2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview

"Das ist ein Schlag ins Gesicht"

Sportreporter Manni Breuckmann über den Niedergang der Traditionsklubs, dubiose Mäzene und die Bedeutung der neuen Medien im Amateur-Fußball.

Herr Breuckmann, Ihre Karriere als Fußball-Reporter hat seinerzeit mit der Übertragung des Meisterschaftsspiels Wattenscheid 09 gegen den VfR Neuss in der damals noch zweitklassigen Regionalliga West begonnen. Die Wattenscheider sind zwischenzeitlich in der fünfklassigen Oberliga gelandet, die Neusser fristen sogar in der Kreisliga A ihr Dasein. Bewegt Sie der Niedergang solcher Traditionsklubs oder muss sich ein Fußball-Reporter jede Sentimentalität und Wehmut verkneifen?

Breuckmann: „Das ist es ja gerade, was ich immer abgelehnt habe: Der Fußball als knallhartes Geschäft, bei dem Tradition und Gefühle nur als weiche Faktoren gelten, die den kommerziellen Erfolg mit fördern sollen. Deswegen tut’s mir schon leid um Traditionsklubs, die in der Versenkung verschwunden sind. Im Lohrheide- Stadion von Wattenscheid fing ja alles an bei mir als Fußball-Reporter. Über die gute Bratwurst dort will ich gar nicht erst reden! Fest steht aber auch, dass es bei solchen Vereinen immer noch zu viele gibt, die in Erinnerungen schwelgen. Das hilft heute auch nicht weiter und ist eher ein Hindernis für die Entwicklung dieser Klubs.“

Im Amateur-Fußball wird mit harten finanziellen Bandagen gekämpft. Gerade erst musste Schwarz-Weiß Essen Insolvenz anmelden. Der einstige Bundesliga-Klub Bayer Uerdingen machte als KFC Uerdingen wegen finanzieller Probleme einen kompletten Neuanfang in der sechstklassigen Verbandsliga. Derzeit wird immerhin Oberliga-Fußball in der Krefelder Grotenburg- Kampfbahn gespielt.

Breuckmann: „Mein Gott, wie oft war ich in der Grotenburg! Da hieß der Trainer anfangs noch Klaus Quinkert, ein Name, an den sich außerhalb Uerdingens heute kaum noch jemand erinnert. In Uerdingen dachtest du zwei Stunden vor dem Spiel immer, es würde ausfallen, da konntest du nur schemenhaft ein paar Menschen herumlaufen sehen. Am Ende waren es dann Zehn- bis Fünfzehntausend.“

Welche Erinnerungen verbinden Sie als Reporter mit diesem legendären Stadion in Krefeld?

Breuckmann: „Mein persönlicher Uerdingen-Höhepunkt war nicht etwa das Dresden-Spiel, das habe ich zu Hause auf dem Sofa erlebt. Mein Knaller war ein Pokalspiel gegen Eintracht Frankfurt am Karnevalssamstag 1977: 20 Minuten vor Schluss führte Frankfurt mit 3:1, die Leute gingen schon nach Hause; nach 90 Minuten hieß es 3:3, und am Ende der Verlängerung hatte Uerdingen mit 6:3 gewonnen. Der helle Wahnsinn!“

Derzeit nimmt der KFC Uerdingen als souveräner Oberliga-Spitzenreiter einen neuen Anlauf in Richtung Profi-Fußball. Der dortige Hauptsponsor Agissilaos „Lakis“ Kourkoudialos, ein reicher Immobilienunternehmer, plant bereits für die Regionalliga. Während die Tradition im Fußball stirbt, hat die Rolle des klassischen Mäzens scheinbar überlebt.

Breuckmann: „Lakis, das ist doch der, der den Weltstar Ailton nach Krefeld geholt hat. Ich will ja nicht persönlich werden, aber man sollte sich in jedem Einzelfall angucken, wie kompetent und selbstlos sich die Geldgeber aufführen. Natürlich fühlen sich Möbelhausbesitzer, Baulöwen und Gastronomen immer wieder berufen, dem örtlichen Fußball-Klub unter die Arme zu greifen. Das hilft natürlich den Vereinen, pflegt aber auch Eitelkeiten und befördert das Geschäft des Mäzens. So ganz ohne Bauchschmerzen kann ich das moderne Mäzenatentum im Fußball nicht sehen.“

Immer häufiger leisten sich vermögende Männer als teures Spielzeug eine Fußballmannschaft...

Breuckmann: „... und der Verein läuft Gefahr, dass das Spielzeug irgendwann langweilig oder lästig wird. Ich kann nur hoffen, dass bei den Klubs die Antennen für unschöne Abhängigkeiten jederzeit ausgefahren sind. Aber der Lockruf des Geldes hat ja bekanntlich schon vielen die Sinne geraubt.“ Andererseits setzt auch die totale TV-Vermarktung des Profi-Fußballs den Amateurligen arg zu. Die Leute gucken sonntags im Fernsehen lieber ein Bundesligaspiel als ein Lokalderby in der Landesliga.

