2024-05-02T16:12:49.858Z

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Auch Jugendmannschaften dürfen unter strengen Hygiene- und Abstandsregeln wieder trainieren. Einigen Vereinen ist das dennoch zu heikel. Foto: Imago Images
Auch Jugendmannschaften dürfen unter strengen Hygiene- und Abstandsregeln wieder trainieren. Einigen Vereinen ist das dennoch zu heikel. Foto: Imago Images
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"Uns ist das Risiko zu groß"

Offiziell ist trainieren wieder erlaubt. Dennoch verzichten einige Sportvereine freiwillig – auch weil sie rechtliche Konsequenzen fürchten. Doch wer haftet bei einer Covid-19-Infektion?

Ravensburg / sz - Nachdem die Fußball-Bundesliga seit Mitte Mai wieder spielt, kehrt auch der Amateursport langsam aus der Corona-Zwangspause zurück. Die Sportstätten sind wieder geöffnet, Training wieder erlaubt – allerdings nur mit enormen Einschränkungen. Trotzdem bleiben viele Sportplätze und viele Hallen in der Region noch immer leer – auch weil den Vereinsvorständen und Trainern oftmals das Risiko einer Infektion und die damit verbundene Verantwortung zu groß sind.

Doch muss ein Verein wieder Training anbieten, wenn es erlaubt ist? Bekommen Mitglieder bei einem Trainingsausfall ihre Beiträge zurück? Und wer haftet bei einer Virusinfektion auf dem Vereinsgelände? Ein Überblick über die wichtigsten rechtlichen Fragen für Sportvereine während der Corona-Pandemie:

Ist der Vereinsvorstand verpflichtet, den Sportbetrieb wieder aufzunehmen, weil er ansonsten gegen das Vereinsrecht verstößt?

"Müssen tun wir gar nichts", sagt Oliver Schneider. Er ist Mitglied im Vorstand des Fußball-Oberligisten FV Ravensburg und als Rechtsanwalt auf Arbeitsrecht spezialisiert. Zudem kennt er sich gut im Sportrecht aus. Da die Vorgaben von Land und Württembergischem Fußballbund (WFV) momentan noch nicht ausgereift genug seien, hat der FV Ravensburg beschlossen, dass weder die Aktiven noch die Jugendmannschaften vor dem 1. Juli wieder ins Training einsteigen werden. Auch die Sportverbände sprechen den Vereinen einen gewissen Ermessensspielraum bei der Wiederaufnahme des Sportbetriebs zu. So könnte der Aufwand, der mit der Wiederaufnahme verbunden ist (Kosten für Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen oder fehlendes Personal für Kontrolle), ebenso ein gewichtiges Argument sein wie der Umstand, dass Teilnehmer Risikogruppen angehören, heißt es etwa vom Bayerischen Landes-Sportverband (BLSV). Allerdings: "Ist ein Sportbetrieb zumutbar, dann dürfte der Vorstand angehalten sein, alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, diesen wieder aufzunehmen."

Haben Mitglieder einen Anspruch auf Rückerstattung von Beiträgen oder ein Sonderkündigungsrecht, weil der Verein vorübergehend seinen Sportbetrieb einstellt?

Das hängt von der Satzung des Vereins ab und ist bei Vereinen, die auf Leistungssport ausgerichtet sind, oftmals anders geregelt als in Breitensportvereinen. Allerdings sagt Rechtsanwalt Schneider: "Sobald ein Recht besteht, dass unter Sicherheitsmaßnahmen trainiert werden darf, könnten Vereinsmitglieder einfordern, die durch ihre Beiträge finanzierten Leistungen in Anspruch zu nehmen." Dies sei im Vereinsrecht nicht anders als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. "Bei Wegfall der Geschäftsgrundlage kann eine Lösung das Sonderkündigungsrecht sein", erklärt Schneider. "Die andere Lösung ist eine Vertragsanpassung, zum Beispiel eine Reduzierung des Beitrags." Etwas anders bewertet der Württembergische Landessportbund (WLSB) die Lage: Mitglieder hätten grundsätzlich kein Recht auf eine fristlose Kündigung, "weil der Verein die Einstellung des Sportbetriebs nicht zu vertreten hat und es sich um eine lediglich zeitlich befristete Maßnahme handelt". Die Mitglieder können aber das normale Kündigungsrecht unter Einhaltung der geltenden Frist in Anspruch nehmen. Allerdings hoffen die Vereine auf die Solidarität ihrer Mitglieder, da mit der Mitgliedschaft grundsätzlich eine langfristige Verwirklichung des Vereinszwecks verfolgt werden soll.

Wie sieht es bei anderen Vertragsfragen aus?

Auch bei Vereinbarung mit Spielern, Übungsleitern, Sponsoren oder bei Mietverhältnissen stellt sich aktuell die Frage, wie die Vereine verfahren können. "Wir sind an breiter Front gefragt, Vertragsanpassung vorzunehmen", sagt FV-Vorstand Schneider. So könnten beispielsweise Sponsoren ihre Zahlungen einstellen, da ihre Werbung bei ausfallenden Spielen nicht gesehen wird, oder Vermieter der Sportstätten auf Fortzahlung der Miete bestehen. "Das ist alles noch nicht ausgegoren. Da gibt es noch keine Gerichtsurteile, die vorgeben, wo es langgeht", erklärt der Rechtsanwalt. "Im Idealfall findet man eine Lösung, bei der beide Vertragspartner gleichermaßen das Risiko tragen."

