2024-05-02T16:12:49.858Z

Allgemeines

Keine Gewalt - aber Hinterfragen ist erlaubt

In ihrer Kolumne bei Fupa "Die dritte Halbzeit - Kabinengespräche" machen sich Michael Meier und Philipp Knappmeyer Gedanken über die Tribünensperrung beim BVB

Auch eine Woche nach dem Bundesligaspiel Borussia Dortmund gegen RB Leipzig werden die Vorkommnisse rund um das Spiel kontrovers diskutiert. Gewalt in jeglicher Form, ob nun im Alltag oder im Fußballstadion, gehört verurteilt. Dennoch war nicht gerade überraschend, dass ausgerechnet die „Fans“ vom BVB gegen den Flügel verleihenden Klub aus Leipzig auf die Barrikaden gingen. Gerade den Anhängern der Traditionsvereine ist Rasenballsport Leipzig ein Dorn im Auge. Der Aufsteiger mit dem großen Brausehersteller im Rücken polarisiert die Bundesliga. Wir wollen das Thema noch einmal von zwei Seiten unter die Lupe nehmen. Gerade die sogenannten Ultras sorgen für Stimmung in den Stadien. Aber in Dortmund wurde eine Grenze überschritten. Aber dies ist nicht nur ein Dortmunder Problem. Auch andere Vereine haben mit dieser Szene zu kämpfen. Geniale Chorografien, tolle Fangesänge. Das wollen wir sehen. Leider zeigt sich aber auch – zu oft und vermehrt- die andere Seite. Die klare Aussage von uns ist aber: Keine Gewalt – aber hinterfragen ist erlaubt.

Für Michael Meier hat die Strafe gegen den BVB keine Wirkung

Die gelbe Wand! Erdrückend und einschüchternd für die Gegner, der zwölfte Mann für den BVB. Wohl keinen lässt es kalt, auf die Dortmunder Süd zu blicken. Ob als Spieler oder Zuschauer. Diese Wand, zudem auch sehr steil, sorgt ohne Frage für die beste Stimmung in deutschen Bundesliga-Stadien. Auch beim ersten Blick auf die Choreografie vor dem Spiel gegen RB Leipzig dachte ich: Hammer. Aber dann die Transparente genau zu lesen, war einfach nur erschreckend. Schon vor dem Spiel machten Meldungen die Runde, dass Dortmunder Anhänger vorhaben, den Leipziger Mannschaftsbus an der Anreise zum Stadion zu hindern. Nicht gut, aber soweit noch mit einem Kopfschütteln hinzunehmen.

Der große Banner: Für den Volkssport Fußball – gegen die, die ihn zerstören. Schwarze Buchstaben auf gelbem Untergrund. Eine klare Message. Immer deutlicher wurde aber, dass an diesem Tag in Dortmund der Volkssport Fußball mit Füßen getreten wurde. „Bullen schlachten“, „Pflastersteine auf die Bullen“, „Burnout Ralle – häng dich auf“. Diese Banner waren zu lesen. Und der neutrale Fußballfan fragt sich: Geht´s noch? Es mag dem einen oder anderen sogar witzig vorkommen. Aber dies ist kein Humor, über den man trotzdem lacht. Hier wurde eine Grenze überschritten, die nicht zu tolerieren ist. Worte und Schriften sind das eine, Taten sind etwas anderes. Was sich rund um das Bundesligaspiel zugetragen hat, ist die hässliche Fratze des Fußballs. Es wurden Leipziger Fans angegriffen, darunter auch Familien mit Kindern, die ein normales Fußballspiel besuchen wollten.

