2024-04-25T14:35:39.956Z

Interview
– Foto: Mehmet Dedeoglu Dedepress

"Nicht nur physisch, auch mental ist das alles andere als leicht"

Viktoria Berlin-Trainer Benedetto Muzzicato blickt nüchtern auf die bisher sehr erfolgreiche Leistung seiner Mannschaft, erörtert gleichzeitig, dass es noch Verbesserungspotential gibt. Lobende Worte hat er für Transferpolitik der Verantwortlichen, wiederspricht der Vorliebe für Verteidiger, warnt davor die Konkurrenz abzuschreiben und verbittet sich das Philosophieren über einen möglichen Aufstieg.

Ein Interview von Marcel Peters - https://www.facebook.com/AmateurberichterstattungMarcelPeters/ - regelmäßig Berichte über Berliner und Brandenburger Amateurfußballer oder Vereine. Gesprächspartner: Benedetto Muzzicato

Herr Muzzicato, sagen Sie etwas zu diesem unglaublichen Lauf der Mannschaft in dieser Regionalliga-Saison?

Wir sind natürlich sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Saison. Meine Mannschaft hat sich bisher sehr stabil präsentiert. Aber darauf ruhen wir uns nicht auf, ganz im Gegenteil. Wir wissen, wie hart wir arbeiten müssen und dass es noch einiges zu verbessern gibt.

Das klingt verhalten, haben Sie schon im Vorfeld der Saison mit dieser Ausbeute gerechnet?

Die Jungs haben vom ersten Tag der Vorbereitung an Bereitschaft und Euphorie gezeigt. Die Testspiele liefen überwiegend sehr positiv, unsere Idee wurde schnell umgesetzt. Deshalb sind wir mit einem positiven Gefühl in die Saison gegangen. Dass wir derart dominant auftreten und neun Spiele am Stück gewinnen würden, hatten wir aber nicht erwartet.

An dieser Stelle sind auch Sie und ihr Team gefragt. Wie wirkt man auf die Mannschaft ein, damit sie nicht abhebt?

Ich hatte es eingangs schon erwähnt: Es gilt noch einiges zu verbessern. Wir sind selbstkritisch, analysieren unsere Spiele und zeigen die Fehler klar auf. Unser Ziel ist es, die Mannschaft immer weiterzuentwickeln und jeden einzelnen voranzubringen. Dazu gehört auch eine klare Ansprache, wenn Situationen anders gelöst werden müssen.

Die Mannschaft hat, unverkennbar, einen Lauf, eine englische Woche jagte zuletzt die nächste. Jetzt steht das Pokal-Wochenende an. Kommt dies zur richtigen Zeit, um auch mal durchzupusten, mal ein wenig zu rotieren, oder ist die „Pause“ eher ungelegen?

Hinter uns liegen anspruchsvolle Wochen. Nicht nur physisch, auch mental ist das alles andere als leicht für meine Spieler. Die Pause wird den Jungs guttun, sie müssen zwingend auch mal auf andere Gedanken kommen, um sich dann wieder fokussieren zu können. Wir nehmen das Pokalspiel sehr ernst, haben auch in diesem Wettbewerb ehrgeizige Ziele. Aber wir haben einen ausgeglichenen Kader und dementsprechend bekommt der eine oder andere Spieler eine Pause am Sonntag.

Unabhängig von der Siegesserie. Wie weit sehen Sie ihre Mannschaft mittlerweile taktisch und spielerisch, auch mit dem Aspekt der langen Corona-Pause?

Wir haben uns seit Januar gut entwickelt, nicht erst seit der Vorbereitung auf die laufende Saison. Wir haben eine klare Idee, verfolgen klare Prinzipien und das setzen die Jungs gut um. Aber richtig zufrieden können wir noch nicht sein. Es geht immer noch besser. Gerade spielerisch müssen wir noch effektiver Entscheidungen treffen.

An welchen Stellen gibt es noch Verbesserungspotential?

Zum Beispiel in der Kommunikation auf dem Platz. Da müssen wir noch lauter werden, einander noch mehr Hilfestellung geben, mehr leben. Auch in der Effektivität unseres Spiels. Egal, ob es unser Passspiel, Freilaufverhalten oder Entscheidungen im letzten Drittel sind. Wir müssen viele Dinge noch besser machen.

Eine „Schwäche“ der vergangenen Saison wurde zumindest „verbessert“: der Abschluss. Sind Sie auch an dieser Stelle zufrieden mit der Transferpolitik der Verantwortlichen, wurden die richtigen Spieler geholt?

