2024-05-10T08:19:16.237Z

Ligabericht
Auch nicht so schön: Schneeregen auf dem Kunstrasen als erster Akt der 14-tägigen Vorbereitung auf den Re-Start.	Foto: PeB
Auch nicht so schön: Schneeregen auf dem Kunstrasen als erster Akt der 14-tägigen Vorbereitung auf den Re-Start. Foto: PeB

Der Fußball, den sie wollen

RL SÜDWEST: +++ Die Regionalliga Südwest GbR will Mammutprogramm ab Dezember durchziehen / Viel Unverständnis bei den Vereinen +++

GIESSEN. Irgendwie ist es wie ein gespielter Witz. Am Tag nach der (offiziellen) Verkündung, dass es in der Fußball-Regionalliga Südwest im Dezember weitergehen wird, kommt der Winter mit Pauken, Trompeten und genug Schnee, um für eine Verlagerung des Gießener Trainings vom Grüninger Rasen auf den Kunstrasen an der Miller Hall zu sorgen. Stimmt, könnte man anmerken, da war doch was. Nennt sich Winter. Und auch, wenn in den vergangenen Jahren Schnee und Eis Mittelhessen nur selten unsicher machten, so hat der Fußball doch nicht umsonst so etwas wie eine Winterpause im Terminkalender stehen.

Nur nicht in diesem Jahr, nur nicht in der Regionalliga Südwest. Die soll, wenn man den exorbitanten Spielplan anschaut, durch zocken. Von Mitte Dezember bis Mitte Juni. Denn nach den drei, für Gießen sogar vier Spieltagen im Jahresende-Monat, geht es am 8. Januar schon weiter. Doch warum der Stress in Corona-Tagen? Hätte es keine Alternativen gegeben? In der Begründung der GbR, mit Sitz in Karlsruhe, heißt es, dass „eine weitere Aussetzung des Spielbetriebes ohne behördliche Vorgabe (...) nicht sachgerecht erscheint, würde doch das Ziel, im Rahmen einer vollständigen Runde Auf- und Absteiger zu ermitteln, gefährdet.“

Sascha Döther, Geschäftsführer der Regionalliga Südwest GbR, wird dazu in der Saarbrücker Zeitung zitiert: „Wir wollen im Januar und Februar so viele Englische Wochen wie möglich einbauen, damit wir die 42 Spieltage durchziehen können.“ Das war übrigens die zweite Fassung des Online-Textes. Zuvor hieß es noch, „damit wir die 42 Spieltage problemlos durchziehen können“. Das hört sich für nicht wenige Vereine, neun der Klubs hatten sich zuvor gegen eine Fortsetzung im Dezember ausgesprochen, dem Vernehmen nach sollen aber mehr dagegen sein, wie eine Drohung an. Und was heißt dieser Tage schon problemlos?

Aus dem Umfeld des FC Gießen hört man schon mal den Begriff „Wahnsinn“. Daniyel Cimen sagte im Gespräch mit dieser Zeitung, er halte „das für eine sehr fragwürdige Entscheidung gegenüber den Menschen und der Gesellschaft, die im Moment in allem so zurückstecken müssen.“ Gino Parson, dienstältester Regionalligaspieler, beim TSV Eintracht Stadtallendorf an Bord, wird konkreter: „Für uns ist es ganz schwer, das einzuordnen. Vieles daran macht keinen Sinn. Ich frage mich, auf welcher Grundlage solche Entscheidungen getroffen werden, ich denke, es hätte andere Lösungsmöglichkeiten gegeben.“ Man sei in Stadtallendorf ratlos: „Ist das der Fußball, den wir wollen? Gegen Ulm auf dem Kunstrasen ohne Zuschauer? Und dann hast du die Pandemie, wir werden getestet und sollen am besten zu zweit im Auto zu den Auswärtsspielen fahren?“