Welche Message ist das an Menschen, die einfach nur das Stadionerlebnis genießen wollen und ein Fußballspiel sehen möchten. Für diese Fans war das Erlebnis in Dortmund wie für die meisten Gegner auf dem grünen Rasen: erdrückend und einschüchternd. Und vor allem hochgefährlich. Aber auch an die eingesetzten Polizisten muss gedacht werden. Sie gehen Woche für Woche nur ihrer Arbeit nach, sollen für unsere Sicherheit sorgen und werden dann in eine solche Situation gebracht. Denken diese „Fans“ eigentlich mal darüber nach, welche Konsequenzen ihr gewalttätiges Handeln für alle Beteiligten hat? Man muss zu dem Fazit kommen: Nein! Der Fußball lebt seit jeher von Emotionen. Diese gehören dazu wie das Salz in der Suppe. Was sich aber rund um die Bundesligaspiele teilweise in den Stadien abspielt, hat nichts mehr mit Emotionen zu tun.

Hier gibt es Menschen, die nur mit dem Ziel in Stadion gehen, um Krawalle zu machen. Der Fußball steht hier, nur als Vorwand, an erster Stelle. In der Pflicht stehen dabei auch die jeweiligen Vereine. Es werden überall große Kontrollen durchgeführt. Die Kosten dafür tragen in erster Linie – WIR. Warum werden die Kosten für Polizeieinsätze rund um die Bundesligaspiele nicht auf die Vereine umgelegt? Vielleicht würde das auch dafür sorgen, dass sich die Vereine mehr Gedanken darüber machen, welche „Fans“ sie ins Stadion lassen. So aber wird gerade über die gewaltbereiten Fans von Vereinsseite geschimpft, aber unternommen wird nichts. Man will die Stimmung ja nicht vermiesen. Im Fall des BVB hat es nun eine Strafe von 100.000 Euro und ein Spiel ohne Zuschauer auf der Südtribüne gegeben. Ganz ehrlich: ein Witz. Über den auch Borussia Dortmund wohl nur lachen kann. Ich bin mir sicher, dass die Vereine mehr dafür machen könnten, um die Bundesligaspiele sicherer zu gestalten. Leider ist dies nicht der Fall. Warum auch immer. Es geht hier darum, ein klares Zeichen zu setzen. Gegen gewaltbereite Fans und für den Sport der Massen. Ich möchte weiter ins Stadion gehen, meine Mannschaft anfeuern, aber ohne Angst, vor oder nach dem Spiel wegen eines falschen Schals oder Trikot angegriffen zu werden. Auf dem Platz sollen sich die Mannschaften duellieren, dafür werden sie bestens bezahlt. Aber abseits des grünen Rasen muss es einfach möglich sein, ohne Sorge ein Bundesligaspiel zu besuchen. Egal für welche der beiden Mannschaften ihr Herz schlägt. In Dortmund wurde der Volkssport Fußball mit Füßen getreten. Nimmt es diese Formen an, wo auch immer, hat dies mit Volkssport nichts mehr zu tun. Diese „Fans“ (zer)stören im Fußball mehr als ein Retortenklub aus Leipzig.

Philipp Knappmeyer fordert mehr Dialogbereitschaft seitens des DFB

Puh. Einmal tief durchatmen.
Was für schlimme Ereignisse rund um die Partie Dortmund vs. Leipzig am vorletzten Wochenende.
Es ist unbestritten, dass diese Ausmaße der Gewalt möglichst lückenlos aufgeklärt und konsequent bestraft werden müssen.Doch eins ist klar. Erfolgt die polizeiliche Aufklärung unter der Mithilfe Borussia Dortmunds und werden die Täter bestraft, bleibt das grundsätzliche Problem trotzdem bestehen.

Und deshalb gilt es sich ernsthaft mit der Ursache zu beschäftigen.

Die Ultras des BVB (und ebenso aller anderen Vereine) haben eine essentielle Rolle im Fußball. Getragen von tiefster Verflechtung zu ihrem Verein sind sie der Teil der Anhängerschaft, der am kritischsten auf die Entwicklungen des eigenen Clubs schaut und Missstände kontinuierlich anprangert.
Darüber hinaus prangern Sie nicht nur Verfehlungen des Vereins, sondern ebenso der Verbände an.

