2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines

Der rasselnde Ball verrät, hier spielen Blinde Fußball

**Blinden EM ab heute in Berlin**

Ein Bericht von Marcel Peters - https://www.facebook.com/AmateurberichterstattungMarcelPeters/ - regelmäßig Berichte über Berliner und Brandenburger Amateurfußballer oder Vereine. Fotos: Fc Viktoria 1899 - Blindenfußball

„Zehn, Acht, Sechs. Abschluss.“ Das rasselnde Leder knallt gegen den Pfosten. Der nächste Spieler läuft an. „Zwölf, Zehn. Der Ball rollt rechts von dir.“ Der Spieler verfehlt den Ball, doch keiner schimpft oder meckert, sondern alle sprechen Positiv und Ihm Mut zu. Ich bin zu Gast beim Blindenfußball in Berlin Lichterfelde, beim einzigen Berliner Fußball-Verein für Blinde. Trainer Oliver Heise erklärt mir, dass es davon in Deutschland auch nur acht Vereine gebe, die sich dann regelmäßig in Bundesliga-Spielen gegenüberstehen. Richtig, Fußball-Bundesliga. Auf einem 20x40m großem Spielfeld, mit vier Feldspielern und einem Torhüter, der als einziger Spieler etwas sehen kann. In den Spielen kommen die oben genannten Anweisungen, die im Übrigen die Entfernung zum Tor angeben, auch nicht vom Torhüter, sondern vom „Guide“ der Angriffsmannschaft, der hinter dem gegnerischen Tor steht und seinen Angreifern damit nützliche Tipps und eine kleine Orientierungshilfe gibt. Die Anweisung vom „Guide“, Torhüter oder den Mitspielern sind für die Spieler natürlich immens wichtig, da niemand etwas sehen kann. Sie sind genauso hilfreich, wie der rasselnde Ball, das Klopfen an den Torpfosten oder die Kommunikation innerhalb der Mannschaft. Besonders häufig wird dabei das Wort „Voy“ verwendet, welche aus dem spanischen stammt und so viel wie „ich komme“ bedeutet. Es hilft dem Ballführendspieler zu hören, wie nah ein Verteidiger entfernt ist oder ob sich ein Mitspieler auf Ihn zubewegt.

Das Training der Blindenmannschaft beginnt mit einem typischen „Warm-Up“, alle Spieler starten auf einer Linie und laufen sich warm. Als ich den Selbstversuch starte erlebe ich das Phänomen, immer mindestens drei Meter vor der Wand stehen zu bleiben. Edis erklärt mir, dass ich auf den Boden achten muss. Wie der Untergrund sich anfühlt und anhört am Ende der Halle, ist entscheidend – dadurch kann man erahnen wann die Wand kommt. Edis ist auch der Grund warum ich den Weg nach Lichterfelde angetreten bin, er hat von meinen Berichten gehört und mich daraufhin zum „Probetraining“ eingeladen. Er möchte das als positive Werbung nutzen, auch in Anbetracht der Tatsache, dass in dieser Woche die Blinden-EM in Berlin startet. Vom 17. Bis zum 27. August werden die Zehn besten Teams Europas am Anhalter Bahnhof um den Titel kämpfen. Er und seine Teamkollegen werden dabei jedoch nur eine zuschauende Rolle einnehmen. Trainer Heise: „ Edis ist ohne Zweifel ein sehr talentierter Spieler, der in der vergangenen Saison zu häufig mit Verletzungen kämpfen musste und somit den Sprung in den Kader nicht geschafft hat.“ Auch Fatih, einer seiner Mitspieler, hat es nicht geschafft, da er gerade erst von einem Kreuzbandriss zurückgekehrt ist. Andere wurden nicht berücksichtigt, da Sie Ihre Sehkraft noch nicht komplett verloren haben. Beispielsweise der erst zwölf Jährige Nico, dem eine große Karriere bevorsteht, wenn er bei der Sache bleibt. Die Ärzte haben prognostiziert, dass er im Laufe der nächsten Jahre seine Sehkraft komplett verlieren wird. Umso wichtiger ist es für Ihn, jetzt schon die ersten Schritte zu gehen und sich an den Blindenfußball zu gewöhnen. Er ist seit einem halben Jahr dabei und schlägt sich laut Mitspieler und Trainer hervorragend und ist wichtig für das Team, bei dem es in dieser Saison nicht optimal lief. Auch Lars, mit dem ich vom S-Bahnhof zur Halle gelaufen bin, darf nicht an der Heim-EM teilnehmen. „Ich sehe noch Umrisse, da ist ein Einsatz im Nationaltrikot leider nicht möglich.“ Lars ist seit fünf Jahren Teil des Teams und mittlerweile ein sehr solider Verteidiger, aber er sieht auch ein, dass selbst wenn er die Umrisse nicht mehr sehen würde, es schwer mit dem Nationalteam werden würde. „Ich besitze nicht die nötige Fitness um gegen die jungen Spieler mitzuhalten.“ Er konzentriert sich deshalb auf sein Team, bei dem Ihm seine Freizeitbeschäftigung viel Spaß macht.

