2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Kicken auf dem Bolzplatz ist für Max Rabe (Mitte) sein Traumjob. Als Fußball-Streetworker kann er den Kindern mehr vermitteln, als Taktik und Technik. Foto: Christoph Seidl
Kicken auf dem Bolzplatz ist für Max Rabe (Mitte) sein Traumjob. Als Fußball-Streetworker kann er den Kindern mehr vermitteln, als Taktik und Technik. Foto: Christoph Seidl

Fußball-Streetworker Max Rabe: „Die Kinder erkennen mich auf der Straße“

Bezirksliga-Torjäger ist ein Sozialarbeiter mit Ball

Max Rabe kennen die meisten, wenn er für den FC Alte Haide auf Torejagd geht. Für viele Kinder und Jugendliche ist er allerdings auch der „große Bruder“.

Max Rabe liebt den Fußball. Das ist bei ihm keine Floskel. Den Tag nach der Hochzeit verbrachte seine Frau auf dem Sportplatz. Von einer Reise nach Togo flog der 30-Jährige fünf Tage früher zurück. Er wollte nicht zwei Spiele seiner Mannschaft am Stück verpassen. Max Rabe könnte erzählen, was es ihm bedeutet, für den FC Alte Haide - DSC München zu spielen. Wie es sich anfühlt, vier Tore in einem Bezirksliga-Spiel zu schießen, wie am Wochenende gegen Türk Ingolstadt. Max Rabe könnte erzählen, warum er trotz höherer Angebote den Verein nie gewechselt hat. Doch wenn es um Fußball geht, ist seine eigene Karriere für Max Rabe Nebensache. Er kümmert sich Vollzeit um Kinder und Jugendliche. Als Trainer und Organisator arbeitet er für die Non-Profit-Organisation buntkicktgut. Auf Bolzplätzen treffen junge Menschen verschiedener kultureller, sozialer, ethnischer und religiöser Herkunft zusammen. In München treffen sie dort auf Max Rabe. Für die Jugendlichen ist der Bezirksliga-Stürmer wichtiger, als die Vorbilder aus der Bundesliga.

Herr Rabe, mit einem Uniabschluss in Sport- und Eventmanagement bewerben sich Studenten beim FC Bayern. Warum war das nicht Ihr Ziel?

(lacht) Ich bin Fan von Olympique Marseille und den Löwen. Nach dem Studium bin ich ein Jahr bei den Ultras von Olympique zu jedem Heim- und Auswärtsspiel gefahren. Als ich zurück in Deutschland war, kam für mich nur ein Job bei buntkicktgut in Frage. Ich bin dort seit meinem Zivildienst dabei. Das ist ein Traumjob.

Was ist das Besondere daran, mit Kindern auf dem Platz zu stehen, die oft schwere Schicksalsschläge erlebt haben?

Ich bin leidenschaftlicher Fußballer. Und die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gibt mir sehr viel. München ist meine Heimat. Aber mit den Kids bin ich ständig unterwegs. Wir waren mit ihnen zum Kicken in Togo und in Südtirol. Ohne den Fußball würden die Kinder nie aus ihrem Viertel rauskommen. Diese Erlebnisse kann mir kein anderer Job geben. Mit drei jungen Spielern war ich zuletzt bei den Löwen. Die Kleinen kommen alle aus Giesing. Wenn die mit dir in der Westkurve stehen und den TSV 1860 anfeuern, ist das unbeschreiblich.

Sprechen Sie auch mit den Spielern über Ihre Erlebnisse und Probleme?

Wenn einer auf mich zukommt, höre ich zu und bin für ihn da. Aber das kommt gar nicht so oft vor. Wenn die Jungs auf dem Platz stehen, müssen sie an nichts mehr anderes denken. Dann gibt es nur noch Fußball. Es gibt keinen Krieg mehr, keine Probleme zu Hause. Es gibt nur noch den Fokus auf das Spiel. Dieser Sport braucht keine Sprache. Jeder kennt die Regeln. Bei meinem Training hat gestern ein Erwachsener aus dem Senegal zwei Kinder aus Ungarn mitgebracht. Die durften natürlich sofort bei der Gruppe mitzocken.

Sind Sie Trainer oder Kumpel für die Spieler?

Bei buntkicktgut habe ich die Rolle als großer Bruder. Ich habe bestimmt schon 4000 Kids trainiert. Ich bin selbst Straßenkicker und habe als Kind jeden Tag mit meinen Freunden gezockt. Ich kenne in München jeden Bolzplatz. In meinem Viertel erkennen mich die Kinder und Jugendlichen auf der Straße. Das ist ein cooles Gefühl.

Geht es beim Training nur um den Sport?

