2024-05-10T08:19:16.237Z

Interview
Alexandre Karapetian vom luxemburgischen FC Progrès Niederkorn zu Gast beim "Nachspielzeit" Interview der Woche.  F: Bernard Bamberg
Alexandre Karapetian vom luxemburgischen FC Progrès Niederkorn zu Gast beim "Nachspielzeit" Interview der Woche. F: Bernard Bamberg
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"Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen"

Alexandre Karapetian vom FC Progrès Niederkorn +++ Der Wiesbadener Junge über den Erfolg in der Europaleague, den unvergesslichen Moment nach Spielende und seine Laufbahn nach der Aktivenzeit

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Wiesbaden. In unserer Interview-Rubrik "Nachspielzeit" befragen wir wöchentlich in lockerem Rahmen interessante Spieler oder Trainer der Region über ihren Verein und ihre persönlichen Ziele. Heute zu Gast: Alexandre Karapetian von FC Progrès Niederkorn. Der ehemalige Wehener hat mit seinem Team überraschend die Glasgow Rangers in der EL-Qualifikation rausgeworfen.
Erstmal Glückwunsch zu dem sensationellen Erfolg über die Glasgow Rangers. Wie hast Du das Spiel gegen den Traditionsklub auf dem Feld miterlebt? Schon nach der Auslosung habe ich unzählige Glückwünsche in Form von Nachrichten und Anrufen erhalten. Der Einlauf in den Ibrox Park vor 51.000 verrückten Schotten war atemberaubend. Von der Stimmung waren wir die erste halbe Stunde eingeschüchtert. Plötzlich haben wir gemerkt, dass hier was geht, auch wenn wir fünf Minuten später das 1:0 kassierten. Ab der 70. Spielminute waren wir sogar spielbestimmend, nutzten unsere Chancen zum Ausgleich leider nicht. Außerdem verweigerte uns der Schiedsrichter einen glasklaren Handelfmeter. Nach dem Schlusspfiff wollten wir uns bei den 40 mitgereisten Fans für die Unterstützung bedanken. Was dann passiert ist, hat alles getoppt.
Was ist denn passiert?
51.000 Menschen begannen eine riesige Standing Ovation. Ich dachte zunächst, dass die Rangers-Spieler hinter uns stehen. Doch tatsächlich haben uns die Schotten für die starke Leistung gefeiert. Diesen Moment werde ich niemals vergessen.
Im Rückspiel ist euch dann der ganz große Coup gelungen. Wir haben auf unsere starke Leistung noch eine Schippe draufgelegt und am Ende verdient mit 2:0 gewonnen.
Was war nach dem Spiel in der Kabine los?
Es war eine reinste Ekstase. Das ganze Team hat gesungen, gefeiert und getanzt. Im Anschluss sind wir mit allen Verantwortlichen und den Fans zu unserem heimischen Sportgelände gefahren. Dort haben wir ein Mitternachts-Barbecue veranstaltet mit allem, was dazu gehört. Danach haben wir in meiner Shisha-Lounge noch bis 6:00 Uhr gefeiert.
Im Falle eines Weiterkommens in der nächsten Runde, seid ihr für die Europa-League qualifiziert. Voraussichtlich bekommt ihr es mit AEL Limassol aus Zypern zu tun (Limassol steht nach Aufnahme des Interviews als Gegner fest). Wie schätzt Du eure Chancen auf einen Einzug in die Gruppenphase ein?
Wir dürfen jetzt nicht abheben nach dem Erfolg gegen einen namhaften Traditionsklub. Ich denke Limassol wird qualitativ noch etwas stärker sein als die Schotten. Wir spielen zunächst zu Hause und wollen ein Gegentor unter allen Umständen vermeiden. Das Rückspiel auf Zypern wird bei den Temperaturen eine große Herausforderung für uns.
Die letzte Spielzeit hat der FC Progrès Niederkorn auf dem vierten Tabellenplatz abgeschlossen. Der Rückstand auf die Spitze war enorm. Welches Ziel habt ihr euch für die nächste Saison gesteckt?
Der Abstand nach vorne war sehr groß. Aber wir wissen um unseren guten Zusammenhalt in der Mannschaft und um unser großes Potenzial. Da ich jemand bin, der immer versucht das Maximale rauszuholen, sage ich dass wir zu den beiden besten Teams in der Liga gehören wollen.
In deinem letzten FuPa-Interview vor drei Jahren hast Du den Qualitätsanstieg im luxemburgischen Ligabetrieb hervorgehoben. Hat sich der Qualitätssprung seit diesem Zeitraum noch einmal bestätigt?
Auf jeden Fall. Vor allem in der Breite ist die Liga qualitativ viel stärker geworden. Auch die internationalen Erfolge im europäischen Geschäft spiegeln diese Tendenz wider.
Seit nunmehr fünf Jahren spielst Du in Luxemburg. Davor warst Du in Deutschland unter anderem für Wehen Wiesbaden, SV Elversberg und den FC Homburg aktiv. Was hat dich damals zu diesem Tapetenwechsel bewegt?
Meine letzte Station in Deutschland war beim FC Homburg. Dort hatte ich eine tolle Zeit. Nach der Saison hatte ich einige Angebote von Dritt- und Zweitligisten vorliegen. So richtig gereizt haben mich die sportlichen Perpektiven in Deutschland nicht. Von Kind an habe ich geträumt mal europäisch zu spielen und für mein Land aufzulaufen. Als mich F91 Düdelingen wegen einer Verpflichtung kontaktierte, habe ich ich nicht lange gezögert.
Mit deinem Wechsel ins Nachbarland hast Du alles richtig gemacht. Auf europäischer Bühne sorgst Du mit deinem Verein für Furore und hast drei Länderspiele für Armenien in Deiner Vita zu verzeichnen. Wo siehst Du Deine Zukunft nach der Fußballerkarriere?
Neben meiner Shisha-Bar habe ich meine Trainer B-Lizenz gemacht und möchte auf jeden Fall meinen A-Schein dranhängen.
Das heißt wir werden Dich zukünftig auf der Trainerbank begrüßen dürfen. Wie siehst Du das Trainergeschäft gerade in einer Zeit in der viele Trainerposten von eher jüngeren Coaches besetzt sind?