Es ist klar erkennbar, dass wir uns gut verstärkt haben. Das gilt für die Spitze, zugleich aber auch für die Breite des Kaders. Da haben wir an Qualität hinzugewonnen. Da kann ich nur ein Kompliment an unsere Verantwortlichen aussprechen, sie haben einen guten Job gemacht.

Und obwohl vor allem Offensivspieler geholt wurden, stehen teilweise fünf, sechs, auch manchmal sieben nominelle Verteidiger auf dem Feld. Wie erklären Sie diese „Vorliebe“ für Verteidiger?

Dieser Einschätzung muss ich widersprechen. Unser System ist nicht in Stein gemeißelt, wir wollen variablen Fußball spielen. Es ist also Interpretationssache. Yannis Becker steht bei drei Saisontoren, Shinji Yamada oder Matthis Daube haben schon getroffen – und alle bereiten auch Tore vor. Ich habe keine Vorliebe für Verteidiger, nur eine Vorliebe fürs Gewinnen.

Mit Bernd Nehrig hat am Wochenende ein weiterer Spieler aus ihrem Kader sein Debüt für die Himmelblauen gegeben. Der 34-Jährige ist ein wahrer Leader. Wie kann er der Mannschaft an dieser Stelle nochmal weiterhelfen?

Schon die ersten Tage der Zusammenarbeit haben gezeigt, dass das ein sensationeller Transfer für uns ist. Bernd Nehrig bringt uns nicht nur als Spieler nach vorne, sondern gerade auch als Typ, als Charakter. Er weiß aber auch, dass er noch etwas Zeit braucht, um auf sein bestes Level zu kommen. Bernd ist ein intelligenter Bursche, er schätzt die Situation richtig ein, ist halt ein Anführer.

Sportvorstand Rocco Teichmann hatte vor der Saison gesagt, der Verein träumt nicht von Liga 3, sondern arbeitet täglich hart dafür. Nach den ersten neun Spieltagen kann man festhalten, dass die Mannschaft, das Trainerteam und auch die Verantwortlichen dafür einen sehr guten Job machen. Wie sehen sie die Aufstiegschancen, bzw. wie stehen sie generell zu dieser Thematik?

Ich stimme Rocco zu, wir haben alle sehr viel Zeit und Energie hineingesteckt. Trotzdem ist Demut angebracht, denn wir dürfen nicht vergessen, wo wir herkommen und dass der aktuelle Erfolg keine Selbstverständlichkeit ist. Der Klub wird in Liga 3 spielen! Ab wann, wird sich noch zeigen. Jetzt ist es definitiv zu früh, darüber zu philosophieren. Es liegen immerhin noch 30 Spiele vor uns.

Wenn man die Tabelle betrachtet, könnte man meinen, die VSG Altglienicke scheint die einzige Mannschaft zu sein, welche auch ein Wörtchen um den Aufstieg mitreden wird. Ob Jena, Cottbus oder Chemnitz - viele Team bleiben hinter den Erwartungen - oder wie schätzen sie die Lage ein?

Altglienicke spielt wieder eine starke Runde. Wir haben großen Respekt vor der Arbeit, die dort geleistet wird: Platz eins bis zum Abbruch der letzten Saison, Pokalsieger und wieder ganz vorne mit dabei in der laufenden Serie. Was die anderen genannten Klubs betrifft, trügt der Schein. Jena wird nicht lockerlassen, ist von Woche zu Woche stärker geworden. Chemnitz und Cottbus werden ihre Punkte noch holen, da bin ich sicher.

Nach dem Pokalspiel stehen die Spiele gegen Germania Halberstadt, dem SV Babelsberg 03 und FSV Union Fürstenwalde. Sicherlich keine Gegner, die man im Vorbeigehen schlägt, aber auch keine Schwergewichte. Welche Chancen rechnet man sich aus und wie geht man die Angelegenheiten an?

Meine Mannschaft hat einen tollen Charakter. Dazu gehört, dass es keinen Gegner gibt, den wir nicht respektieren oder nicht ernst nehmen. Wir freuen uns auf jedes Spiel, bereiten uns vor und spielen immer unseren Fußball. Das ist für mich am wichtigsten, ich möchte meine Mannschaft immer wiedererkennen, unsere Idee erkennen. Dann bin ich zufrieden.

Aufrufe: 08.10.2020, 09:55 Uhr
Marcel PetersAutor