Nein. Ich will meinen Spielern Dinge vermitteln, die im Leben wichtig sind: Pünktlichkeit, Respekt und ein fairer Umgang miteinander. Die Spieler verwalten ihre Liga selbst. Sie sollen Verantwortung übernehmen. Ich habe Spieler in der U13 betreut, die inzwischen selbst Trainer sind. Viele kicken nicht nur, sie sind auch Schiedsrichter. Dass ich diese Entwicklung begleiten darf, macht mich schon stolz.

Wie sehen die Schattenseiten aus? Auf dem Platz treffen Kinder aufeinander, die Schreckliches erlebt haben und oft Aggressionen in sich tragen.

Als Trainer muss ich mit den Jungs unglaublich viel sprechen. Klar gibt es bei uns auch mal eine Schlägerei oder Beleidigungen auf dem Platz. Aber dafür haben wir den Ligarat. Dort kommen unsere Schiedsrichter zusammen. Die Konfliktparteien müssen zuvor einen Brief schreiben. Solange der nicht geschrieben ist, bleiben alle Spieler gesperrt und dürfen nicht zum Ligarat. Die Schiris entscheiden dann über die Konsequenzen. Wenn ein Spieler zum Beispiel einen Schiedsrichter beleidigt hat, muss er selbst eine Schiedsrichterprüfung absolvieren. Einen Schiri zu beleidigen, ist einfach. Wenn sie selbst erleben, wie schwer es ist, ein Spiel zu pfeifen, fangen die Jungs aber an, über ihr Verhalten nachzudenken.

"Ich stand am Tag nach meiner Hochzeit im Anzug in der Kabine. Wir haben gewonnen und ich habe zwei Buden gemacht."

Viele Spieler stecken mitten in der Pubertät. Wie schaffen Sie es, diese Altersklasse zu motivieren?

Wenn ich im Training sage: „Jungs. Treffpunkt ist Sonntag um 7:30“, jammern erst einmal alle. „Max, warum so früh? Ist doch keine Schule!“ Aber wenn ich unter der Woche dann jemanden auf der Straße treffe, ist er heiß. „Max! Ich kann kaum erwarten, bis es endlich Sonntag ist!“ Viele meiner Spieler sind noch nie Zug gefahren. Für sie ist es ein Höhepunkt im Leben, wenn sie nach Mallersdorf dürfen.

Was bekommen Sie von den Spielern für Ihr Engagement zurück?

Die größte Bestätigung ist die Teilnehmerzahl im Training. Wenn 40 Kinder auf dem Platz stehen, merkt man: Das kommt gut an, was du machst. Ich bin zum Beispiel vor ein paar Jahren zum Domagkpark gezogen. Ich habe dort viele Teams von der U11 bis zur U17 neu aufgebaut. Am Anfang waren wir unendlich schwach. Aber wenn du siehst, welche Sprünge die Jungs in kurzer Zeit machen, ist das der Wahnsinn. Fußballerisch und auch menschlich. Diese Entwicklung begleiten zu dürfen, gibt mir unendlich viel. Als Trainer mitzuerleben, wie diese Jungs abgehen, wenn sie ein Turnier gewinnen, ist unbeschreiblich.

Eine Mannschaft zu betreuen, kostet sehr viel Energie. Wie schaffen Sie es, jede Woche unzählige Teams zu trainieren?

Natürlich ist der Job anstrengend und die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen oft schwierig. Ich hatte auch schon eine Phase, in der mir alles zu viel wurde. Ich war Stammspieler beim FC Alte Haide, habe dort noch die A-Jugend trainiert und für buntkicktgut gearbeitet. Ich musste dann die U19 abgeben. Ich mache alles in meinem Leben ganz oder gar nicht.

Für Fußball-Spiele Ihrer Mannschaft brechen Sie deshalb auch mal den Urlaub ab.

(lacht) Ich bin von der Reise nach Togo mit buntkicktgut früher zurückgekommen. Ich hätte sonst in der Rückrunde zwei Spiele am Stück gefehlt. Das geht gar nicht. Ich bin ja auch Co-Trainer der Mannschaft und möchte vorleben, wie wichtig mir der Fußball und das Team sind.

Muss ein Stürmer dafür auch am Tag nach der Hochzeit auf dem Platz stehen?

(lacht) Meine Frau kennt mich nicht anders. Wir hatten ein wichtiges Spiel gegen den ASV Dachau. Ich habe sogar vergessen, Ersatzklamotten mitzunehmen. Ich stand am Tag nach meiner Hochzeit im Anzug in der Kabine. Wir haben gewonnen und ich habe zwei Buden gemacht. Es hat sich gelohnt.

Aufrufe: 04.9.2019, 12:25 Uhr
Münchner Merkur / Christoph SeidlAutor