GIESSEN - "Das Jahr 2020 war im Gegensatz zu manchem öffentlichen Eindruck kein gutes Jahr für den Verein", sagte Turgay Schmidt in einer eigens anberaumten Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag im VIP-Zelt im Waldstadion. Dabei widmete sich der vom Amtsgericht eingesetzte Notvorstand des FC Gießen diesmal der Aufarbeitung der finanziellen Situation des Vereins, und dabei insbesondere der von der Sponsoren Offensive GmbH "zu verantwortenden" Schieflage, die der Gießener Rechtsanwalt "mit meinem Team in sehr detailreicher und aufwendiger Akteneinsicht und -Bearbeitung nachweisen konnte".
Der Kern des Ganzen: "Es gab zu keinem Zeitpunkt zwischen der Offensive GmbH und dem FC Gießen eine rechtliche Bindung, um in den Verein einzugreifen." Zumal die namentlich von ihm genannten Gesellschafter Markus Haupt als Geschäftsführer sowie Dr. Kai Braun und Salvatore Cuneo bereits ab 20.1. 2020 tätig geworden seien, das heißt ein Konto eröffnet hatten, die Sponsoren-Gesellschaft aber erst am 1.4. gegründet wurde. Markus Roscher als viertes GmbH-Mitglied ließ Schmidt bei seinen Ausführungen explizit außen vor; Roscher, der auch als Trikotsponsor und für die Security-Organisation zuständig sei, sei "immer kooperativ, unterstütze den Verein auch weiterhin und habe von den geschäftlichen Tätigkeiten auch nichts gewusst. Er ist eher ein Fan des Vereins und der Mannschaft, der sich da weiter engagieren will."
Was aber wirft Turgay Schmidt den Machern der Offensive GmbH vor? "Zu meinem Eintritt als Notvorstand und im Zuge der danach von uns aufgenommenen Tätigkeit, musste ich feststellen, dass der Verein von den Gesellschaftern sukzessive ausgeblutet" worden sei. "Auf allen Konten lag eine Pfändung, Gelder in der Größenordnung von 320.000 bis 350.000 Euro sind von der GmbH vereinnahmt worden." Das heißt, dass auch das am 1.2. 2020 ins Leben gerufene Treuhandkonto, in das die Gesellschafter jeweils 50.000 Euro als Einlage eingezahlt haben und weitere Personen 45.000 Euro, aufgelöst worden und das Geld der Offensive GmbH zugeflossen sei.
Auch die Marketing-Mitarbeiter in der Geschäftsstelle, so habe die Recherche ergeben, hätten Sponsoren angesprochen und dabei "wurde der falsche Eindruck erweckt, sie vertreten den Verein. Die Offensive GmbH nutzte das Logo des FC Gießen, um den Sponsoren vorzugaukeln, sie unterstützen den Verein." Nur zwei der angesprochenen Sponsoren ("einer davon ein Anwalt", so Schmidt) hätten sich die Frage gestellt: Wo ist die rechtliche Grundlage und wo ist die Verbindung zwischen GmbH und Verein? Turgay Schmidt beantwortete die Frage selbst für die anwesenden Journalisten: "Es gab keine." Als er begonnen habe, seien alle zehn Konten des FC Gießen gepfändet gewesen, der Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung, Krankenversicherungs- und Berufsgenossenschaftsanteile ("130.000 Euro sind da als Forderungen zur Vollstreckung aufgelaufen") sowie Versicherungsprämien nicht bezahlt worden. Auch Kosten für ein Analysesystem für die Trainer oder Transfergelder der Spieler seien zum Teil nicht beglichen worden. "Da ploppen immer noch Rechnungen und Forderungen auf", betont Turgay Schmidt, der sich "mit meinem Team" noch nicht am Ende der Arbeit sieht. Auch gebe es keinen Ausrüstervertrag mit Jako, sondern einen Sponsoringvertrag, der über Kontakte zu "Teamsport Frankfurt" und "die Firma Printline von Herrn Cuneo" zustande gekommen sei.