2024-05-02T16:12:49.858Z

Spielbericht

Feenstaub für Männer und drei Punkte

Das Spiel ist noch gar nicht angepfiffen, da steht es schon 1:0. Die TuS Mechernich ist einfach stimmgewaltiger als ihr Gegner – und das, obwohl der FC Germania Lich-Steinstraß Heimvorteil hat. Beim Gesang der Eifeler schwingt vor dem Bezirksliga-Nachholspiel eine gehörige Portion Trotz mit – das wird sich im Verlauf des Abends noch ändern.

Erst zwei Punkte auf fremden Plätzen hat die Mannschaft von Guido Mertens in dieser Saison geholt. So wenig wie keine andere. Das soll sich ändern. Am besten in den kommenden 90 Minuten, am besten beim Lieblingsgegner. Viermal hat die TuS bisher gegen die Germania gespielt, viermal hat sie gewonnen. „Wir werden hier unser TuS-Gesicht zeigen, mit breiter Brust spielen und kämpferisch alles geben. Ehrliche Arbeit wird belohnt“, sagt Trainer Mertens.

Zu diesem Zeitpunkt sind die kölschen Klänge aus den kleinen, bassstarken Boxen längst verstummt, der Trotz der Konzentration und dem Willen gewichen. Die Spieler starren auf den Boden, saugen die Worte ihres Trainers förmlich auf. Als der Übungsleiter sagt: „Der Gegner ist nicht besser als wir, auch wenn er ein paar Punkte mehr hat“, nicken die Kicker zustimmend. Die schonungslose Analyse der Situation („Wir haben erst 22 Tore geschossen. Das ist zu wenig. Das ist der Grund, warum wir unten drinstehen. Uns fehlt die Kaltschnäuzigkeit.“) wird durch einen Spruch unterbrochen, der zeigt, wie innig das Verhältnis zwischen Trainer und Team ist und kein Lippenbekenntnis ist. „Das ich so lange bei euch aushalte, hätte ich nicht gedacht. Dass ihr mich so lange aushaltet, aber auch nicht. Ich bin auch im sechsten Jahr stolz Teil dieser Mannschaft zu sein“, sagt Mertens, der in der A-Jugend bei Bayer Leverkusen gespielt hat, sogar schon einen Vorvertrag unterschrieben hatte.

Seine Mannschaft spricht er immer wieder mit „Freunde der Nacht“ an. Ob das doppeldeutig gemeint ist, weil das Team ein verschworener Haufen ist, das einen Kegelclub gegründet hat und regelmäßig gemeinsam die Nacht zum Tag macht? Das lässt Mertens offen, sagt aber: „Eine solche Truppe ist Fluch und Segen zugleich. Jeder geht für jeden durchs Feuer. Die Jungs kennen aber auch jede Veranstaltung und jede Party im Kreis Euskirchen.“

Das Spiel ist wenige Minuten alt, da jubelt die TuS erstmals. Marcus Georgi hat mit einem sehenswerten Tor die Führung erzielt. Es ist Georgis vierter Treffer im dritten Spiel in Lich-Steinstraß. Auch die zweite Chance nutzen die Gäste eiskalt. Direkt vor den Augen des Trainers spielt Jens Honnef in den Lauf von Guilio Manganiello. Der sieht Lukas Lebert. 2:0. Mertens jubelt nur kurz. Er beginnt lieber sofort mit dem Coaching, dreht an kleinen Stellschrauben. Und ermahnt seine Auswechselspieler in der Coachingzone zu bleiben. Die Akteure waren im Rausch der Emotionen aufs Spielfeld gelaufen. Eine solch überschwängliche Gefühlsregung wird von Unparteiischen nicht gerne gesehen.

In der 13. Minute beweist Mertens, dass Bezirksliga-Trainer Alleskönner sind. Torschütze und Lich-Steinstraß-Schreck Georgi ist verletzt, muss mit Schmerzen im Oberschenkel ausgewechselt werden. Mertens greift zum Allheilmittel im Hobbyfußball: dem Eisspray, eine Art Feenstaub für große Jungs. Entsprechend wird auch Georgis Oberschenkel von Mertens mit der Kälte aus der Dose – mit der gefühlt jede Verletzung vom offenen Bruch über Schürfwunden bis Gehirnerschütterungen behandelt werden – eingesprüht. Für den Torschützen geht es trotz des beliebten Wundermittels nicht weiter. Für Georgi kommt Daniel Jansen, als Torschütze springt Tobias Groß in die Bresche und markiert mit der dritten Chance den dritten Mechernicher Treffer – Wahnsinn. Von wegen fehlender Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor. Da die Gastgeber mit einem sehenswerten Tor kurz vor der Halbzeit den Anschluss schaffen, geht es mit 3:1 für die TuS in die Kabine.

Auf dem Weg dorthin beweist Mertens wieder, dass ein Trainer Allrounder sein muss. Er wird zum Wasserträger und trägt die Getränkeflaschen. In der Kabine ist es dann Abwehrspieler Kevin Mießeler, der zuerst das Wort ergreift. Er lobt, kritisiert und motiviert. „Wir haben geile 45 Minuten gespielt. Wir nehmen die Punkte heute mit“, ruft er. Den Rest der Analyse übernimmt der Coach: sachlich, präzise, bestimmt.

Nachdem die Sonne untergegangen ist, geht der Stern von Andre Beaujean auf. Mit seinem Treffer unmittelbar nach dem die Platzherren auf 2:3 verkürzt haben (ein Treffer Marke „Tor des Monats“) beruhigt er die TuS-Nerven und trifft zum 4:2. Später lässt der 19-Jährige sein zweites Tor unter Flutlicht an diesem Abend folgen. Damit ist das Spiel entschieden, auch wenn den Platzherren in der Nachspielzeit ein weiteres Traumtor gelingt. 5:3 für Mechernich heißt es nach 90 Minuten.

Etwa 20 Minuten zuvor hat Mertens seine Auswechselspieler zum Warm machen geschickt. Auch der angeschlagene Tobias Lebert muss mitmachen. Nicht, weil Mertens ihn einwechseln will, sondern weil der verletzte Abwehrchef ihm mit seiner Nervosität auf die Nerven geht. Am Spiel seiner Mannschaft hat er derweil wenig auszusetzen. Lediglich die Konter könnten ein bisschen zielstrebiger ausgespielt werden – am Ende geschenkt.

Wichtiger ist der erste Auswärtssieg der Saison, der den Vorsprung auf die Nichtabstiegsplätze auf vier Punkte vergrößert. Das wird lautstark besungen – ohne Trotz, dafür mit viel Euphorie und Pathos. Schließlich geht es in dem Lied, das die Kabine zum Wackeln bringt, um die Wand in der Vereinsfarbe rot, die hinter einem steht – in guten wie in schlechten Zeiten. An diesem Abend in Lich-Steinstraß sind es die guten.

von Tom Steinicke

Aufrufe: 024.4.2019, 08:49 Uhr
Rocco BartschAutor