Hans–Joachim Watzke hat bekanntlich keinen ausschließlich guten Stand bei den eigenen Ultras.
Vielleicht versucht er noch irgendwie die Balance zwischen turbo-kapitalisiertem Sport und basisnahen Wünschen zu finden, der DFB und die DFL (per existentiellem Auftrag) tun es schon lange nicht mehr.
Die Vertrauensverluste sind allgegenwärtig.

Die Ultragruppierungen legen weiter den Finger in die Wunde.
Sie sprechen Miss- und Vetternwirtschaft in ihren Vereinen offen an, kritisieren die klaffende Schere zwischen Amateur- und Profifußball, wehren sich gegen die komplette Übernahme von Vereinen durch Großinvestoren, stehen für basisnahe Entscheidungen in ihren Clubs, setzten sich für fanfreundliche Anstoßzeiten ein, kämpfen für faire Chancen des eigenen Nachwuchses, im Fußballgeschäft Fuß zu fassen, gestalten Fankultur in den Stadien und außerhalb, akzeptieren Leistungsschwankungen und kompensieren teilweise sogar Finanzlücken ihrer Clubs.

Im konkreten Fall Leipzig nun liegt steckt der Teufel im Detail. Er ist aus Sicht der Ultras aber auch eigentlich hinlänglich kommuniziert.
Nur hört keiner zu. Oder will keiner zuhören….?
Die grundsätzliche Ablehnung RB Leipzigs fußt nicht auf der Kopplung des Vereins an einen Großinvestor.
Solche Geldgeber brauchen die anderen Vereine auch, um in ihrem ureigenen Antrieb – nämlich erfolgreich Fußball zu spielen – erfolgreich zu bleiben.
Bei RB Leipzig investiert der Brausehersteller aber nicht, um erfolgreich Fußball zu spielen, sondern um mit erfolgreichem Fußball sein Produkt zu vermarkten. Der Profifußball wird also zur Spielwiese der Marketingabteilung eines Konzerns.
Dieses Prinzip, gebündelt mit der Existenz von Farmteams, dem grenzwertigen Umgang mit der 50+1 Regel und der damit verbundenen latenten Wettbewerbsverzerrung lässt Ärger wachsen.
Dann noch die neunmalkluge Rangnicksche Spielweise, die häufig herablassende Kommunikation, die Farce mit den Vereinsmitgliedschaften und Mitbestimmungsrechten – das nervt schon gewaltig.
Auch ich brauche das Konstrukt RB Leipzig im Fußball nicht und wünsche mir nichts mehr als Signale zur Entschleunigung meines liebsten Sports.
Doch der DFB und sein sächsischer Landesverband haben die Existenz eines Vereins, dessen Zweck offensichtlich nicht der Sport, sondern unternehmerisches Handeln ist, zugelassen.

Sie riefen die Geister.

Deshalb teile ich die Messages der Ultras. Sie sind für den Fußball wichtig.

Dass von den Ultragruppierungen abgesplittete, gewaltbereite Hooligans auf Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von auf Parolen reduzierte Komplexitäten zurückzugreifen, ist schlimm und wird hoffentlich angemessen bestraft.
Dabei ist aber nur zu offensichtlich, dass die nun verhängte Kollektivstrafe gegen die Südtribüne wohl nicht zur Problemlösung beiträgt.
Was haben frühere Kollektivstrafen gegen beispielsweise Eintracht Frankfurt, Hansa Rostock oder Dynamo Dresden verändert?

Doch zum Glück teilt uns DFB Präsident Reinhard Grindel in seiner Empörung mit: „Es sei nun an der Zeit, dass sich was ändert.“

Aha.

Herzlich willkommen in Zeiten des Dialogs.

Aufrufe: 016.2.2017, 07:00 Uhr
Michael Meier/Philipp KnappmeyerAutor