Aufgrund von vieler Verletzungen, mussten Sie häufig mit einer „Rumpf-Truppe“ antreten oder auf Leihspieler anderer Teams zurückgreifen. Auch deshalb konnten sie keines Ihrer Saisonspiele gewinnen. Auch deshalb freut sich Trainer Heise immer wieder über neue Spieler: „Wir hatten mit Edis und Fatih die ganze Saison zwei Verletzte, die wir nicht ersetzen können. Teilweise mussten Spieler, die erst einmal trainiert haben aushelfen. Du hast selber miterlebt, welche Orientierung Schwierigkeiten auftreten. Jeder Spieler braucht mindestens vier Mal Training um sich an die Gegebenheiten zu gewöhnen. Mit den neuen Probespielern, von denen wir zurzeit drei haben und den beiden Zurückkehren blicke ich positiv auf den letzten Spieltag und die kommende Saison.“ Ich habe definitiv mitbekomme welche Schwierigkeiten es gibt - bei jeder Bahn habe ich drei Meter vor der Hallenwand abgerbochen, einfach weil ich dachte ich laufe mit voller Wucht gegen die Wand. Es würde wohl einige Trainingseinheiten dauer, dass aus dem Kopf zu bekommen.

Zurück zum Training. Nach dem Warmlaufen folgen Slalom und Dribbelübungen. Gekonnt lassen die Spieler den Ball zwischen Ihren Beinen hin und her klatschen, teilweise sieht das besser aus als bei mir und meinem eigenen Team. Nur der rasselnde Ball und die lauten „Voy“-Rufe verraten, dass es sich um Blindenfußball handelt. Der Torhüter kommt mit etwas Verspätung, aber direkt sind Torschüsse an der Reihe. Ich staune nicht schlecht mit welcher Geschwindigkeit und Präzision Ihm die Bälle reihenweise um die Ohren Zischen. Das ist faszinierend. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Anschließend folgt das Abschlussspiel. Einige Spieler setzen sich dafür einen Kopfschutz auf, den laut Trainer Heise jedoch komplett überflüssig ist, das er die wichtigen Stellen am Kopf, wie die Schläfe, nicht schütze. Es ist jedoch eine Vorgabe vom Verband und daher ein Muss bei den Spielen. Das Training neigt sich dem Ende zu, aber die Spieler können gar nicht genug bekommen und spielen daher freiwillig 15 Minuten länger. Edis: „Na und ob mir das Spaß macht, das siehst du doch, guck an wie ich geschwitzt bin.“ Das stimmt wohl – Sie haben sich alle vorbildlich reingehangen und waren mit einer Freude dabei, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe.

Ich kann wirklich jedem empfehlen – egal ob alleine, mit Freunden oder als Team – diese Erfahrung zu machen. Es ergeben sich komplett neue „Blickwinkel“ und man lernt einander besser kennen und vertrauen. Und die Freude, mit denen die Verantwortlichen Ihren Job und den Sport ausüben ist lobenswert. Gerne werde ich mich ein weiteres Mal am Training beteiligen. Eventuell ist meine Motorik dann auch schon ein wenig besser.

Aufrufe: 017.8.2017, 06:28 Uhr
Marcel PetersAutor