2024-04-25T14:35:39.956Z

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Und dann macht einer für immer das Licht aus: Der Sportplatz der DJK Bayern an seinem letzten Einsatzabend als Sportplatz. F: Zink
Und dann macht einer für immer das Licht aus: Der Sportplatz der DJK Bayern an seinem letzten Einsatzabend als Sportplatz. F: Zink

Wenn mit dem Fußballverein ein Stück Kindheit geht

Die DJK Bayern ist insolvent. Viele Spieler sind mit dem Verein aufgewachsen und erwachsen geworden – sogar Heiratsanträge gab es hier

Der Traditionsverein DJK Bayern ist Geschichte. Am Dienstagabend fand ein letztes Trainingsspiel statt, dann ging das Licht aus – für immer. Für Spieler und Ehemalige ein Schock, denn der Verein war mehr als nur Fuß­ball. Es ging um Begegnungen, Freundschaften und das Erwachsen­werden.

Für einen kurzen Moment unter­bricht Hasan das Gespräch. Er schaut rüber zu Michael Vogl. Der 34-jährige Vogl steht da ein bisschen abseits, am Trainingsgelände der DJK Bayern, sein Blick schweift über das Spielfeld zwischen zwei Wohnblocks. Verein­zelt brennt dort Licht. „Hey Michael“, ruft Hasan. „Dir kommen gerade Erin­nerungen hoch, oder?“Vogl schaut nur kurz rüber. Seine Augen unter der gepiercten Augenbraue sind glasig. Er lächelt milde und wendet seinen Blick wieder aufs Spielfeld der DJK, das zwischen der Theodor-Heuss-Brücke und der Pegnitz liegt und mit dem wohl jeder Nürnberger Fußballer irgendetwas verbindet.

Vogl schaut ein letztes Mal bei sei­ner DJK zu. Für ein Trainingsspiel haben sie sich am Dienstagabend noch einmal getroffen. Dann gehen hier die Lichter endgültig aus. Der Traditionsverein am Wiesengrund ist pleite. Am Mittwochmorgen um kurz vor neun wurde der Stromzähler abge­baut. Es ist das Ende einer jahrelan­gen Misswirtschaft. Schon im Herbst 2015 waren sie kurz vor der Insolvenz, die Einstellung des Spielbetriebs konnte jedoch noch einmal abgewen­det werden. Jetzt aber müssen sie der bitteren Realität ins Auge blicken. Zu erdrückend sind die Altlasten auf dem Vereinsgelände, eine Verbandssperre, und die Steuernachforderungen des Finanzamts. „Wir konnten den Betrag einfach nicht mehr stemmen“, sagt ein spürbar geknickter Abteilungslei­ter Gamal Keblawi. In fünf Jahren hät­ten sie hier 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Doch daraus wird jetzt nichts mehr.

„Es war eine Anlaufstelle. Es ist, als würde eine Familie kaputt gehen.“

Keblawi steht im matschigen Rasen an der Ecke des Spielfelds und ver­sucht zu beschreiben, wie sich die letz­ten Tage angefühlt haben. „Die Spie­ler haben wir am Sonntag informiert. Es war hart. Ich habe fast kein Wort rausgebracht“, sagt Keblawi. Noch in der Nacht verfasste er eine Meldung für die Pressevertreter. „Ich lag im Bett, als ich das geschrieben habe. Da habe ich die eine oder andere Träne verdrückt. Wenn ich nachher das Flut­licht ausmache, wird das ein ganz emo­tionaler Moment.“ Die Spieler wollen geschlossen zu einem anderen Verein wechseln. Sie sind eine Gemeinschaft hier. Bei der DJK ging es nicht nur um Fußball. Es ging um Begegnungen, um gemeinsa­mes Feiern, um Freundschaften. „Es ist wie ein Zuhause gewesen. Wenn man mal nicht wusste, was man machen soll, ist man Freitagabends immer hier runtergekommen. Wir saßen hier immer zusammen, haben gekartelt oder was anderes unternom­men“, sagen die Spieler, die schon län­ger dabei sind und Keblawi ergänzt: „Es war eine Anlaufstelle. Es ist, als würde eine Familie kaputt gehen.“ Es gab ja nicht nur die Herrenmann­schaften. Auch Jugendteams und lan­ge auch die Damenmannschaft. „Hier unten am Vereinsgelände haben sich Paare gebildet, es gab sogar Heiratsan­träge“, sagt Hasan, der jahrelang für die DJK gespielt hat und sich auch als Trainer im Verein engagiert hat. Stolz zeigt er ein Bild von einem Erfolg sei­ner Jugendmannschaft. Das Aus sei aber vor allem auch schade für die vie­len Kinder, die im Sommer regelmä­ßig auf dem Vereinsgelände auf dem kleinen Nebenplatz gespielt hatten. „Wenn die Eltern draußen am Pegnitz­ufer gegrillt haben, wussten sie, dass ihre Kinder bei uns gut aufgehoben sind. Sie brauchten sich keine Sorgen machen“, sagt er. Oft haben sie am Vereinsgelände gegrillt. „Der Wiesin­ger war auch mal dabei. Er ist vorbei­gejoggt und wollte nur kurz bleiben. Am Ende ist es drei Uhr nachts gewor­den“, sagt Maurice, ein aktiver Spie­ler der DJK.

