2024-04-25T14:35:39.956Z

Analyse
Eine Frage der Einstellung: Selbst Tore schießen? Oder doch erst mal Gegentore verhindern?	Karikatur: Heinrich Schwarze-Blanke
Eine Frage der Einstellung: Selbst Tore schießen? Oder doch erst mal Gegentore verhindern? Karikatur: Heinrich Schwarze-Blanke

Eine Sache von Risiko und Nutzen

Zwischen Dreier- und Fünferkette ist im Fußball zunehmend Flexibilität gefragt

Worms. Es wird wohl nicht wenige geben, die halten sich beim Fußball an das Erfolgsrezept von Franz Beckenbauer: „Flach spielen, hoch gewinnen.“ Der eine oder andere Taktikfan sitzt aber doch auch auf der Tribüne. Und wer sich da an die Viererkette gewöhnt hat, der musste sich am Samstag etwa beim Heimspiel von Wormatia Worms erst mal neu sortieren: VfR-Coach Steven Jones hatte eine Dreierkette aufgeboten. Durchgezählt wurde ebenso bei RWO Alzey, formierte doch auch Tino Häuser fürs Spiel beim SV Rülzheim eine Defensivzentrale mit drei Abwehrrecken. Norbert Hess machte es dagegen kompakter. Der Trainer der TSG Pfeddersheim stellte in Hauenstein sogar fünf Mann nebeneinander.

Fuchsig? Ein taktischer Kniff, der den Gegner einfach nur verwirren soll? Oder steckt da mehr dahinter? Nun, die Zeiten des Liberos, da sind wir wieder bei Franz Beckenbauer, sind eben vorbei. Wobei – nicht ganz. Das sagt Heinz Jürgen Schlösser. Der Verbandstrainer des Südwestdeutschen Fußballverbandes (SWFV) weiß, dass der Libero nie so ganz verschwunden war: „Zum Beispiel in der Viererkette gibt es ja immer einen Spieler, der sich beim Angriff des Gegners etwas zurückfallen lässt und absichert.“

Gerne listet Schlösser aber ein paar Vorteile auf, die für die eine wie auch die andere Variante des Abwehrspiels sprechen. Und er hält dabei zuerst mal eines fest: „Es gibt nur ganz wenige, die wirklich eine Dreierkette spielen.“ Schließlich werde das Abwehrtrio im Rückwärtsgang in der Regel zu einem Quintett. Der Vorteil sei dann, „dass die Abwehr in der Breite verstärkt wird“. Die Verteidigung falle leichter, weil einer der drei Innenverteidiger („meist drei kopfballstarke Spieler“) sorgenfreier nach vorne rücken könne, um einen dort den Ball führenden Gegner zu attackieren. Und für den Vorwärtsgang ergebe sich nicht nur die Option, der auf den Flügeln schnell die Offensive suchenden Außenverteidiger. Der Aufbau erfolge gleich aus dem Herzstück der Kette heraus: „Es muss sich niemand aus dem Mittelfeld zurückfallen lassen.“

Soweit das Grundsätzliche. Der Rest sind individuelle Überlegungen. Etwa in Hauenstein ging es für Norbert Hess in erster Linie darum, tatsächlich eine stabile Defensive zu formieren. Wenn dann natürlich in der Abwehrzentrale der Ball gleich verdribbelt wird, geht dieser Schuss schnell nach hinten los. Die TSGler unterlagen in der Oberliga glatt mit 1:3.

Nicht besser lief‘s für Tino Häuser mit seiner RWO in Rülzheim. Auch die Rot-Weißen verloren in der Landesliga mit 1:3, hatten drei zentrale Abwehrspieler formiert und davor mit zwei Sechsern das Mittelfeld verengt. Allerdings ist Fußball ja nicht nur Taktik. Die Niederlage machten Häuser wie auch der Sportliche Leiter Hans-Karl Schäfer zumindest am Schiedsrichter fest. Auch die Leistung der Assistenten an der Linie seien ursächlich verantwortlich für die Pleite.

Deutlich erfolgreicher mit seiner Idee war derweil Steven Jones, der sein Team beim 1:0-Sieg gegen Hoffenheim II in erster Linie auch die offensiven Möglichkeiten der Dreierkette ausleben ließ. Eine Variante, die er auch mit den Qualitäten im eigenen Kader erklärte: „Wir haben nun mal drei starke Innenverteidiger.“ Es habe da fast weh getan, einen davon – es traf Benjamin Maas – stets auf der Bank lassen zu müssen: „Dabei wissen wir, dass er mit seiner Erfahrung und seinen Standards sehr wichtig für uns ist.“ Lange hätten die englischen Wochen den nun vollzogenen Schwenk verhindert. „Wir hatten jetzt mal die Zeit, das intensiv zu trainieren.“

Genau da liegt die Krux. Zwar hat sich überall die Überzeugung durchgesetzt, „dass es keine festen Systeme mehr gibt“, wie Heinz Jürgen Schlösser betont. Notwendig sei dazu aber die Schulung der Kicker. „Gerade im Jugendbereich müssen die Spieler verschiedene Systeme lernen“, unterstreicht Schlösser und verweist darauf, dass die Formationen je nach Spielsituation ja mittlerweile häufig wechselten. Er schmunzelt: „Eine Grundformation haben die meisten Mannschaften doch nur solange, bis der Anpfiff erfolgt.“ Auf der Tribüne kann da aber mal schnell durchgezählt werden.



Aufrufe: 029.11.2016, 13:00 Uhr
Carsten SchröderAutor