2024-05-02T16:12:49.858Z

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Erkan Öztürk (vorn) auf dem Aschenplatz des FC Leverkusen am Opladener Birkenberg, Foto: Herhaus
Erkan Öztürk (vorn) auf dem Aschenplatz des FC Leverkusen am Opladener Birkenberg, Foto: Herhaus

Öztürks Odyssee nach Opladen

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Erkan Öztürk war zehn Jahre lang Profi in der Türkei, nun spielt er für den FC Leverkusen in der Fußball-Bezirksliga 1. „Eigentlich wollte ich den Sprung schaffen. Aber statt immer höher zu gehen, bin ich immer weiter runtergegangen”, sagt der 30-Jährige.

Leverkusen. Auf einmal standen seine Idole neben ihm auf dem Rasen. Zuvor hatte er immer nur zu ihnen aufgeblickt, auf die Poster in seinem Kinderzimmer in Monheim. Jetzt waren sie seine Gegenspieler: Hakan Sükür, Hasan Sas und Rigobert Song, im rot und gelb gestreiften Trikot von Galatasaray Istanbul. Auch wenn Samsunspor, seine Mannschaft, mit 1:2 zurücklag, musste Erkan Öztürk grinsen, als er in der 84. Minute eingewechselt wurde. Denn er wusste, dass seine Familie und seine Freunde zu Hause an den Fernsehschirmen zusahen, wie er sein erstes Profi-Fußballspiel bestritt: Gegen seinen Lieblingsverein.

Der erste Schritt auf den Rasen des Ali-Sami-Yen-Stadions, den lautstarken Gesang der Istanbuler Fans im Ohr: „Das war das schönste Gefühl meines Lebens”, sagt Erkan Öztürk. Fast zehn Jahre sind seitdem vergangen. Heute ist er 30 Jahre alt und spielt nicht mehr in Stadien Fußball, sondern auf Sportplätzen. Er ist Stürmer in der Bezirksliga für den FC Leverkusen, der seine Heimspiele auf einem schmucklosen Aschenplatz in Leverkusen-Opladen austrägt.

Die Partie gegen Galatasaray am 12. September 2004 sollte für das damals aus der Nachwuchsabteilung von Bayer 04 erwachsene Stürmertalent der Karriere-Startschuss sein. Samsunspor, ein mittelmäßiger Erstligist, war als Zwischenschritt geplant. „Eigentlich wollte ich den Sprung schaffen. Aber statt immer höher zu gehen, bin ich immer weiter runtergegangen”, sagt er mit leiser Stimme an einem kalten Winterabend in einem Café unweit der BayArena, das gleißende Flutlicht im Blick.

Öztürks Geschichte handelt nicht vom großen Fußball im Rampenlicht, auch wenn er davon träumte, als er mit 20 aus Leverkusen loszog. Sie handelt stattdessen von elf Vereinswechseln in zehn Jahren, und einer Odyssee durch den türkischen Fußball: Von der Ersten in die Vierte Liga, über Stationen in jedem Winkel des Landes. Das klingt tragisch — doch von Tragik ist in Öztürks Gesicht keine Spur. Er trägt Dreitagebart, die Haare sind frisch geschnitten und frisiert, er lächelt viel, freundlich und ein wenig verlegen. Erkan Öztürk wirkt glücklich und sagt: „Ich habe jetzt andere Ziele und bin sehr zufrieden.” Doch was ist aus seinen alten Zielen geworden?

Die Antwort auf diese Frage beginnt auf einem Rasenplatz in Düsseldorf-Lichtenbroich im ersten Frühling dieses Jahrtausends, beim Internationalen Turnier des BV Düsseldorf. Jährlich reisen aus diesem Anlass die U-19-Junioren internationaler Spitzenmannschaften an den Rhein, die Talentspäher reiben sich die Hände. Es war keine Überraschung, dass auch die Scouts von Galatasaray Istanbul am Platz standen, den 17 Jahre alten Leverkusener Angreifer beäugten und sahen, wie er Anspiele im Strafraum in jeder Lage verarbeitete, Bälle behauptete und für Torgefahr sorgte. „Sie wollten mich unbedingt”, sagt Erkan Öztürk und der Glanz in seinen Augen ist der eines Jugendlichen. Ohne nachzudenken habe er zugesagt, für eine Woche nach Istanbul zu fliegen, auf Kosten des Vereins. In seinen Erzählungen ist es Heimweh, das den Wechsel zum Verein seiner Träume scheitern ließ.

Öztürk blieb vorerst in Leverkusen, spielte zwar regelmäßig, aber ohne große Beachtung in der Leverkusener A-Jugend und für zwei Jahre in der zweiten Mannschaft. Danach lief sein Vertrag aus, den Sprung zu den Profis verpasste er. Zu Galatasaray war der Kontakt zwar über die Jahre abgerissen, doch nicht der zu Dogan Ercan, jenem Mittelsmann, der ihn auch in Düsseldorf angesprochen hatte, inzwischen aber nicht mehr mit Galatasaray zusammenarbeitete. Trotzdem schwärmte er von einer großen Karriere in der Türkei und Öztürk lauschte gespannt.

Daran, dass Ercan eher an seinem finanziellen Eigenanteil interessiert war und weniger am Wohl des Spielers, dachte Öztürk mit gerade 20 nicht. „Ich habe den falschen Personen vertraut. Dann ging es schief für mich”, sagt er.

Seinem Debüt in Istanbul folgten noch 15 Spiele für Samsunspor, zwei davon in der Startelf. Doch die Zahlungsmoral des Vereins aus der Hafenstadt am Schwarzen Meer war fragwürdig. „Es hieß immer: Nächste Woche bekommt ihr Geld. Doch es kam nichts”, erinnert sich Öztürk. Auf Anraten seines Spielervermittlers wechselte er nach einem Jahr den Verein, ohne ausstehende Zahlungen einzufordern. Er unterschrieb beim Erstligisten Diyarbakirspor, zog ins 800 Kilometer entfernte Anatolien, doch die Probleme wurden größer: „Ich war richtig unglücklich”, sagt Öztürk. Nur nach einem halben Jahr und wenig Einsatzzeit wollte er wechseln, zum holländischen Zweitligisten VVV Venlo, den damals der Kölner Herbert Neumann trainierte. Es fehlte jedoch die Freigabe. So kehrte Öztürk im Januar 2006 frustriert in die Türkei zurück, wurde zunächst in die Zweite Liga ausgeliehen und gehörte danach noch ein Jahr zum Kader des mittlerweile abgestiegenen Klubs Diyarbakir. „Ich habe sehr gut gelebt in der Türkei”, betont Öztürk. Doch es blieb nichts übrig, um für die Zeit nach der Karriere vorzusorgen.

2007 wechselte er noch eine Liga tiefer und nach Istanbul, zu Eyüpspor. Unterbrochen von einem kurzen Intermezzo bei einem benachbarten Verein, blieb er dort für drei Jahre, es war seine längste Station. Öztürk spielte gut, doch inzwischen hatten sich seine Prioritäten geändert. Als Mittzwanziger wusste er, dass der Zug für eine ruhmreiche Karriere abgefahren war. Also dachte er vor allem wirtschaftlich: „Ich wusste mittlerweile, wo gezahlt wird”, erklärt er. Von seinem Berater hatte er sich getrennt. Öztürk tingelte über die Dörfer, spielte dritt- oder viertklassig, aber verdiente gutes Geld.

Allerdings ist die Vierte Liga in der Türkei eine Ausbildungsliga, es gibt eine Altersgrenze von 30 Jahren. Öztürk wäre wohl noch länger in der Türkei geblieben, doch er hatte seine Heimat stets vermisst. Also reifte im Sommer 2013 der Entschluss, zurückzukehren — mit neuen Zielen. Öztürk ist ausgebildeter Bürokaufmann, will den Fußball-Trainerschein machen. Während er in Deutschland nach Vereinen und Arbeitgebern suchte, riet ihm ein Freund zum FC Leverkusen. „Michael Kunz wird dich glücklich machen”, habe der ihm gesagt.