Felix Wiedemann, stellvertretender Geschäftsführer der GbR, ruft am Dienstagmittag zurück, er hat derzeit weder einen leichten Job, noch einen leichten Stand, „natürlich ist das alles sehr schwierig“, gibt er zu. Aber man müsse seitens der Liga schauen, was „verhältnismäßig und sachgerecht“ sei. Und was „das übergeordnete Interesse. Wir haben immer gesagt, dass wir uns den politischen Entscheidungen anschließen müssen.“ Da hat sich die Lage gegenüber dem November insofern geändert, dass in Rheinland-Pfalz die Regionalligisten nun auch dem Profisport zugeordnet wurden und also trainieren und spielen dürfen. Man fragt sich als neutraler Beobachter freilich, woher die Einschätzung des rheinland-pfälzischen Innenministeriums kommt, eine Verlängerung und also de facto Verschärfung der Maßnahmen durch Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten so zu interpretieren, dass in gewissen Bereichen mehr möglich wird ? Das mag verstehen, wer will. Die Regionalliga Südwest jedenfalls verfügt über ein bundesweites Alleinstellungsmerkmal. Sie darf das, was allen anderen in allen möglichen Bereichen verboten bleibt: Weitermachen – und zwar wie vor dem November.

Freilich nicht ganz: Die Mannschaften, Spieler wie Betreuer, müssen sich 24 Stunden vor den Spielen testen lassen. Und das auch noch selbst bezahlen. Geht man von 25 zu testenden Personen aus, kommen dabei 250 Euro raus. Pro Spiel. Das mag den besser betuchten TSV Steinbach Haiger nicht sonderlich belasten, aber für den FC Gießen oder Eintracht Stadtallendorf sind (bei vier Spielen) 1000 Euro mehr oder weniger in der Dezember-Tasche ein durchaus relevanter Faktor. „Ich meine, wir haben ja auch keine Zuschauer“, ergänzt Parson. Nur Kosten, keine Einnahmen. Heißt das.

Dieter Bühler, der Vorsitzende des Bahlinger SC, schreibt in einem offenen Brief: „Im Dezember und Januar müssen wir acht Spiele ohne Zuschauer austragen. Da kann sich jeder ausrechnen, was dem BSC (in der vergangenen Saison mit einem Schnitt von 1400 Zuschauern, d. Red.) am Ende fehlt.“ Willi Kempf, Vorsitzender von Astoria Walldorf, wird ebenfalls deutlich: „Dass bei den großen verschärften Einschränkungen der Amateurfußball weiter betrieben werden darf, dafür habe ich kein Verständnis. „Unsere Spieler, die nur abends trainieren“ und Schüler, Studenten oder Lehrlinge seien, „sind einer größeren Ansteckungsgefahr ausgesetzt als Spieler von Profiklubs.“

Wobei Felix Wiedemann da einhaken würde, denn für ihn ist „die Regionalliga eine Übergangsliga, es gibt Vereine mit professionellen Strukturen und eben welche, die eher dem Amateurlager zuzurechnen sind.“ In solch heterogenen Spielklassen sei es „sehr schwierig, allen gerecht zu werden, alle haben ihre Gründe, wir kennen die verschiedenen Meinungen der Vereine natürlich nur zu gut.“

Auch die des FC Homburg oder der Offenbacher Kickers, die dezidiert in eine andere Richtung gehen. OFC-Geschäftsführer Thomas Sobotzik äußerte gegenüber der „Offenbach Post“: „Der Verband hat gute Vorarbeit geleistet. Wir machen das mit.“ Er sei froh, dass es weitergehe, mit der wenig kompromissbereiten Anmerkung: „Wir haben das Tauziehen gewonnen.“ Droht bei solchen Äußerungen eine Spaltung der Liga? Auch angesichts der Tatsache, dass der TSV Steinbach Haiger prüft, juristische Schritte gegen den Re-Start im Dezember einzulegen? Zudem kursiert ein Schreiben, in dem sich die Vereine solidarisieren sollen, um gegen den Re-Start vorzugehen.

Während also die Regionalliga Nord in zwei Elfer-Staffeln spielt, mit anschließender Auf-und Abstiegsrunde, in Bayern erst einmal die alte Spielzeit 2019/2020 ab Februar zu Ende gebracht werden soll und die Regionalliga West den Vorteil nutzt, alle Vereine in einem Bundesland zu haben, aber immerhin ab 19. Dezember vier Wochen pausiert, wird die Südwest-Staffel ab dem 11. Dezember zu einem heiklen Experimentierfeld. „In planungsunsicheren Zeiten der Corona-Pandemie sind in allen möglichen Bereichen alternative Lösungen notwendig, um sämtlichen Eventualitäten vorzubeugen“, heißt es seitens des Deutschen Fußball Bundes zu der Möglichkeit, Ligen aufzuteilen, um für Entlastung der Vereine zu sorgen. Im Südwesten ist das offenbar nicht angekommen.

Aufrufe: 01.12.2020, 19:00 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor