2024-04-25T14:35:39.956Z

FuPa Portrait
In 155 Spielen für die Pumas hat Eric Stübing (rechts) - hier gegen Kevin Berecz vom ASV Fürth - bislang 112 Tore geschossen und zwei Aufstiege gefeiert. Foto: Ralf Rödel
In 155 Spielen für die Pumas hat Eric Stübing (rechts) - hier gegen Kevin Berecz vom ASV Fürth - bislang 112 Tore geschossen und zwei Aufstiege gefeiert. Foto: Ralf Rödel

Eric Stübing: Kicken mit Kroos und eine Ansage von Hrubesch

Der heute 27-Jährige schrieb Magdeburger Fußballgeschichte, hat bei Hertha BSC gespielt und schießt jetzt Tore für den FC Herzogenaurach

Bevor Eric Stübing zum Aushängeschild beim FC Herzogenaurach wurde, stand er schon an der Schwelle zum Profifußball. Der Torjäger spielte in der Jugend mit Toni Kroos und Jerome Boateng. Doch dann zeigt der Sport ihm sein brutales Gesicht: eine Geschichte vom Fallen und Wiederaufstehen.

Wer eine Ahnung davon bekommen will, warum die Fußballer vom FC Herzogenaurach als „Pumas“ bezeichnet werden, muss nur ihren Kapitän treffen. Eric Stübings Klamotten stammen alle von Puma, auch die Camouflage-Sneakers und das rote Cappy. Seine Kleidung: lässig. Sein Auftreten: lässig. Er bestellt eine Apfelschorle und beginnt, seine nicht mehr ganz so lässige Geschichte zu erzählen.

Sie beginnt 400 Kilometer weiter nördlich in Genthin, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt. Ein Jugend- und Stützpunkttrainer nimmt die F-Jugendlichen jede Woche mit auf eine Technikschulung. Eric Stübings Talent sticht schnell hervor, er wird in die Kreis- und in die Landesauswahl berufen. Auf einem Turnier scoutet ihn der FC Magdeburg, will ihn verpflichten. Eine einmalige Chance. Stübing, 13 Jahre alt, ergreift sie.

Er wechselt auf das Sportinternat, trainiert sechsmal pro Woche, macht sein Abitur. Als er in die Magdeburger A-Jugend aufrückt, ist die gerade aufgestiegen. Im August 2007 wird Eric Stübing Jugend-Bundesligaspieler. Seine Entscheidung, das bisherige Leben dem Fußball unterzuordnen, scheint voll aufzugehen. Der Traum vom Profifußball lebt.

Ein angenehm-sonniger Tag im Magdeburger Heinrich-Germer Stadion. Es läuft der zweite Spieltag der Jugendbundesliga. Der FC Magdeburg hat sein erstes Spiel mit 0:4 verloren, heute sollen die ersten Punkte her. Eric Stübing wird gleich Geschichte schreiben. Sein Team trifft auf Hertha BSC, seinen Lieblingsverein. Die erste Halbzeit bleibt torlos, in der 52. Minute passiert es: Flanke, Kopfball Stübing, Tor. Nicht irgendein Tor. Der Stürmer schießt das erste Tor in der Jugend-Bundesligageschichte des Vereins und trägt sich in die Magdeburger Geschichtsbücher ein.

Erzählt der 27-Jährige von solchen Erlebnissen, sieht man erst auf den zweiten Blick, wie besonders das alles auch heute noch für ihn ist. Dann beginnt er kaum merklich den Kopf zu schütteln, seine dunklen Augen weiten sich. „Es geht sauschnell hoch“, sagt er und hält kurz inne. „Aber es geht genauso schnell wieder runter, wenn nicht sogar noch schneller.“

Zunächst hält der Höhenflug an. Bei einem Turnier der Landesauswahlen in Duisburg wimmelt es nur so vor hochrangigen Trainern und Scouts, die händeringend nach Talenten suchen. Horst Hrubesch trainiert seit wenigen Monaten die U19-Nationalmannschaft, da sieht er Stübing spielen, erkennt sein Talent, lädt ihn zu einem Lehrgang ein, einer Art Trainingslager. Plötzlich ist Stübing Teil einer Mannschaft, in der Jerome Boateng und Toni Kroos spielen. Zu Kroos entwickelt sich sogar eine engere Freundschaft.

