chancenverwertung zieht sich aber schon sehr lange durch die Spiele der Spatzen, obwohl der Sturm eigentlich zu den stärksten der Liga gehört. Bleibt also die Frage, wie weit die Entwicklung bei den Ulmern wirklich fortgeschritten ist. Gugelfuß: „Das ist im Fußball schnell erklärt. Sie wird immer an Punkten und Erfolgen festgemacht.“ Er weiß also, dass noch Arbeit auf das Team wartet, wenn am Ende der Saison ein guter Film entstehen soll.


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Aufrufe: 023.10.2020, 20:19 Uhr
Neu-Ulmer Zeitung / Gideon ÖtingerAutor