2024-05-10T08:19:16.237Z

Interview
Coach Sven Engel (hinten) mit seinen Jungs vom OFC. Fotos: privat
Coach Sven Engel (hinten) mit seinen Jungs vom OFC. Fotos: privat

Der Fußball hat ihm sein Leben zurückgegeben

Sven Engel war depressiv und litt an einer Persönlichkeitsstörung. Das Coaching hat ihm geholfen, das zu überwinden. Wir haben uns mit dem Jugend-Trainer unterhalten.

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Sven Engel ist Jugendtrainer mit Leib und Seele. Angefangen bei Concordia Wittenau, steht er mittlerweile regelmäßig beim Oranienburger FC Eintracht auf dem Rasen. Vielleicht klingt es ein wenig abgedroschen, aber für ihn ist das Coaching jede Woche tatsächlich sehr viel mehr als nur ein paar Runden mit den Kindern zu drehen. Für ihn war der Eintritt ins Trainerleben auch ein erster Schritt aus der Depression, die ihn viele Jahre quälte.

Sven, Du hast eine sehr schwere persönliche Situation durch den Fußball gemeistert. Was ist geschehen?


Mit drei Monaten wurde ich aus meiner Familie gerissen. Meine Eltern konnten sich nicht um mich und meine drei Geschwister kümmern und ich kam in eine Pflegefamilie. Trotzdem ich mich dort schnell zu Hause fühlte, kam immer das Gefühl auf, anders zu sein. Wo gehöre ich hin?, war eine der Fragen, die mich in dieser Zeit ständig begleiteten.

Wie hast Du sie beantwortet?

Zunächst gar nicht. 2008 verstarb mein Pflegevater an einem Herzinfarkt. Das war der Moment, der für mich alles veränderte. Ab dieser Zeit wurde ich depressiv und erlitt eine Persönlichkeitsstörung. Ich gab mir oft die Schuld an seinem Tod: Wie Kinder halt sind, testete auch ich meine und seine Grenzen. Ich wusste, das mein Papa Herzprobleme hatte, dennoch gab es oft Zoff. Nach seinem Tod wollte ich unbedingt Fußball spielen, so wie er es auch gemacht hatte. Aber selbst wenn ich in einer Mannschaft Fuß gefasst hatte, ging es mir nicht besser.

Wie alt warst Du zu diesem Zeitpunkt?

Gerade erst 13.

Und wie ging es dann weiter?

2010 wurde mir früh ein Posten als Trainer angeboten. Ich habe lange gegrübelt und bin zum Entschluss gekommen, es zu machen. Seitdem habe ich das Gefühl, gebraucht zu werden. So stieg mein Selbstvertrauen von Jahr zu Jahr. Heute kann ich sagen, dass es richtig war.

In Wittenau fing alles an: 2010 begann Sven dort seine Jugendtrainer-Laufbahn.

Wie schwer fällt es Dir, darüber zu sprechen und die Sache so in die Öffentlichkeit zu tragen?

Mein Leben ist oder war so, wie es ist. Es gibt bestimmt Menschen, die das gleiche Problem haben. Ich möchte einfach zeigen, dass jeder gebraucht wird. Jede Krankheit kann bekämpft werden.

Wie bekämpft Fußball so eine Krankheit?

Jede Mannschaftssportart ist gut für einen selbst. Man muss als Mannschaft zusammenhalten, so baut man Selbstvertrauen auf und das Vertrauen jedes einzelnen Mitspielers. Um dieses Mannschaftsgefüge zu fördern, ist der Trainer da. Wenn er sich engagiert und für die Spieler einsetzt.

Macht es einen Unterschied, ob man diese Arbeit mit Kindern oder Erwachsenen macht?


Als Trainer kann man die Kinder in die richtige Richtung lenken, wenn man erst einmal ihr Vertrauen gewonnen hat. Oft sehe ich mich selbst in Spielern wieder. Kinder vertrauen mir oft private Situationen an und ich helfe ihnen dabei, sie zu lösen.


Was sind das für Situationen?

Probleme in der Schule oder zuhause. Meistens reden sie mit mir, und anschließend rede ich mit den Eltern über bestimmte Situationen. Viele Sachen vertraut man den Eltern einfach erst einmal nicht an oder traut sich generell nicht, mit ihnen darüber zu sprechen.

Was gab es für ein konkretes Problem, das Du in letzter Zeit lösen konntest?

Vor zwei Jahren gab es einen Spieler, der zuhause vernachlässigt wurde. Die Eltern waren einfach überfordert. Dieser Junge kam immer hungrig und durstig zum Training. Daraufhin hatte ich ein langes Gespräch mit den Eltern. Sie nahmen sich schließlich professionelle Hilfe. Das danken die Eltern mir immer noch und dem Jungen geht es jetzt besser.

Das läuft sicherlich nicht immer so, oder? Ich könnte mir vorstellen, dass manche es vielleicht gar nicht gern haben, wenn sich andere Menschen in „ihre Dinge einmischen“. Schon gar nicht der Fußballtrainer.

Natürlich sehen es manche Eltern nicht gern, aber die meisten, mit denen ich gesprochen habe, hörten mir zu und realisierten die Situation.

Hast Du eine spezielle Vorgehensweise in solch heiklen Gesprächen?

Ich probiere erstmal den Ursprung des Ganzen zu verstehen: Wie oder wo treten die Probleme auf? Dann organisiere ich einen Termin mit den Eltern und spreche ganz einfach über die Vorkommnisse. Einen richtigen Plan habe ich nicht entwickelt. Jedes Gespräch ist anders.

Alle zusammen: Mannschaftsansprache beim Oranienburger FC Eintracht.


Bist Du in dieser Hinsicht beruflich ausgebildet?

Leider nicht. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, in den psycho-sozialen Bereich einzusteigen. Aber aktuell arbeite ich bei der Stadtreinigung. Was übrigens auch mein Pflegevater tat. Dort hat man natürlich viel mit Menschen zu tun. Und man muss Probleme lösen, ohne Schaden anzurichten.

Stichwort Schaden: Der ist gerade bei Kindern schnell angerichtet, wenn man bei Problemen in Erziehung und Entwicklung nicht weiß, was man tut…

Klar. Ich als Trainer kann höchstens eine Hilfestellung geben, aber ich habe natürlich Grenzen, wenn es um die Erziehung geht. Ich kann Anstöße geben, aber nichts entscheiden. Das ist klar, denke ich.

Das Interview führte Marc Schütz



Aufrufe: 07.9.2017, 12:46 Uhr
Marc SchützAutor