Gegen Irland und Frankreich stehen zwei Testspiele an. Hrubesch macht Videoanalysen, hält beim Abendessen noch eine Ansprache. Ob hier jemand kein Schweinefleisch isst, fragt Hrubesch. Stübing schaut verdutzt. Um so etwas hat sich in Magdeburg niemand geschert. Jetzt bin ich endgültig woanders, denkt er sich. „Das ist schon nochmal eine andere Hausnummer gewesen“, sagt er.

Zweimal darf er sich im Nationaltrikot beweisen. Stübing wird nach seiner Einwechslung angespielt, setzt zum Dribbling an, hält den Ball. Doch er hält ihn zu lange, der Ball geht wieder verloren. Hrubesch tobt. In der Kabine nimmt er sich den jungen Spieler zur Brust und weist ihn lautstark zurecht. „Der konnte schon mal abdrehen“, erzählt Stübing.

In Magdeburg geht es für ihn nicht weiter. Der Verein steigt wieder aus der Jugend-Bundesliga ab. Die sportliche Führung entscheidet sich dagegen, den Spielern eine Chance bei den Profis zu geben. Doch Stübing hat bei anderen Clubs längst einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Hertha BSC will ihn verpflichten. Der Traum lebt.

Der Fußball wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft in zwei Ebenen aufgeteilt: Oben der Profifußball, mit dem sich die Umsätze generieren lassen, unten der Amateurfußball für die Hobbykicker. Doch diese Darstellung ist verzerrt. Es gibt noch eine dritte Ebene, die zwischen Profi- und Amateurfußball zu verschwinden droht. Eine Zwischenwelt, in der sich alle aufhalten, die auf eine Profikarriere hoffen, sich aber gleichzeitig auf ihr mögliches Scheitern vorbereiten müssen. Sie trainieren abends hart wie Profis, gehen aber tagsüber arbeiten wie Amateure. Etliche Spieler leben in dieser Zwischenwelt. 2008 ist Eric Stübing einer von ihnen.

Der Traum zerschellt

Bei Hertha spielt er Regionalliga. Nach einem halben Jahr passiert es: Die Karriere, die bis dahin so geradlinig verläuft, bekommt ihren ersten Riss. Es ist nicht das fehlende Talent und schon gar nicht fehlender Ehrgeiz, die ihm zum Verhängnis werden. „Jung und dumm“, nennt sich Stübing rückblickend. Denn eigentlich will ihn Berlin weiterverpflichten. Eine einmalige Chance, doch diesmal ergreift er sie nicht. Bei den Gesprächen vertraut er einem Berater. Der pokert zu hoch, Hertha lässt die Vertragsverhandlungen platzen.

Aber noch will der Stürmer nicht aufgeben, zu viel hat er in diesen Traum investiert. Toni Kroos vermittelt Stübing zum Greifswalder SV, wo der ehemalige Bundesligatrainer Andreas Zachhuber dabei ist, eine Oberligamannschaft aufzubauen. Für Stübing soll es eine Zwischenstation sein, ein Sprungbrett zurück nach oben. Noch ahnt er nicht, dass er dem Profifußball nie mehr so nahe kommen wird wie jetzt.
In Greifswald hängt alles an einem Mäzen. Wilhelm Schelsky ist für den Verein das, was Dietmar Hopp heute für Hoffenheim ist. Alle Gelder, die fließen, hängen am seidenen Faden einer reichen Einzelperson. Als Stübing nach Greifswald kommt, um sich für Größeres zu empfehlen, reißt der Faden. Die Siemens-Affäre belastet Schelsky, ohne ihn geht Greifswald insolvent. Gehaltskürzung. Schock. Ende. Jetzt geht alles ganz schnell. Stübing erfährt, dass er Vater wird.

