2024-05-10T08:19:16.237Z

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Seine Gegner gehen in die Luft oder laufen hinterher, Milenko Babic ist derweil auf dem Weg zum Tor. Foto: Roland Fengler
Seine Gegner gehen in die Luft oder laufen hinterher, Milenko Babic ist derweil auf dem Weg zum Tor. Foto: Roland Fengler

Milenko Babic: Ein vernünftiger Spaßfußballer

Alltag in der A-Klasse - Teil 12: Der Angreifer hat in 19 Spielen schon wieder 19 Tore für den FC Serbia geschossen. Das Porträt eines Mannes, der mit seinem Können gutes Geld hätte verdienen können, dem die Sprache und die Schule aber wichtiger war als die Torjägerliste

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Gut, sie war ja nie weg, die A-Klasse. Wir haben sie hier nur versteckt, eine Saison lang. Jetzt sind wir wieder dort, auf holprigen Wiesen, bei den Jungs mit den schweren Knochen, bei denen, die lieber nächtelang feiern gin­gen als ins Fußballinternat. Eine wöchentliche Liebeserklärung an die ehrlichste Fußball-Liga Nürnbergs und an ihre Spieler. Zum Beispiel an: Milenko Babic.

Und eines Morgens war Milenko Babic plötzlich in Nürnberg. 16 Jahre alt, ohne ein Wort deutsch zu spre­chen. Alle Freunde, die halbe Familie waren in Bosnien geblieben. „Es war kein schönes Gefühl, es war alles sehr fremd“, erinnert er sich. Das Leben war nicht schlecht gewesen zu Hause. Sicher, es gab den Krieg, drei Wochen ohne Strom, drei Wochen ohne Was­ser. „An Gefechte, an Schüsse kann ich mich nicht erinnern. Das ist alles zum Glück an uns vorbeigezogen.“ Aber während Nachbarn hunger­ten, hatten die Babics das Geld aus Deutschland, hart verdient auf dem Bau vom Vater. Bereits in den 70er Jahren hatte der sich aufgemacht, sein Plan war eigentlich immer gewe­sen, wieder zurückzukehren in die Hei­mat, zu Frau und Kindern, sich ein Haus, ein Auto zu leisten von dem Lohn. Doch wie so oft im Leben kam alles anders. Der Vater blieb in Deutschland, getrennt von der Fami­lie, und was auch blieb war das Heim­weh nach Bosnien.

Milenko, seine Schwester und sein Bruder blieben bei der Mutter in Bos­nien, die manchmal den Vater besu­chen fuhr. „Er wollte auf keinen Fall, dass seine Kinder auch Heimweh be­kamen“, sagt Milenko Babic. Also blie­ben sie. Sie blieben, als der Krieg begann. Sie blieben, als der Krieg be­endet war. Sie blieben zunächst auch, als das Leben sich nicht besserte. „Irgendwann“, sagt Milenko Babic, „war der Moment dann aber doch gekommen, an dem wir gehen muss­ten.“

Der Verein, Familie und Traum

Und so stand er an einem Morgen im Jahr 2000 in Nürnberg. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, ohne Freunde. „Fußball hat mir geholfen“, sagt er, jeden Tag traf er sich an der Bärenschanze zum Spielen mit den anderen Kindern. „Ich habe schnell gemerkt, dass ich einer der Besten bin.“ Milenko dribbelte, Milenko schoss Tore. Es war alles wie zu Hau­se, in den Straßen Bosniens. Nur ver­ständigen konnte er sich nicht.

„Die Sprache und die Schule, das waren meine Ziele. Fußball hat Spaß gemacht, hat mir Kraft und Selbstbe­wusstsein gegeben. Aber ich hatte nicht den Mut, alles auf Fußball zu set­zen.“ Ein paar Mal schaut er bei der SG Quelle in der A-Jugend vorbei. „Ich hatte keinen Führerschein und eine Stunde mit dem Bus hin und eine Stunde zurück, das war mir einfach zu viel.“ Noch dazu ist der Fußball plötzlich ganz anders: Nicht mehr fünf gegen fünf auf der Straße, plötz­lich elf gegen elf, auf einen großen Rasenplatz. „Viele andere konnten das besser als ich.“

Milenko Babic lernt die Sprache, macht seine Schulausbildung, beginnt eine Ausbildung zum Industrieme­chaniker, bildet sich fort, wird Füh­rungskraft. Nebenbei spielt er in den Fußball-Käfigen Gostenhofs, jeden Tag. „Ohne Fußball“, sagt der heute 32-Jährige, „geht es nicht.“ Erst spät spielt auch er noch elf gegen elf auf einem Rasenplatz, zunächst beim SV Maiach, dann bei Victoria. Später schießt er Jugoslawi­ja Erlangen erstmals in der 40-jähri­gen Vereinsgeschichte in die Kreis­klasse, mit 45 Saisontoren. „Ich habe ihnen immer gesagt, dass es einen Traum gibt. Und wenn es so weit ist, werde ich den Verein verlassen“, sagt der Aufstiegsheld. Nach zwei Jahren wird der Traum Wirklichkeit, Freun­de gründen den FC Serbia, Milenko Babic wird Spielertrainer. „Wir haben immer gesagt, irgendwann gründen wir einen serbischen Verein. Endlich hatten wir uns getraut. Die­sen Klub werde ich nie mehr verlas­sen.“

Nach Hause, nach Bosnien

Auch nicht, wenn es reihenweise An­gebote von höherklassigen Vereinen gibt. Einmal bietet ihm ein Privat­sponsor 600 Euro für einen Vereins­wechsel in die Bezirksliga. „Ich brau­che das Geld nicht, ich spiele Fußball nur zum Spaß, habe einen guten Job. Der FC Serbia ist wie eine kleine Fami­lie.“ Milenko Babic hat zwar kein Heim­weh wie sein Vater, der im vergange­nen Jahr starb. Aber seine serbisch­bosnischen Wurzeln sind ihm wichtig: Zu Hause sprechen sie nur serbisch, die beiden kleinen Kinder erziehen sei­ne Frau und er zweisprachig. „Mindes­tens einmal im Jahr fahren wir nach Hause“, sagt er. Auch wenn zu Hause mittlerweile Nürnberg ist, oder Zirn­dorf, wo die Babics mittlerweile woh­nen.

Auch in dieser Saison hat der Torjä­ger vom FC Serbia, der mit 108 Toren die Vereinshistorie anführt (vor Janjic mit 42), schon wieder häufig getrof­fen: 20 Tore sind es in 19 Spielen, ver­gangene Saison waren es 28. „Jetzt, da ich älter werde und auch ein paar Kilo zu viel habe, verdanke ich das vor allem meinen Mitspielern.“ Die seien so gut, sagt er, dass er auch an schlechten Tagen manchmal drei Tore schieße.

Die Wehmut, es nie höher als in der Kreisklasse probiert zu haben, sagt Milenko Babic, die wird nicht ausbre­chen. „Natürlich denkt man manch­mal: Was wäre wenn. Aber in Bosnien war Krieg und in Deutschland waren mir Sprache und Schule wichtiger.“ Jetzt, sagt er im Spaß zum Abschied, muss es eben der acht Monate alte Sohn zum Profi schaffen: „Er bei Roter Stern Belgrad, meiner großen Liebe, ja, das wäre schon etwas.“

Aufrufe: 023.11.2016, 10:10 Uhr
Christoph Benesch (NN)Autor