2024-05-02T16:12:49.858Z

Ligabericht
Jubel mit den rund 450 mitgereisten Anhängern (von links): Erik Thommy, Andreas Geipl und Uwe Hesse vor der Jahn-Kurve. Foto: Gatzka
Jubel mit den rund 450 mitgereisten Anhängern (von links): Erik Thommy, Andreas Geipl und Uwe Hesse vor der Jahn-Kurve. Foto: Gatzka

Jahn: Am Freitag ist wieder Krimizeit

Die Regensburger machen es in Münster wieder mal spannend. Nun geht es um den Aufstieg – im Knaller gegen die Münchner Löwen!

Benedikt Saller stieß in den Katakomben des Preußenstadions einen Urschrei aus. Der 24-Jährige fiel seinem derzeit verletzten, aber als Fan mitgereisten Teamkollegen Oliver Hein um den Hals. Gemeinsam legten die beiden eine halbe Jubelpirouette aufs Parkett. Dahinter schlurfte Marvin Knoll auf Socken in Richtung Umkleide und murmelte: „Krimis! Krimis! Immer nur Krimis!“

In der Tat hat der SSV Jahn in dieser Drittliga-Spielzeit ein Abonnement auf Thriller. Tatort diesmal: Münster. Im Herzschlagfinale um den Aufstiegsrelegationsplatz machten es die Regensburger am 38. Spieltag wieder mal betont spannend, ehe sie mit einem verwandelten Handelfmeter von Andreas Geipl (83. Minute) den 1:0 (0:0)-Sieg, Rang drei und damit die Chance auf einen sensationellen Durchmarsch des Neulings von der vierten in die zweite Liga wahrten. „So sind wir halt dieses Jahr. Wir können nichts anders“, kommentierte Jahn-Stürmer Marco Grüttner fast entschuldigend den fatalen Hang zu nervenzerfetzenden Dramen.

Derart gestählt gehen das Jahn-Team und seine Fans nun in die Verlängerung der Saison und in die beiden Aufstiegsspiele. Am Freitag (18 Uhr) ist schon wieder Krimizeit, diesmal in Regensburg. Und es kommt zum von vielen erträumten Knaller-Duell mit dem TSV 1860 München, das die Region elektrisiert. Die ruhmreichen Löwen unterlagen am Sonntag 1:2 in Heidenheim und beendeten die Saison der zweiten Fußball-Bundesliga als Drittletzter.

„Ein großer Verein mit einer sehr breiten Fanbasis. Wenn ich mir den Kader oder die Finanzen anschaue, sind die Löwen natürlich absoluter Favorit. Aber jetzt haben wir die Chance, und jetzt wollen wir diese Chance natürlich nutzen, auch wenn es eine minimale ist. Die Aufgabe ist nicht unlösbar“, sagte Jahn-Coach Heiko Herrlich in einer ersten Reaktion zu unserem Medienhaus. Das Rückspiel findet am Dienstag, 30. Mai (18 Uhr), in der Allianz-Arena statt.

Jahn-Geschäftsführer Christian Keller sagte: „Ganz ehrlich: Mir war es eigentlich egal, gegen wen wir spielen. Ich freue mich einfach, dass wir diese Spiele haben. Aber für unsere Fans ist diese Konstellation natürlich toll. Und dass Duelle mit den Münchner Löwen medial eine ganz besondere Aufmerksamkeit erfahren, ist auch klar.“

Ein Spiegelbild der Saison

Das Spiel in Münster war für Heiko Herrlich „ein Spiegelbild unserer Saison“. Der SSV Jahn betrieb Chancenwucher, der an spätrömische Dekadenz grenzte. Benedikt Saller (16.) und Marco Grüttner trafen den Pfosten, und auch aus einem Eckenverhältnis von 13:2 wussten die Regensburger kein Kapital zu schlagen.

