2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines
Soll die Bundesliga die Saison mit Geisterspielen fortsetzen? Der Usinger Anzeiger hat sich umgehört.	Foto: dpa
Soll die Bundesliga die Saison mit Geisterspielen fortsetzen? Der Usinger Anzeiger hat sich umgehört. Foto: dpa

Rückkehr zu Brot und Spielen?

DEBATTE: +++ Heimische Fußballszene sieht Bundesliga-Start am 9. Mai sehr kritisch +++

USINGER LAND . Die Fußball-Bundesliga „scharrt mit den Hufen“ und will die Saison 2019/2020 unbedingt zu Ende bringen. Zur Fortsetzung des Spielbetriebes wird immer öfter der 9. Mai als Datum genannt. Der Usinger Anzeiger hat in einer Blitzumfrage die heimischen Fußballexperten gefragt, was sie von einer restlichen Saison mit Geisterspielen halten und ob sie für oder gegen einen Start am 9. Mai sind.

Bernd Moses (Vorsitzender des Kreissportgerichts): Ich bin zwiegespalten. Grundsätzlich sage ich „Ja“ zur Fortsetzung. Aber die Bundesliga hat eine Verantwortung, nicht zum Nachteil der Gesellschaft zu handeln. Deshalb ist die Bundesliga in der Pflicht, für die benötigten Tests finanziell selbst zu sorgen und darüber hinaus noch einmal zusätzlich so viele Testkapazitäten für die Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Hier muss die Bundesliga in Vorlage treten. Die Menschen lechzen nach Fußball. Deshalb gibt es keine andere Möglichkeit. Ich bin kein Fan davon, aber DFB-Präsident Keller hat Recht: Wenn es keine Geisterspiele gibt, ist das Risiko hoch, dass überhaupt kein Fußball mehr zu sehen sein wird. Handball-, Basketball- oder Volleyballvereine leben viel mehr von der Zuschauerzahl als der Profifußball. Hier geht es nur um die Fernsehgelder. Man sieht deutlich, dass die Zuschauer in den Etats der Bundesligisten nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.

Michael Schütrumpf (Geschäftsführer Usinger TSG): Das ist absolut undenkbar. Fußball ist Zweikampfsport. Solange die Distanz- und Abstandsregeln gelten, würde eine Fortsetzung der Bundesliga die Corona-Regeln unterlaufen. Bundesligaspieler müssten einkaserniert werden. Das ist nicht durchsetzbar. Geisterspiele ergeben für mich keinen Sinn. Da gibt es keinen Wettkampfcharakter. Das hat nichts mit Fußball zu tun. Es gibt derzeit andere Prioritäten. So lange die Corona-Regeln nicht gelockert werden und man nicht wieder normal miteinander umgehen kann, geht eine Fortsetzung der Bundesliga nicht. Mit den Geisterspielen soll ein aus den Fugen geratenes System künstlich am Leben gehalten werden. Michael Caspari (ehemaliger Sportlicher Leiter FC Neu-Anspach): Jede andere Profiliga im Sport in Deutschland schafft es, die Saison abzubrechen. Daran sieht man, um wie viel Geld es in der Bundesliga geht und wie viel Wirtschaftskraft dahinter steckt. Als Fußballer wäre ich froh, wenn es wieder losgehen würde. Irgendwie schwebt der Fußball über allem. Das ist mit keiner anderen Sportart vergleichbar. Allerdings sehe ich es in der Praxis noch nicht kommen. Da muss nur ein einziger Spieler als Corona-Fall auftreten. Ich glaube nicht, dass das ohne Zwischenfälle verläuft. Einschalten würde ich den Fernseher auf jeden Fall. Vielleicht gibt es wirklich wieder „Brot und Spiele“. Fußball schauen würden wir alle. Im Vergleich zum anderen Sport gibt es da ein Alleinstellungsmerkmal. Wenn es allerdings schief gehen würde, müssten die Organisatoren die Verantwortung übernehmen. Das muss abgewogen werden und ist ganz schwer zu beurteilen. Allerdings finde ich es gut, dass der Fußball jetzt mal entschleunigt wird.

Armin Klimek (Pressesprecher FSG Weilnau/Weilrod/Steinfischbach): Es gibt wichtigere Dinge als Fußball. Die Bundesliga sollte keine Ausnahme bekommen, sondern genauso behandelt werden wie alle anderen Sportarten auch. Geisterspiele sollen nur aus kommerziellen Gründen stattfinden. Aber Fußball ohne Zuschauer kann man vergessen. Ich habe das Europapokal-Spiel der Eintracht gegen Basel gesehen. Das hatte mit Fußball nichts zu tun. Es darf keine Ausnahme für die Bundesliga geben. Das halte ich nicht für glücklich. Dann wird man wieder mit dem Finger auf die Fußballmillionäre zeigen, zumal ein kleiner Amateurverein ja nicht einmal trainieren darf. Meine Meinung: keine Sonderstellung für den Profifußball. Ich hoffe, dass die Corona-Krise dazu beiträgt, dass der Fußball wieder auf normale Füße gestellt wird.