Breuckmann: „Sonntags um 15.30 Uhr ein Bundesligaspiel stattfinden zu lassen ist ein Schlag ins Gesicht der Amateurvereine. Das geht ja sogar so weit, dass Amateurspieler sich mit fadenscheinigen Argumenten für den Sonntag abmelden, weil sie als Fans nach Gladbach, Schalke oder Dortmund fahren wollen. Aber auch hier herrscht die Macht des großen Geldes. Zwischen 2013 und 2017 werden 2,5 Milliarden an TV-Geldern ausgeschüttet, und gerade Sky als Hauptzahler legt großen Wert auf möglichst viele Anstoßzeiten pro Wochenende. Dieses Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen.“

Auch die neuen Medien verändern zunehmend den Fußball. Bis runter in die unterste Kreisliga laufen inzwischen Liveticker im Internet. Der TV-Entertainer Harald Schmidt bekennt in Ihrem Fußball- Buch „Gipfeltreffen“, er verfolge ganze Bundesliga-Spieltage via Videotext.

Breuckmann: „Wobei der Videotext ja noch ein Dinosaurier ist. Neben dem TV ist das Internet die wesentliche Informations- und Kommunikationsbühne für den Fußball. Wer zählt die Websites, die Blogs und die Foren, in und auf denen sich die Fußballfans tummeln? Sky tummelt sich im Netz, bei Youtube sind unzählige Fußballclips zu sehen, die Liveticker haben sich zu einer eigenen, häufig sehr witzigen Kunstform entwickelt. Da wird ja längst nicht mehr rein sachlich der Spielverlauf abgebildet. Der Satz, dass dem Internet die Zukunft gehört, ist schlicht falsch. Diese Zukunft hat schon längst begonnen.“

Sterben die angestammten Milieus des Fußballs im Zeitalter der Spielkonsolen und Smartphones immer mehr aus?

Breuckmann: „Früher gab’s Bundesliga im Radio und danach die Sportschau, abends noch das aktuelle Sportstudio. Diese Medien-Realität hat sich grundlegend verändert. Jetzt ist es sogar schon so weit gekommen, dass die DFL die so genannten Audiorechte ausschreibt. Die öffentlich-rechtlichen Radioprogramme bibbern um die traditionelle Bundesliga-Konferenz! So ein Radio-Erdbeben kann ich mir allerdings schwer vorstellen. Die Entscheidung fällt im März.“

Für Sie selbst hat auch ein neues mediales Fußball-Zeitalter begonnen. Nachdem Sie beim WDR Ihre Rente durch haben, sind Sie seit eineinhalb Jahren als Reporter für das Internet-Radio „90elf“ auf Sendung. Eine Umstellung gegenüber dem klassischen Hörfunk?

Breuckmann: „Im Prinzip nicht. Es gibt ein Mikrofon, eine Stimme, die ‚Tooor’ schreit, und zwei Adleraugen, die das Geschehen beobachten. Im Gegensatz zu früher übertrage ich aber jetzt die Spiele am Stück, in voller Länge. Beim WDR waren es in der Bundesliga überwiegend Minutenhäppchen, die ich den Hörern kredenzen durfte. Die so genannte Voll- Reportage macht echt mehr Spaß, da bin ich noch richtig Reporter mit längeren Spielschilderungen. So hat das Alter auch seine schönen Seiten.“

Gibt es bei „90elf“ auch die klassische Konferenzschaltung mit dem legendären Breuckmann-Ruf „Tor auf Schalke?“

Breuckmann: „Es gibt eine Konferenzschaltung, und zwar auch über die vollen neunzig Minuten. Nur technisch läuft das anders: Ich reportiere das komplette Spiel, und ab und zu höre ich über Kopfhörer eine Ansage und bin dann für ein paar Minuten in der Konferenz, danach wieder nur bei den Fans, die sich das Spiel ihrer Mannschaft am Stück anhören wollen. Es gibt also wie bei Sky die freie Wahl zwischen Konferenz und Einzelspiel.“

Trotz mancher kommerzieller Revolutionen im Fußball scheint Ihre Leidenschaft für Schalke 04 darunter nicht gelitten zu haben.

Breuckmann: „Mit der Leidenschaft ist das so eine Sache. Ich glaube, die tobe ich lieber woanders aus. Klar, es gibt bei mir eine sehr ausgeprägte Schwäche für Königsblau, aber spätestens 2007, als die Meisterschaft in Dortmund verdaddelt wurde, habe ich mir geschworen, das alles nicht mehr so nah an mich ranzulassen. Das verkürzt das Leben! Ganz ehrlich gesagt: Mir tun die Menschen leid, für die es nichts anderes gibt als Fußball. Die Welt ist so bunt und vielfältig, da lenke ich doch meine Sinne nicht auf eine einzige Sache.“

Das Gespräch führte Johannes Nitschmann

Aufrufe: 01.1.1970, 01:00 Uhr
Johannes NitschmannAutor