Ich bin eher jemand der als Spieler wie als Trainer auch konditionsbezogene Einheiten mit Ball durchführt. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum die Tendenz zu jüngeren Trainern geht. Ich will das jetzt nicht pauschalisieren, aber auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass ältere, erfahrenere Teamleiter die ersten Einheiten einer Vorbereitung ausschließlich ohne Ball vorgegeben haben. Ein Spruch beschreibt diese Wendung ganz gut: Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen.
Wie unterscheidet sich Dein Leben in Luxemburg von dem aus früheren Tagen in Deutschland?

Luxemburg ist vergleichsweise sehr teuer. Daran habe ich mich aber gewöhnt. Außerdem hat das Land insgesamt nur 500.000 Einwohner und Deutschland ca. 82 Millionen. Ich war die Tage in Saarbrücken und um 23:00 Uhr ist auf den Straßen noch extrem viel los. In Luxemburg sind um diese Zeit die Städte leergefegt wie in einem Western-Film. (lacht)

Gibt es etwas, was Du aus Deiner Zeit in Deutschland vermisst?

Meine Freunde vermisse ich auch wenn die Strecke, die zwischen uns liegt, in zwei Stunden zu bewältigen ist.

Kannst Du Dir in absehbarer Zeit nochmal eine Rückkehr in den Wiesbadener Raum bzw. nach Deutschland vorstellen?

Nein, das kann ich nicht. Ich habe eine Familie und zwei Kinder und uns gefällt es sehr gut. Wir haben uns hier ein Haus gekauft. Außerdem muss ich an meine Kinder denken, die in Luxemburg multi-bilingual aufwachsen. Das ist ein sehr großer Vorteil.


Aufrufe: 08.7.2017, 10:00 Uhr
Marcus MühlenbeckAutor