„Der Ball wollte einfach nicht über die Linie. Es war fast zum Verzweifeln“, schilderte Andreas Geipl die vergeblichen Bemühungen. So musste er selbst fürs das späte Happyend sorgen. Zum sechsten Mal traf der 25-Jährige in dieser Spielzeit vom Punkt, sieben Treffer insgesamt stehen für ihn zu Buche. „Ich hab’ morgens beim Frühstück zu Andi gesagt, ich hab’ irgendwie das Gefühl, dass wir heute das Spiel durch einen Elfmeter von ihm entscheiden“, reklamierte Grüttner hinterher hellseherische Fähigkeiten für sich. „Ich war mir sicher, dass ich treffe“, sagte Geipl, der die Tormitte anvisiert hatte. Der Schütze gab aber auch zu: „Da ist schon eine ganz schöne Last von mir abgefallen.“

Die Berechtigung des Strafstoßes, den Münsters Stephane Tritz nach einem Schuss von Marcel Hofrath verursachte, zweifelte auch im Lager der Hausherren niemand ernsthaft an. Freilich nörgelten die Münsteraner, Schiedsrichter Sascha Stegemann hätte kurz vor Schluss auf der Gegenseite ebenfalls einen Elfmeter verhängen können, ja müssen. Marvin Knoll war gegen den eingewechselten Philipp Hoffmann ungestüm zu Werke gegangen. Knolls schuldbewusste Miene nach dem Abpfiff signalisierte: Wir hätten uns über einen Pfiff nicht beschweren können.

Sei’s drum. Der Sieg in Münster war mehr als verdient. Und überhaupt: „Wären wir effizienter gewesen, hätten wir die beiden Relegationsspiele gar nicht machen müssen“, blickte Herrlich auf viele Saisonpartien zurück, in denen sein Team „Punkte liegengelassen“ habe. Mit dem nun möglichen Coup vor Augen legte der 45-Jährige die bislang geübte Zurückhaltung ab und sprach erstmals offen vom Aufstieg. „Das logische Ziel ist erreicht – aufgrund der Saison, die wir gespielt haben. Jetzt wollen wir natürlich die nächste Hürde auch noch nehmen. Wir wollen in die zweite Liga hoch“, sagte Herrlich, der sich vor dem Duell in Münster noch über die seiner Ansicht nach ausufernde Euphorie in Regensburg beklagt hatte.

Kein normales Spiel

Es war „kein normales Spiel“ (Herrlich) vor 7008 Zuschauern in Münster. Denn an der Dramaturgie des Samstagnachmittags schrieb ja rund 340 Kilometer entfernt der 1. FC Magdeburg entscheidend mit. Gut eine Stunde lang war für den Jahn alles im grünen Bereich, da zeitgleich auch beim direkten Konkurrenten in Sachsen-Anhalt Torflaute herrschte. Dann brachte Michel Niemeyer die Magdeburger in Führung, und Florian Kath schraubte das Resultat dort auf 2:0.

Damit rutschen die Regensburger in der Blitztabelle aufgrund der schlechteren Tordifferenz punktgleich mit Magdeburg auf den vierten Platz ab. „Ich hab’ signalisiert: Wir müssen, wir müssen, wir müssen!“, schilderte Herrlich seine Reaktion, die er mit zwei offensiven Wechseln – Andre Luge für Kolja Pusch und Haris Hyseni für Marc Lais – sowie der Umstellung auf eine Dreierkette in der Abwehr untermauerte.

Der Glaube ans Gelingen und an die eigenen Stärken versetzte anschließend wieder einmal Berge beim SSV Jahn. Die beiden Bonusspiele und das i-Tüpfelchen auf eine grandiose Saison wollte niemand mehr aus der Hand geben. Dass es nun gegen die Sechziger geht, ist eine zusätzliche Belohnung. „Ich freu’ mich, dass ich noch keinen Urlaub hab’, sondern noch etwas Zeit mit den Jungs verbringen darf“, sagte Marvin Knoll. Fast schon drohend fügte er im Hinblick auf die Relegationsspiele hinzu: „Wir lieben Krimis.“

Beim SSV Jahn heißt es vorerst weiter: Nerven bewahren! Nun gegen die Münchner Löwen.

Aufrufe: 022.5.2017, 14:00 Uhr
Heinz Gläser, MZAutor