Das Trainingsspiel ist heute nur Nebensache. Oben unter den Holzpali­saden stehen die gemeinsam geteilten Erlebnisse und Erinnerungen im Vor­dergrund. Einige ehemalige DJKler haben vom Aus gehört und wollten dabei sein, wenn bei ihrem Verein das Licht ausgemacht wird. So wie Andy, der von 1995 bis 2012 im Verein gespielt hat. „Ich habe meiner Frau nur gesagt, ich bin unten bei der DJK. Sie hat überhaupt nicht nachgehakt und mich gehen lassen. Sie weiß, dass der Verein zu meinem Leben gehört“, sagt der 26-Jährige und zeigt auf den gegenüberliegenden Spielfeldrand: „Da drüben habe ich gewohnt, direkt hinter der Anzeigetafel.“ Viele Erinne­rungen kommen hoch: „Als Kinder haben wir da immer ein Loch im Zaun gefunden. Da gab es eine Sprenkelan­lage und wenn man mal nicht ins Bad durfte, ist man da immer hin und hat die angemacht. Das hat der Vorstand damals natürlich nicht so gerne gese­hen. Aber die wussten ja auch immer, wer es war“, sagt Andy.

Man spürt, dass sie noch an dem Klub hängen, mit dem sie aufgewach­sen sind, mit dem sie ihre Jugend ver­bracht haben und mit dem sie erwach­sen geworden sind. „Ohne die DJK hätte ich 90 Prozent meiner Freunde nicht“, sagt der 27-jährige Rene, der beste Freund von Andy. Kennenge­lernt haben sich die beiden natürlich bei der DJK, wo sonst. „Wenn ich mal so darüber nachdenke, dann hätte mein Leben wahrscheinlich einen komplett anderen Verlauf genommen, wenn ich hier nicht angefangen hätte, Fußball zu spielen“, sagt er.

Die beiden blicken zurück. Auf die gemeinsamen Jahre, auf die schönen Momente. Einer davon war zweifelsoh­ne der Aufstieg 2011, als die DJK in die Kreisklasse aufgestiegen ist. „Wir haben ja immer in der B- und A-Klas­se rumgedümpelt. Unsere Generation hat den Aufstieg geschafft. Das war einmalig“, sagt Andy. Auch Susanne Schäffer war damals dabei. Sie ist Anfang 40 und hat jahrelang in der Damenmannschaft gespielt. „Mein Ex-Mann und ich haben nach dem Aufstieg damals einen Pool aufge­stellt, weil das Schwimmbad zu voll war, wisst ihr noch?“, fragt sie die bei­den Jungs. Andy und Rene kennt sie, seit diese mit dem Fußball angefangen haben. „Es fehlt nur noch, dass ich sie gewickelt hätte.“ Auch ihr fällt der Abschied schwer: „Egal ob es mal Streit gab oder man mal länger nicht mehr da war. Hier war man immer willkommen. Das war einfach schön“ Viele Feste haben sie zusammen gefei­ert. Fasching, Weihnachtsfeiern. Auch oben, im ersten Stock des Ver­einsheims, in dem die Tischtennisab­teilung beheimatet ist – beziehungs­weise war.

“Ohne die DJK hätte ich 90 Prozent meiner Freunde nicht.“

Auch dort haben sie sich am Diens­tagabend ein letztes Mal versammelt, im Stuhlkreis wird in der kleinen Hal­le darüber debattiert, wie es weiterge­hen soll. Drei Mannschaften hatten sie hier noch nie. Es lief gut, doch auch hier geht morgen das Licht aus. „Im Dunkeln kann man schlecht spie­len“, sagt einer. Auch hier steht ein geschlossener Wechsel im Raum. Nur wohin? „Ich gehe nicht zu Johannis. Da war ich mal und da wollte keiner zählen. Was ist das denn für ein Ver­ein“, sagt ein anderer. Hasan von den Fußballern lehnt daneben, an einer Tischtennisplatte und denkt an die vie­len Feste, die sie hier gefeiert haben. „Man kriegt Gänsehaut, wenn man da in die Vergangenheit zurückblickt.“ Draußen stehen sie noch immer, trinken Bier und reden. Auch Michael ist gekommen. Er war lange Torwart hier. Einst hat er hier ein Abschieds­spiel bekommen, inklusive „Standing Ovations“. „Meine Großeltern waren hier bei jedem Spiel. Die gibt es jetzt nicht mehr. Aber das verbindet mich einfach stark mit diesem Klub“, sagt er. Jeder hat hier seine Geschichte mit der DJK zu erzählen. Viele haben den Klub auch mal gewechselt. Fast immer aber sind sie wieder zurückge­kehrt. Einige konnten aus Zeitgrün­den nicht mehr so oft kommen wie frü­her. Die Prioritäten verschieben sich halt.

Die Frau, die Kinder, andere Ver­pflichtungen. „Irgendwie fühlt es sich an, wie wenn ein geliebter Mensch alt geworden ist und du dir denkst: Mensch, warum bin ich nicht öfter hier gewesen“, sagt Andy. „Ja, klar“, sagt Rene, „irgend etwas kam immer dazwischen. Aber wir wussten alle, dass dieser Tag kommen wird.“ Der Tag an dem es nicht mehr wei­tergehen wird für die DJK. Das letzte Trainingsspiel ist jetzt auch vorbei. Die beiden Freunde bleiben noch ein bisschen. Dann geht das Flutlicht aus. Für immer. Das war es dann mit der DJK.

Aufrufe: 09.2.2017, 09:58 Uhr
Micha SchneiderAutor