Kunz ist erster Vorsitzender des Bezirksligisten und gleichermaßen so etwas wie dessen Mäzen. Er möchte den Klub zum zweitstärksten in Leverkusen machen, hinter Bayer 04. Um innerhalb der nächsten zwei Jahre in die Landesliga aufzusteigen, verpflichtete er Ex-Profi Marcus Feinbier als Trainer, und stellte dem Verein, der nur aus einer ersten Mannschaft besteht, ein Team voller Vertragsamateure zusammen. Öztürk habe er zudem zugesichert, dessen Trainerschein zu finanzieren. Und er vermittelte ihm eine Halbtagsstelle als Bürokaufmann einer Bauunternehmung — übergangsweise. „Er ist zu uns gekommen, weil er Fußballspielen wollte und eine berufliche Perspektive brauchte. Ich suche momentan für ihn etwas im Leverkusener Umfeld und das wird mir auch gelingen”, sagt Kunz, im Hauptberuf Professor einer privaten Hochschule, aus Leidenschaft Fußballfan und Netzwerker — und ein Freund forscher Töne.

Und Erkan Öztürk fühlt sich wohl in Opladen. „Ich dachte zuerst, ich will nicht in die Bezirksliga. Aber jetzt bin ich glücklich mit der Entscheidung, denn Herr Kunz gibt mir das Vertrauen, was mir in der Türkei gefehlt hat. Ich bin mir sicher, dass er mich immer weiter unterstützen wird”, sagt er. So naiv das klingt, scheint es ihn doch zufriedenzustellen. Zufrieden sind auch Kunz und Trainer Feinbier. Öztürk harmoniert mit seinen Mitspielern, setzt die taktischen Vorgaben Feinbiers um, schießt alle Standards, erzielt wichtige Tore. Die Hinrunde beendete der FC Leverkusen auf Rang drei, mit Tuchfühlung zu den Aufstiegsrängen. Öztürk traf viermal.

Er wohnt momentan bei seinen Eltern in Monheim, bald will er sich eine Wohnung suchen. Seinen Entschluss, vor zehn Jahren in die Türkei gegangen zu sein, nennt er heute eine Fehlentscheidung. „Aber wenn ich einen anderen Weg gewählt hätte, dann würde ich das vielleicht auch bereuen”, sagt er. Doch in Zukunft soll sich sein Weg beruhigen. Öztürk hat vor allem berufliche Ziele, neben seiner kaufmännischen Tätigkeit und dem Trainerjob ein drittes: „Eigentlich will ich Berater werden. Ich habe so vieles erlebt und könnte jungen Spielern von falschen Entscheidungen abraten”, sagt er.

Bevor er sich verabschiedet und der dunkle Abend ihn verschluckt, dreht er sich noch einmal zum Flutlicht der BayArena um, Erkan Öztürk grinst und sagt: „Eigentlich hatte ich hier meine schönste Zeit. Bayer ist mein Lieblingsverein — in Deutschland.”

Spielergewerkschaft warnt vor Transfers nach Südosteuropa

Die Geschichten junger deutscher Fußballer mit türkischem Migrationshintergrund wie Öztürk, die mit falschen Erwartungen, geschürt von selbst ernannten Spielerberatern ohne Lizenz, ihr Glück im türkischen Profifußball suchen, sind zahlreich.

Es gebe viele schwarze Schafe unter den Spielerberatern, räumt auch Murat Gusinali vom Europabüro des türkischen Fußballverbands (TFF) ein. Die Verbandsaußenstelle, die Talente in Europa ausschließlich für die Nationalmannschaft sichten will („Wir sprechen nicht mit Spielervermittlern”), sei dafür aber nicht zuständig. Vielmehr läge es in der Verantwortung der Spieler, zu wissen, wem sie vertrauen können — und wem nicht.

Die weltweite Spielergewerkschaft „Fifpro” warnte im August dieses Jahres öffentlich vor Wechseln in die Türkei, sowie nach Zypern und Griechenland und insbesondere vor Transfergeschäften mit Vereinen, die nicht an internationalen Wettbewerben teilnehmen. Den Spielern würden oft hohe Gehälter und Bonuszahlungen versprochen, doch Versprechen nicht eingehalten, so heißt es in der Mitteilung der Gewerkschaft. Spieler müssten teils monatelang auf Gehälter warten. (sef)

Aufrufe: 015.1.2014, 17:22 Uhr
Kölner Stadt-Anzeiger / Sebastian FischerAutor