Und eines Morgens war Milenko Babic plötzlich in Nürnberg. 16 Jahre alt, ohne ein Wort deutsch zu sprechen. Alle Freunde, die halbe Familie waren in Bosnien geblieben. „Es war kein schönes Gefühl, es war alles sehr fremd“, erinnert er sich. Das Leben war nicht schlecht gewesen zu Hause. Sicher, es gab den Krieg, drei Wochen ohne Strom, drei Wochen ohne Wasser. „An Gefechte, an Schüsse kann ich mich nicht erinnern. Das ist alles zum Glück an uns vorbeigezogen.“ Aber während Nachbarn hungerten, hatten die Babics das Geld aus Deutschland, hart verdient auf dem Bau vom Vater. Bereits in den 70er Jahren hatte der sich aufgemacht, sein Plan war eigentlich immer gewesen, wieder zurückzukehren in die Heimat, zu Frau und Kindern, sich ein Haus, ein Auto zu leisten von dem Lohn. Doch wie so oft im Leben kam alles anders. Der Vater blieb in Deutschland, getrennt von der Familie, und was auch blieb war das Heimweh nach Bosnien.
Milenko, seine Schwester und sein Bruder blieben bei der Mutter in Bosnien, die manchmal den Vater besuchen fuhr. „Er wollte auf keinen Fall, dass seine Kinder auch Heimweh bekamen“, sagt Milenko Babic. Also blieben sie. Sie blieben, als der Krieg begann. Sie blieben, als der Krieg beendet war. Sie blieben zunächst auch, als das Leben sich nicht besserte. „Irgendwann“, sagt Milenko Babic, „war der Moment dann aber doch gekommen, an dem wir gehen mussten.“
Und so stand er an einem Morgen im Jahr 2000 in Nürnberg. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, ohne Freunde. „Fußball hat mir geholfen“, sagt er, jeden Tag traf er sich an der Bärenschanze zum Spielen mit den anderen Kindern. „Ich habe schnell gemerkt, dass ich einer der Besten bin.“ Milenko dribbelte, Milenko schoss Tore. Es war alles wie zu Hause, in den Straßen Bosniens. Nur verständigen konnte er sich nicht.
„Die Sprache und die Schule, das waren meine Ziele. Fußball hat Spaß gemacht, hat mir Kraft und Selbstbewusstsein gegeben. Aber ich hatte nicht den Mut, alles auf Fußball zu setzen.“ Ein paar Mal schaut er bei der SG Quelle in der A-Jugend vorbei. „Ich hatte keinen Führerschein und eine Stunde mit dem Bus hin und eine Stunde zurück, das war mir einfach zu viel.“ Noch dazu ist der Fußball plötzlich ganz anders: Nicht mehr fünf gegen fünf auf der Straße, plötzlich elf gegen elf, auf einen großen Rasenplatz. „Viele andere konnten das besser als ich.“
Milenko Babic lernt die Sprache, macht seine Schulausbildung, beginnt eine Ausbildung zum Industriemechaniker, bildet sich fort, wird Führungskraft. Nebenbei spielt er in den Fußball-Käfigen Gostenhofs, jeden Tag. „Ohne Fußball“, sagt der heute 32-Jährige, „geht es nicht.“ Erst spät spielt auch er noch elf gegen elf auf einem Rasenplatz, zunächst beim SV Maiach, dann bei Victoria. Später schießt er Jugoslawija Erlangen erstmals in der 40-jährigen Vereinsgeschichte in die Kreisklasse, mit 45 Saisontoren. „Ich habe ihnen immer gesagt, dass es einen Traum gibt. Und wenn es so weit ist, werde ich den Verein verlassen“, sagt der Aufstiegsheld. Nach zwei Jahren wird der Traum Wirklichkeit, Freunde gründen den FC Serbia, Milenko Babic wird Spielertrainer. „Wir haben immer gesagt, irgendwann gründen wir einen serbischen Verein. Endlich hatten wir uns getraut. Diesen Klub werde ich nie mehr verlassen.“
Auch nicht, wenn es reihenweise Angebote von höherklassigen Vereinen gibt. Einmal bietet ihm ein Privatsponsor 600 Euro für einen Vereinswechsel in die Bezirksliga. „Ich brauche das Geld nicht, ich spiele Fußball nur zum Spaß, habe einen guten Job. Der FC Serbia ist wie eine kleine Familie.“ Milenko Babic hat zwar kein Heimweh wie sein Vater, der im vergangenen Jahr starb. Aber seine serbischbosnischen Wurzeln sind ihm wichtig: Zu Hause sprechen sie nur serbisch, die beiden kleinen Kinder erziehen seine Frau und er zweisprachig. „Mindestens einmal im Jahr fahren wir nach Hause“, sagt er. Auch wenn zu Hause mittlerweile Nürnberg ist, oder Zirndorf, wo die Babics mittlerweile wohnen.
Auch in dieser Saison hat der Torjäger vom FC Serbia, der mit 108 Toren die Vereinshistorie anführt (vor Janjic mit 42), schon wieder häufig getroffen: 20 Tore sind es in 19 Spielen, vergangene Saison waren es 28. „Jetzt, da ich älter werde und auch ein paar Kilo zu viel habe, verdanke ich das vor allem meinen Mitspielern.“ Die seien so gut, sagt er, dass er auch an schlechten Tagen manchmal drei Tore schieße.
Die Wehmut, es nie höher als in der Kreisklasse probiert zu haben, sagt Milenko Babic, die wird nicht ausbrechen. „Natürlich denkt man manchmal: Was wäre wenn. Aber in Bosnien war Krieg und in Deutschland waren mir Sprache und Schule wichtiger.“ Jetzt, sagt er im Spaß zum Abschied, muss es eben der acht Monate alte Sohn zum Profi schaffen: „Er bei Roter Stern Belgrad, meiner großen Liebe, ja, das wäre schon etwas.“