Auch bei den Angestellten stellt sich die Frage nach der Bezahlung. Bei Spielern, Trainern und sonstigen Mitarbeitern, die sozialversicherungspflichtig sind, kann Kurzarbeit angemeldet werden. Da in den meisten Sportvereinen die Trainer ehrenamtlich oder nebenberuflich arbeiten, sind sie keine Arbeitnehmer, sondern erhalten eine Aufwandsentschädigung. Bei derartigen Beschäftigungsverhältnissen wird die Vergütung meist für geleistete Stunden gezahlt. Der FV Ravensburg zahlt seinen Übungsleitern dennoch weiter ein kleines Gehalt. Für die Spieler der Oberligamannschaft, die in den vergangenen beiden Monaten Kurzarbeitergeld erhalten haben, gilt ab Juni ein neues Vergütungssystem. "Da wird es sicherlich zu Verwerfungen kommen", befürchtet Schneider. Der Vorstand sei aber gefordert, den Verein durch die Krise zu bringen – auch wenn eine persönliche Haftung bei einer Insolvenz nur im Ausnahmefall droht: "Die persönliche Haftung besteht nur dann, wenn der Vorstand im Wissen der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit Verträge eingeht."

Wer haftet, wenn beim Training die Vorgaben nicht eingehalten werden oder sich jemand mit dem Virus infiziert?

Nicht alle Vereine agieren so vorsichtig wie der FV Ravensburg. Einige haben den Trainingsbetrieb wieder aufgenommen. Dabei besteht die Gefahr, dass sich Personen beim Sport mit dem Coronavirus infizieren. Doch selbst wenn dieser unglückliche Fall eintreten würde, können Vorstände und Übungsleiter kaum haftbar gemacht werden. Die Haftung wegen einer Infektion mit Covid-19 setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung aufseiten der Verantwortlichen voraus, erklärt der BLSV. Nur wenn der Vorstand grob fahrlässig handelt und nicht die erforderlichen Maßnahmen ergreift, um die Verbreitung des Virus und eine Infektion der Teilnehmer beim Sportbetrieb zu verhindern, droht Gefahr. Hierzu zählen geeignete Vorkehrungen und Schutzmaßnahmen zur Hygiene, zum Zutritt zum Gelände und die Einhaltung des Mindestabstands. Auch bei Trainern gilt: Nur wenn der Übungsleiter die erforderliche Sorgfalt in besonders hohem Maße missachtet, droht eine persönliche Haftung. Zudem müsste eine infizierte Person nachweisen, dass die Infektion durch die Teilnahme am Vereinssport verursacht und durch das Verhalten des Vorstands oder anderer Verantwortlicher des Vereins verschuldet wurde. Dennoch warnt Oliver Schneider: "Das potenzielle Risiko, dass die Leute dann doch den Verein, sei es Vorstand oder Übungsleiter, verantwortlich machen, ist natürlich schon da", sagt der Anwalt. "Das Risiko ist uns zu groß. Deshalb haben wir im Vorstand des FV beschlossen, wir machen erst mal nichts."

Besteht für die Vereine die Möglichkeit, gegen die von den Verbänden gewählte Wertung der vorzeitig beendeten Saison Einspruch einzulegen?

Nahezu alle Sportverbände haben die aktuelle Saison aufgrund der Corona-Pandemie vorzeitig abgebrochen. Zur Wertung werden unterschiedliche Modelle herangezogen. Der WFV etwa möchte bei einem außerordentlichen Verbandstag am 20. Juni die sogenannte Quotientenregelung beschließen, wonach diejenigen Mannschaften mit dem besten Punkteschnitt und dem besten Torverhältnis aufsteigen. Absteiger soll es hingegen nicht geben. Nicht alle Vereine sind mit dieser Lösung einverstanden. Sei es, weil sie wie der SV Beuren in der Bezirksliga nur wegen des schlechteren Torverhältnisses im Vergleich zum TSV Eschach nicht aufsteigen dürften. Oder weil sie wie der FV Ravensburg in der Oberliga und der SV Kehlen in der Landesliga durch die größeren Ligenstärken in der kommenden Saison eine Überbelastung befürchten. "Justiziabel sind solche Entscheidungen immer", sagt Oliver Schneider, macht den Vereinen aber wenig Hoffnung: "Ob das wirklich etwas bringt, halte ich für fraglich." Im Gegensatz zu Einzelfallentscheidungen habe es so eine Situation, von der alle Vereine betroffen sind, noch nie gegeben. Dass dabei auf die Interessen Einzelner Rücksicht genommen werden kann, kann sich der Anwalt nur schwer vorstellen.

Aufrufe: 06.6.2020, 05:26 Uhr
Schwäbische Zeitung / Martin DeckAutor