Doch das Greifswalder Gehalt war seine finanzielle Lebensgrundlage. Über Nacht zerschellt sein Traum in tausend Einzelteile. Er versucht sein Leben neu zu sortieren, doch es gelingt ihm nicht. „Ich war damals in meiner eigenen Welt unterwegs“, erzählt er. Stübing hat keine Lust mehr auf Fußball. 20 Jahre alt - da beendet er eine Karriere, die gerade erst beginnen sollte. Doch die Geschichte geht noch weiter.

Der Mann, der damals ohne es zu wissen zum Protagonisten wird, heißt Costa Büle und trainiert den Kreisklassisten ASV Niederndorf. Stübing ist nach Franken gezogen, weil hier die Mutter der Freundin lebt: finanzieller Rückhalt für die geborene Tochter. Bei einem Nachbarschaftsgrillen lernen sich Büle und Stübing kennen. Der ist bestimmt Fußballer, denkt sich Büle. „Also habe ich ihn gefragt, ob er wieder Lust hätte anzufangen“, erinnert sich der Trainer.

Stübing hat wieder Lust. Doch an den Amateurfußball muss er sich erst gewöhnen. Nach dem Training setzt sich Stübing in die Gaststätte. Während seine Teamkollegen Bier bestellen, greift er zur Apfelschorle. Die anderen Spieler schauen ihn genauso verdutzt an, wie er einst, als Hrubesch bei der Nationalmannschaft nach dem Schweinefleisch fragte.

Dass er jetzt in einer Liga spielt, in der solche Dinge wieder in den Hintergrund rücken, muss er erst noch lernen. „Er wurde jedes Spiel besser“, sagt Büle. „Aber er war am Anfang nicht immer der fleißigste Läufer.“ Im Profifußball hat er seine individuellen Torjägerqualitäten entwickelt. Doch erst bei den Amateuren wird er zu dem kompletten Kollektivspieler, der ligaweit die meisten Tore vorbereitet.
Nach der Saison in Niederndorf lotst ihn Rudi Litz, damals Trainer, heute Sportdirektor, zum FCH. Eine Erfolgsgeschichte beginnt: In 155 Spielen erzielt Stübing 112 Tore, feiert zwei Aufstiege.

„Erwachsen geworden“

Eric Stübing hat seine Vergangenheit hinter sich gelassen. Er bedauert die verpasste Möglichkeit, aber er trauert nicht mehr um sie. Unterhält man sich mit ihm, fallen Sätze wie „Ich bin erwachsen geworden“ und „Jetzt ist alles gut“ oft. Möglichkeiten, es noch einmal höherklassig zu versuchen, gab es in den vergangenen Jahren genug. Beim FC Herzogenaurach aber hat er seine neue Heimat gefunden. Er freut sich, wenn er am Samstagabend die Sportschau einschaltet und Spieler bewundern darf, mit denen er einst kickte. Denen geglückt ist, woran er scheiterte.

Im August vergangenen Jahres möchte Puma einem Amateurverein etwas gestatten, was sonst nur Profivereinen vorbehalten ist: Eine eigene Kollektion, die weltweit vermarktet wird. Die Wahl fällt auf den FC Herzogenaurach. Für Eric Stübing muss das wie eine glückliche Fügung sein, eine herzliche Pointe des Schicksals. Er wird interviewt, ist einer von drei Spielern, die an einem Foto-Shooting teilnehmen. Eines seiner Fotos wird auf der Fotoplattform Instagram zehntausendfach geliked. Sieben Jahre ist es her, dass sein Traum vom Profifußball platzte. Und plötzlich schnuppert er doch noch einmal kurz hinein: in die Fußballwelt der ganz Großen.

Aufrufe: 029.1.2017, 06:02 Uhr
Oliver Koprivnjak (NN Herzogenaurach)Autor