Dirk Hentschel (Vorsitzender FC Laubach): Ich sage „Ja“ und „Nein“. Es erscheint mir ein bisschen früh. Es ist wichtig für die Bundesliga, Geld einzuspielen. Aber es ist auch sehr schwer auszuschließen, dass alle Corona-Verdachtsfälle nicht spielen werden. Für mein Fußballherz wünsche ich mir, endlich wieder ein Spiel zu sehen. Natürlich wird das nur alleine zu Hause stattfinden. Das Fußballherz sagt „Ja“, aber aus gesundheitlichen Gründen sollte man nichts überstürzen. Geisterspiele sind für mich in Ordnung, weil die Fernsehgelder gebraucht werden, um Einnahmen zu generieren. Ohne Zuschauer sieht man aber nur ein lebloses Spiel. Da kommt keine Stimmung auf. In der jetzigen Situation wäre das in Ordnung, aber ansonsten hat der Fußball ohne Fans keine Chance. Weil die Europameisterschaft abgesagt wurde, besteht eigentlich noch genug Zeit, die Saison zu Ende zu spielen. Man kann im Sommer durchspielen. Aus Gründen der Gleichbehandlung sollte die Saison fertig gespielt werden. Es muss einen Meister und Absteiger geben.

Stefan Körner (Sportlicher Leiter SG Eschbach/Wernborn): In dieser Situation wäre die Fortsetzung der Saison ganz schwierig. Wie soll man denn Kindern erklären, dass sie draußen nicht Fußball spielen dürfen, aber die Bundesliga spielt? Von Geisterspielen halte ich nichts. Da gibt es keine Stimmung. Da hallt es nur im Stadion. Dann würde es auf jedem normalen Sportplatz im Usinger Land mehr Spaß machen. Ein Geisterspiel in einem großen Stadion hat überhaupt keine Atmosphäre. Da versteht man ja jedes Wort von außen. Die Zuschauer gehören einfach dazu. Natürlich spielt das Geld eine Rolle. Meine persönliche Meinung lautet: Man sollte diese Saison komplett abhaken und 2020/2021 neu beginnen, wenn alles gut überstanden ist.

Andreas Bernhardt (Kreisfußballwart): Prinzipiell wäre es schon wichtig, wieder Fußball zu sehen. Das würde helfen, zur Normalität zurückzukommen. Ganz Unrecht haben jene nicht, die sagen, dass der Fußball sich etwas Besonderes herausnehme. Man muss darauf achten, dass alle Regeln eingehalten werden. Es dürfen keine Ressourcen genutzt werden, die woanders benötigt werden. Eventuell müsste die ganze Fußball-Community unter Quarantäne gestellt werden. Wenn vorhandene Testkapazitäten nicht ausreichen, müsste „Sippenquarantäne“ eingeführt werden.

Tobias Ketter (Spielführer SG Wehrheim/Pfaffenwiesbach): Jeder Fußballfan will Spiele sehen. Ich finde Geisterspiele ganz in Ordnung. Auf der anderen Seite haben wir nicht genügend Tests, denn jeder Spieler müsste ja vor jedem Spiel prophylaktisch getestet werden. Die Tests werden aber für kranke Menschen gebraucht. Nur weil Fußball so viel Geld hat, soll es anders sein? Das ist schon ein wenig verwerflich. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden, würde ich jetzt schon sehr gerne Fußball sehen. Ich bin für eine Fortsetzung der Saison, wenn der gesellschaftliche Nutzen höher wäre als der Aufwand, der dafür betrieben werden muss.

Simon Bartsch (Trainer SG Hundstadt): Die Bundesliga sollte nicht fortgesetzt werden. Es gibt momentan andere Baustellen, die im Fokus liegen sollten. Bei der viralen Notlage sind Sportevents zu riskant und sollten absolut nachrangig sein. Natürlich gibt es große wirtschaftliche Interessen. Das liegt wie ein Damoklesschwert über der Liga und den Vereinen. Aber viele Bürger haben auch große finanzielle Sorgen. Warum sollte man den Fußball mit seiner großen Finanzblase anders behandeln als den normalen Arbeiter oder Angestellten? Die Handball-Bundesliga hat das sehr gut vorgemacht. Solange akute Gefahr für das gesamte Gesundheitssystem besteht, ist an Sportereignisse wie Fußball nicht zu denken.

Natürlich sehe ich gerne Fußball. Aber bei Geisterspielen kommt überhaupt keine Atmosphäre auf. Darauf kann ich verzichten. Fotos: anr



Aufrufe: 030.4.2020, 08:00 Uhr
Andreas RomahnAutor