2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines
– Foto: imago images /Schatz

Coronakrise: DFB spart - an der Basis der Nachwuchsförderung

Stützpunkttrainer in Deutschland bekommen kein Honorar mehr / Loyalität der Lizenztrainer zum reichsten Sportverband der Welt bröckelt

Sie bilden die Fußballnationalspieler der Zukunft aus, spannen ein Netz der Talentsichtung über ganz Deutschland – erhalten aber ab sofort kein Geld mehr. 1300 Stützpunkttrainer des Deutschen Fußball-Bundes dürfen aktuell wie viele andere in der Corona-Krise nicht in Gruppen mit Sportlern üben. Das nahm der DFB zum Anlass, ihr Honorar (monatlich 307 Euro) komplett zu streichen. Nun ist die Enttäuschung der Trainer groß, ihre Loyalität zum zum größten und reichsten Sportverband der Welt bröckelt.

Trainer an einem der über 350 Stützpunkte in Deutschland zu sein, ist eine fordernde Aufgabe. Drei Stunden üben mit zwei Altersklassen hintereinander auf dem Platz pro Woche ist Standard, dazu kommt Zeit für Konzeption und Nachbereitung der Einheiten bei penibler Dokumentation. Talentsichtung vor Ort – Vorgabe etwa 20 Spiele pro Saison in Niedersachsen, in Westfalen etwa 30 Spiele plus mehrtägige Schulungen in der Sportschule Kaiserau einmal pro Jahr – ist Aufgabe der Lizenztrainer, wie die Kontaktpflege zu Klubs und die Organisation des Stützpunktes. Der Job erfordert nicht nur Fachwissen, sondern Idealismus und Herzblut. Keiner macht ihn wegen der 307 Euro, die der DFB dafür pro Monat zahlt.

Nicht eingepreist ist die wohl wichtigste Aufgabe der Trainer, auch zu Corona-Zeiten: Die Förderung der Heranwachsenden in der Persönlichkeitsentwicklung. Fragen zu Vereinswechseln, zur Vereinbarkeit von Schule und Sport, Zuspruch bei Motivationslöchern, bei Stress mit Familie oder Freunden: Der Begleitung der erfahrenen Vertrauenspersonen ist gerade in Stützpunkt-Jahrgängen der U12 bis U15 wichtig. Die Altersklassen gelten in der charakterlichen Reifung als schwierig, in der fußballerischen Entwicklung aber als entscheidend dafür, ob jemand später die Chance hat, Profifußballer zu werden.

Zwölf U21-Spieler mit Stützpunkt-Vergangenheit

Zwölf Spieler aus dem Kader der aktuellen U21-Nationalelf haben laut DFB eine Stützpunkt-Vergangenheit. Die persönliche Entwicklung der Talente müsse im Mittelpunkt stehen, auch die Individualität bei der Aus- und Weiterbildung: Das sagte im Februar Oliver Bierhoff, Leiter Direktion Nationalmannschaften und Akademie – jenem 150 Millionen Euro teuren Projekt, das gerade in Frankfurt entsteht und in dem unter dem Motto „Zurück an die Weltspitze“ die Talentförderung zentral gesteuert werden soll.

Diagnostiziert haben sie dort, dass nach der WM 2024 ein Qualitätsverlust im deutschen Spitzenfußball drohe. Dann treten nach und nach jene Kicker in den Seniorenbereich über, die jetzt in Stützpunkten gefördert werden. Oder bis vor Kurzem gefördert wurden.

Nun teilte der DFB den 1300 Stützpunkttrainern mit, sie würden ab sofort und bis auf Weiteres nicht mehr bezahlt. Der Verband, Jahresetat etwa 400 Millionen Euro, spart damit im Mai etwa 0,4 Millionen Euro – auf Kosten von über 10000 der bundesweit besten Nachwuchskicker und ihrer Trainer.

Geld per Videobotschaft gestrichen

Einige von ihnen, etwa im nahen Westfalen, erfuhren das aus einer Videobotschaft von Damir Dugandzic, sportlicher Leiter des DFB-Talentförderprogramms. Abserviert in knapp 90 Sekunden – das Gefühl blieb haften bei Inhabern der DFB-Elite-Jugend-Lizenz, A-Lizenzlern und Fußballlehrern, die über Jahre, teils über Jahrzehnte mit Leidenschaft für Talentförderung lebten. Mehr Zeit nahm sich der Niedersächsische Verband (NFV) bei einer Videoschalte, die auch Stützpunkttrainer aus der Region Osnabrück-Land (sechs) und Emsland (vier) informierte. Einschließlich einer Andeutung, die Coaches könnten auch ohne Bezüge gern weiter ihren verbliebenen Aufgaben nachkommen.

Klar ist: Die Pandemie reduziert das Tätigkeitsfeld der Trainer massiv. Auswahltraining findet seit Mitte März ebenso wenig statt wie Spiele, bei denen Talente gescoutet werden können. Darauf begründet der DFB die Aussetzung der Trainer-Bezüge.

Einige Trainer prüfen den Klageweg

In den Bereichen Athletik und Balltechnik aber hatten die Trainer der Region ihre Talente weiter individuell gecoacht: Über das telefonische wie digitale Nachhalten von Übungen, Aufgaben und Trainingsplänen sowie über die bei Youngstern beliebten Video-Challenges. Ganz oben auf der Agenda stand ihre persönliche Begleitung in diesen Zeiten der Unsicherheit. Dazu hatten die Trainer in Eigeninitiative an organisatorischen wie inhaltlichen Verbesserungen vor Ort für die Zeit nach der Krise gearbeitet.

Wer Stützpunkttrainer aus Niedersachsen und Westfalen fragt, erfährt: Der Großteil wäre in der Coronakrise einer Bitte um – notfalls massive – Kürzung der Bezüge nachgekommen. Nach der abrupt verfügten Total-Streichung fühlen sich viele nun wie vor den Kopf geschlagen. Einige wollen jetzt dem DFB den Rücken kehren. Andere prüfen, den Rechtsweg gegen den Verband einzuschlagen.

Was aus dem Blick gerät: Die Frage, wie Fußballtraining für Talente laufen kann, wenn Sport im Freien unter Wahrung des Kontaktverbots (Abstand zwei Meter) wieder erlaubt ist. In Niedersachsen ist das ab diesem Mittwoch der Fall. Im Gegensatz zu vielen anderen der über 50 Sportfachverbände in Deutschland hat der DFB für einen solchen Fall noch kein Hygienekonzept für seine Mitglieder erstellt.

Zu diesem Themenkomplex sind dem DFB am Sonntag Fragen zugegangen. Eine inhaltliche Reaktion des Verbandes blieb bisher aus.

Aufrufe: 06.5.2020, 22:00 Uhr
Benjamin Kraus / NOZAutor