2024-04-25T14:35:39.956Z

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"Unsere Farben, die wir tragen – schwarz und blau": Die Rangierbahnhof Ultras (vordere Reihe) im Relegations-Dauerstress. F: Michael Matejka
"Unsere Farben, die wir tragen – schwarz und blau": Die Rangierbahnhof Ultras (vordere Reihe) im Relegations-Dauerstress. F: Michael Matejka

Wunderkerzen statt Pyrotechnik

Alltag in der A-Klasse - Teil 25: In der A-Klasse ist die Relegation ein Vergnügen, vor allem für den ESV Rangierbahnhof II

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Sie war ja nie weg, die A-Klasse. Wir hatten sie hier nur versteckt, eine Saison lang. Jetzt sind wir wieder dort, auf holprigen Wiesen, bei den Jungs mit den schweren Knochen, bei denen, die lieber nächtelang feiern gingen als ins Fußballinternat. Eine Liebeserklärung an die ehrlichste Fußball Liga Nürnbergs, die immer noch nicht in der Sommerpause ist.

Platzsturm, Pyrotechnik, Sitzschalenweitwurf und Mannschaften, die vor lauter Angst um die Existenz Beamtenmikado spielen - wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Die Relegation ist zuletzt etwas in Verruf geraten, weil sich der Fußball dort gerne mal von seiner hässlichen Seite zeigt.

Zumindest, wenn es um den Profi-Fußball geht. Für die A-Klasse gilt das natürlich nicht, hier ist die Welt ja noch in Ordnung. Ein Platzsturm lohnt nicht, wenn sich nicht irgendwann das Unterstützungskommando in den Weg stellt, bevor es ernst wird. Sitzschalen gibt es an den meisten Sportplätzen, die ihren Rasen für ein A-Klassenspiel zur Verfügung stellen, nicht, und Pyrotechik macht am Nachmittag bei 28 Grad im Schatten auch nur halb so viel Spaß.

Wobei, davon lassen sich die Rangierbahnhof Ultras an diesem hochsommerlichen Tag Mitte Juni nicht abhalten. Eine Trommel haben sie mitgebracht, sie haben vor Spielbeginn Luftballons an der Bande aufgehängt und irgendwann entzünden sie auch die Feuerwerkskörper, die sie dreist an den Ordnern vorbeigeschmuggelt haben. Ein Stadionverbot müssen Tim und seine Freunde dennoch nicht fürchten: Bei der Pyrotechnik handelt es sich um ein paar Wunderkerzen. Bei dem Relegationsspiel, dass die Jungs an diesem Tag verfolgen, handelt es sich nicht um einen Existenzkampf, es geht lediglich um die Berechtigung, in der kommenden Spielzeit in der Kreisklasse anzutreten.

Dass das der ersten Mannschaft des ATV 1873 Frankonia nicht vergönnt sein wird, wird an diesem Samstag recht bald ersichtlich. Die zweite Mannschaft des ESV Rangierbahnhof fühlt sich von den Sprechchören ihrer kleinen aber lauten Anhängerschaft offenbar zusätzlich motiviert, in der zehnten Minute geht der vermeintliche Außenseiter durch ein Kopfballtor von Antonio Longo in Führung, nur eine Minute später erhöht Steven Lange mit einem Traumtor auf 2:0, recht bald hat sich der ATV damit abgefunden, dass sie aus einer völlig missratenen Saison auch in der Relegation keine gelungene mehr machen können. Bis zur Halbzeit müssen sie drei weitere Treffer hinnehmen, am Ende steht es 7:0 für den Dritten der abgelaufenen A-Klassen-Spielzeit. „Das war heute kein Gegner für uns“, sagt Thomas Steuber, der Trainer, ohne jegliche Arroganz in der Stimme. Gerade hat er seine Fußballer noch einmal zusammengerufen, sie sollten sich bei den unermüdlich singenen Ultras bedanken. Zwei Tage zuvor hatten Tim und seine Freunde bereits versucht, die erste Mannschaft des ESV eine Runde weiter zu trommeln, doch es blieb beim Versuch, weil das Team an Mögeldorf (Artikel unten) scheiterte. Rangierbahnhofs Reserve macht es da deutlich besser, wobei der Begriff „Reserve“ nicht ganz stimmig ist. „Wir betrachten uns immer noch als autarke Mannschaft“, sagt Steuber und bekommt von den treuen Anhängern noch etwas alkoholfreien Kindersekt und Wasser über den Kopf geschüttet. Relegation eben.

Vor zwölf Jahren hat er diese Mannschaft gegründet, sie hat als Hobbymannschaft begonnen, inzwischen ist sie von der B-Klasse in die A-Klasse aufgestiegen und schickt sich nun sogar an, mit der Ersten des Vereins gleichzuziehen. „Das“, sagt der Trainer und Wirt der Vereinsgaststätte über den deutlichen Erfolg in der ersten Relegationsrunde, „ist das Schönste, was wir bisher erleben durften“.

Viel mehr als Fußball

Fußball ist für Steuber und sein Team vielmehr als 90 Minuten auf dem Rasen zu stehen und an guten Tagen einen Kreisklassisten mit 7:0 abzufertigen. „Ich habe die Jungs seit zwölf Jahren erzogen“, sagt er. „In allen Lebensbereichen.“ Steuber ist Lehrer an einer Mittelschule, seinen Fußballern versucht er nicht nur einen ordentlichen Angriff über die Außenbahn beizubringen, er berät sie auch bei Fragen der Berufswahl oder wenn mal wieder eine Beziehung in die Brüche geht. Er will Vorbild sein, weshalb es ihm auch ein wenig peinlich ist, dass der Zeitungsredakteur bemerkt hat, wie sich Steuber 20 Minuten vor Spielschluss einen Schnaps genehmigt hat. Eine Art Wette, sagt er, an diesem Tag muss das mal erlaubt sein.

Vielleicht darf er sich auch am Dienstagabend noch einen genehmigen. Ab 18.30 Uhr kämpfen seine besonderen Fußballer auf der Anlage des ESV Flügelrad in der zweiten Relegationsrunde gegen den KSD Hajduk ein zweites und letztes Mal um den Aufstieg in die Kreisklasse. Die Rangierbahnhof Ultras werden dann bestimmt auch wieder da sein.

Aufrufe: 013.6.2017, 15:58 Uhr
Sebastian GloserAutor