2024-04-29T14:34:45.518Z

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Niko Semlitsch (rechts) und „Kameramann“ Alexander Otto noch tiefenentspannt vor dem Anpfiff 2015 in Kassel. 	Archivfoto: Hedler
Niko Semlitsch (rechts) und „Kameramann“ Alexander Otto noch tiefenentspannt vor dem Anpfiff 2015 in Kassel. Archivfoto: Hedler

Es war einmal... im Kasseler Auestadion

RL SÜDWEST: +++ Der FC Gießen tritt am Samstag beim KSV Hessen in der Regionalliga an / 2015 war es Vorgängerverein VfB 1900, der mit Niko Semlitsch (kl)eine Fußballgeschichte schrieb +++

GIESSEN. Auch schon wieder sechs Jahre her, also fast. Im Mai 2015 war Corona noch ein mexikanisches Bier mit einer Zitrone drin, damit‘s nicht so fad schmeckt. Im Mai 2015 war der FC Gießen noch nicht einmal ein Gedankenspiel, aber das Kasseler Auestadion, das bot schon Regionalliga-Fußball. So wie jetzt wieder, wenn am kommenden Samstag der FC Gießen (den gibt‘s bekanntermaßen mittlerweile) und der KSV Hessen im Norden des Bundeslandes aufeinandertreffen. Aue-Stadion? Kassel? Gießen? Irgendwie kommt da der Gedanke auf: Da war doch was, damals im Mai 2015.

Anruf bei Niko Semlitsch. Muss man den wirklich vorstellen in Mittelhessen? Na gut, ganz kurz: Niko ist mittlerweile 74 Jahre, die Stimme nach wie vor deutlich, laut und ein wenig verwegen angeraut, wie gemacht für eine Westernhelden-Synchronisation – oder eben einen Fußballtrainer, den man auch zwei Plätze weiter noch hört, wenn er laut wird. Trainer ist er aber nicht mehr. Niko Semlitsch war mal Fußball-Profi, entdeckt auf dem Sportplatz in Pohlheim-Hausen, hat bei Kickers Offenbach und dem 1. FC Saarbrücken gespielt, und in der Amateurnationalmannschaft, dort mit Uli Hoeneß, an der Saar mit Felix Magath, er hat das aller erste Zweitliga-Tor überhaupt geschossen und...und...und – komisch, immer wenn es um Niko Semlitsch aus Fernwald-Steinbach geht, bekommt man das Gefühl, ein Sportbuch schreiben zu müssen.

Das letzte Kapitel darin könnte Niko Semlitschs Auftritt mit dem (da noch nicht komatösen) VfB 1900 Gießen im Hessenpokalfinale in Kassel sein, der letzte große Erfolg des FC-Vorgängervereins. „Klar erinnere ich mich gut daran“, sagt Semlitsch am Dienstagvormittag am Telefon. „Wir hatten damals mit Baunatal schon einen Regionalligisten rausgeworfen“, sagt der ehemalige schnelle und beinharte Verteidiger („früher ging‘s körperlich schon noch anners zur Sache als heut‘“). Im Frühsommer 2015 wunderten sich die Gießener Fußballfreunde über das kleine Gießener Fußballwunder. Immerhin spielte der VfB 1900 damals lediglich in der Verbandsliga Mitte und damit unter Coach Semlitsch und Co-Trainer Alexander Otto zwei Klassen tiefer als die Kasseler Löwen.

Am 13. Mai war es dann soweit. Start am Waldstadion mit dem Bus, in der Besetzung Mannschaft, Trainer, Betreuer, ein paar Fans, ein paar Journalisten. Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz verabschiedete die sportive Reisegesellschaft mit Ball als Mitbringsel und einem schwungvollen „viel Glück heute Abend.“ Und ab ging es auf die Autobahn. Unterwegs klingelte Semlitschs Handy. Gute Wünsche und ein wenig Small-Talk mit Tomas Oral („schöne Grüße auch von Felix“/Magath, d. Red.) , damals beim FC Fulham in England als Co-Trainer.

„Es war eine schöne Sache, vor allem ein Highlight für die Jungs damals im Auestadion. So was hast du als Landesligaspieler ja nicht so oft, von daher denke ich gerne dran zurück. Und die Burschen können das irgendwann ihren Enkeln erzählen.“

Stimmt. 6100 Zuschauer, 200 Gießener „Ultras“, die im Gästeblock ein paar Pyros zündeten, VfB-VfB-Rufe hallten durchs weite Rund – und am Ende sprang ein achtbares 1:2 gegen den haushohen Favoriten heraus. Auch, wenn es nicht zum großen Coup gereicht hatte, rundete nicht nur das anschließende Essen (und das Getränk) in den KSV-VIP-Räumen einen gelungenen Pokal-Auftritt ab. Einer der prägnantesten eines mittelhessischen Fußballvereins in den 2000er-Jahren.

Am Samstag nun wird Niko Semlitsch natürlich dem FC Gießen in Kassel die Daumen drücken. „Normalerweise sitze ich bei den Heimspielen ja immer in meinem Klappstuhl oben im Stadion und gucke mir das an.“ Geht alles nicht. Semlitsch, der nach einer weiteren Herz-OP vor zweieinhalb Jahren wieder „ganz gut beieinander ist“, macht die Corona-Zeit zu schaffen. Er jammert aber nicht: „Geht ja allen so.“ Seinen heiß geliebten Job als Kleinbus-Fahrer für Schulkinder hat er im November wegen des hohen Risikos erst mal ad acta gelegt. Ansonsten „gucke ich halt viel, viel Fußball im Fernsehen, auch wenn es mir live in Fernwald, bei TuBa oder im Waldstadion lieber wäre.“ Und dann fällt Semlitsch ein, dass ich „wieder drauf kam, dass mein erstes Spiel im Profibereich ja gar nicht in der Bundesliga war, sondern im Europapokal. Als Pokalsieger mit Offenbach beim FC Brügge, hatte ich ganz vergessen.“ 0:2 nach 2:1-Hinspielsieg haben die Kickers damals in Brügge verloren, schieden aus. Und das, man glaubt es kaum, ist auch schon 50 Jahre her.

Aufrufe: 027.1.2021, 15:15 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor