2024-05-29T12:18:09.228Z

Halle
Die Mädels des 1. FC Nürnberg haben sich für das Bezirksfinale qualifiziert. Für das der Jungs (F.: Markus Essler).
Die Mädels des 1. FC Nürnberg haben sich für das Bezirksfinale qualifiziert. Für das der Jungs (F.: Markus Essler).

Die wilden Mädels vom Club

Beim FCN spielen die U15- und U13-Girls fast nur gegen Jungs und bringen die zur Ver­zweiflung

Die Fans sitzen und stehen, ganz links. Mütter, Väter, Geschwister, alle wollen sie dabei sein bei der Premiere ihrer Fußballerinnen. Der Nürnberger Anhang ist der stimmgewaltigste, der emotionalste in der engen Realschul-Turnhalle. Und auch die meisten anderen Besucher in Herrieden merken am Sonntagvormit­tag schnell, dass es ein ganz besonde­res Turnier werden könnte. Sogar eines für die Geschichtsbücher.

Im dritten Spiel des Tages treffen die U13-Mädchen des 1. FC Nürnberg auf die U13-Jungs des SV 73 Nürn­berg- Süd. Erst auf den zweiten Blick kein Spiel wie viele andere. Beide Mannschaften trennen sonst Welten. Bezirksoberliga gegen Kreisklasse. Auch die anderen Teilnehmer treten, bis auf den TSV Schopfloch, in der Freiluftrunde in anderen, in höheren Ligen an. Während der zwölf Minuten unterm Dach verschwimmen die nomi­nellen Unterschiede aber. "Die spielen einfach als Mannschaft, vor, zurück, vor, zurück.“

Als Kapitänin Tessa Groitl ihren Club mit einem souverän verwandel­ten Siebenmeter in Führung bringt, versteht man für Sekunden sein eigenes Wort nicht mehr, so laut ist es plötzlich. Wenig später gleicht der technisch starke Vito Monaco zum 1:1 aus, es bleibt beim Unentschieden. Der anschließende Beifall gilt vor allem: den Mädchen. Auch Stefan Sattler staunt. "In der Halle 1:1 gegen einen Bezirksoberligis­ten, das glaubt dir doch niemand“, sagt ihr Trainer, "Wahnsinn, einfach der Wahnsinn.“

Er wollte sich über­raschen lassen und nicht mit mög­licherweise zu hohen Erwartungen die allseits spürbare Vorfreude trüben. Anfang der vergangenen Woche stu­dierten sie eine "gewisse Taktik“ ein, sagt Satter, mit der sie bessere Erfolgs­aussichten haben wollten. Was sie irgendwie mitnehmen konnten, woll­ten sie auch mitnehmen, "sie haben das wirklich gut gemacht“. Sogar so gut, dass die Süder Zuschauer mit dem Punkt sehr zufrieden sind.

Die Idee ist ungefähr zweieinhalb Jahre alt. Damals entschied sich der 1. FC Nürnberg Frauen- und Mäd­chenfußball dazu, eine U13 zu grün­den — und nur gegen Buben antreten zu lassen, zunächst in der Kreis­gruppe, also in der untersten Spiel­klasse. Die Frage, die sie sich stellten und die ihre Ausbildungsphilosophie auch trägt, lautet: Was können Mäd­chen im Fußball gegen Jungs leisten? Zu was sind sie imstande? Nach nur einem Jahr verabschiedete sich der weibliche Club-Nachwuchs bereits in die Kreisklasse, in der Kreisgruppe gab es kaum ernstzunehmende Geg­ner, gegen gleichaltrige Mädchen schon gleich gar nicht.

Heuer könnte es sogar in die Kreis­liga gehen; Stefan Sattler hat die Tabelle im Kopf. Sollten sie ihr Nach­holspiel gewinnen, wären es nur noch zwei Punkte Rückstand auf den Spit­zenreiter. Theoretisch, sagt Stefan Sattler, dürften sie bis in die Bezirks­oberliga aufsteigen. Theoretisch dürf­ten Mädchen und Jungs bis zur B-Jugend sogar zusammen in einer Mannschaft spielen. Beim Club ver­suchen sie es lieber gegeneinander. "Wir wollen zeigen“, sagt Sattler, "dass es Mädchenfußball gibt und Mädchenfußball beim Club."

Seit der Saison 2005/2006, erklärt Kreis-Jugendleiter Stefan Bechtloff, dürfen Mädchen auch ganz offiziell gegen Jungs antreten, nur müssen die Ver­eine den Bayerischen Fußball-Ver­band jedes Jahr aufs Neue um Erlaub­nis bitten. Bayernweit sind ihm aktu­ell vier Mannschaften bekannt, die es ernsthaft versuchen. "Leistungsmäßig betreibt es aber nur der Club so“, sagt Bechtloff, er sitzt in einem kleinen Raum und überwacht mit anderen Funktionären den Turnierverlauf. Zum Beispiel notiert er, wie viele Fouls sich jede Mannschaft so leistet, es sind Futsal-Regeln. Nach dem vier­ten gibt’s Siebenmeter. Selbst in der Halle, wo es enger ist als auf der Wiese und viel mehr Körperkontakt gibt, fallen die physi­schen Defizite der Mädchen gegen­über Jungs kaum auf.

"Doppelt so groß und doppelt so breit“, sagt Satt­ler, seien viele Gegenspieler, aber trotzdem nicht unbedingt besser. Seine Mannschaft wird von hinten nach vorn kleiner. Abwehrchefin Neele Reisberger ist mindestens zwei Köpfe länger als die wuselige Angreiferin Gia Corley, die unheimlich gut mit dem Ball umgehen kann. Und sich in jeden Zweikampf schmeißt, als wäre es ihr letzter. Ihre schwarzen Haare fliegen bei jedem Schritt. Wenn es körperlich nicht ganz reicht, dachte sich Sattler, "müssen wir es eben spielerisch lösen“. Also übten sie, stundenlang. Passen und Laufen, Passen und Laufen, Passen und Laufen, immer wieder. Sechs Monate "harte Arbeit“, sagt Sattler, liege hinter seinen Fußballe­rinnen.

Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Der Aufwand hat sich gelohnt. Beim ersten Vorrundenturnier der Hallen-Kreismeisterschaft wurden sie Zweiter, beim zweiten Vorrundentur­nier Erster, ebenso in der Zwischen­runde. "Wir wussten gar nicht so recht, was da los war“, sagt Sattler, auch die Zuschauer konnten es kaum glauben. Der Kreis- und Bezirksmeis­ter 2012/2013 und 2013/2014 der Mäd­chen mischte plötzlich unterm Dach auch die männliche Konkurrenz ordentlich auf. Obwohl der Trainer noch ausdrücklich auf technische Schwächen hinweist. Hellauf begeis­tert ist er trotzdem. Die Geschichte ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Heuer schaffte es die weibliche U13 des 1. FCN sogar unter die acht besten U13-Vertretungen im ganzen Fußball­kreis Nürnberg/Frankenhöhe, knapp 100 Jungen-Mannschaften waren gemeldet.

"Damit hatten wir nicht gerechnet“, gibt Sattler zu, auch für den Trainer kommen die überwiegend guten Resultate überraschend. So etwas wie die wilden Club-Mädchen gab es ja zumindest in Bayern noch nie. Bei der Endrunde in Herrieden machen sie einfach da weiter, wo sie in der Zwischenrunde aufhörtem. Vor dem Spiel gegen den TSV Neustadt/Aisch umarmen sich die Nürnbergerin­nen auf dem Platz und bilden einen Kreis. Kapitänin Tessa Groitl brüllt: "Gebt mit ein Eff!" "Eeeeeff". "Gebt mir ein Zee!“ "Zeeeee“. "Gebt mir ein Enn.“ "Ennnnn!“. "Zusammen?“ "Eff Zee Enn, Eff Zee Enn.

Als Neele Reis­berger kurz vor Schluss der zweiten Partie auf Gia Corley passt, die aber mit ihrem überlegten Abschluss bloß den Innenpfosten trifft, bebt die Halle. 0:0, immerhin. Und weiter ungeschlagen. Gegen den TuS Feuchtwangen gewinnt der Club sogar mit 1:0 und qualifiziert sich als Gruppen-Zweiter hinter dem favorisierten SV 73 Süd für das Halbfinale. Ein Video von dem in der Entstehung spektakulären Tref­fer von Gia Corley stellten sie wenig später bei YouTube ins Internet.

"Wir spielen gegen die, als wenn es Jungs wären“, sagt Süds kleiner Star Vito Monaco. Aber gut sind sie schon, die Mädchen, oder? "Ja.“ Im Freien setzte es neulich sogar mal ein 2:4. Gegen die Mädchen.


Schmeißt sich in jeden Zweikampf, als wäre es ihr letzter: Club-Angreiferin Gia Corley gehörte zu den Entdeckungen der Kreismeisterschaft in Herrieden (F.: Markus Essler).

Der Respekt der anderen wird von Woche zu Woche größer, sagt Club­Trainer Sattler. Anfänglicher Über­mut weicht in den meisten Fällen relativ schnell der Einsicht, dass es nicht einfach ist, Mädchen zu besie­gen. Oder manchmal sogar unmög­lich. Mittlerweile werden seine Mäd­chen auch anders wahrgenommen, berichtet Sattler, häufig allerdings erst "nach den Spielen“. Wenn es häu­fig zu spät ist. Vier seiner Spielerin­nen sind in der Bayern-Auswahl. Um eine starke U13 zu formen, betreiben sie beim 1. FCN einen enor­men Aufwand. Bis aus Regensburg und Auerbach kommen die Mädchen, in der U15 bis aus Würzburg oder Nördlingen. "100 bis 150 Kilometer“ sei ihr Einzugsgebiet groß, sagt Satt­ler, "Wir sind die zweitbeste Jungenmannschaft im Kreis, wir ziehen hier die Besten zusam­men.“ Zwei Co-Trainer hat er noch und eine medizinische Betreuerin, eine andere kümmert sich beim Umzie­hen in der Kabine um die Mädchen. Wenn die Trainer draußen bleiben müssen.

Auch im Halbfinale sind die Nürn­bergerinnen nicht aufzuhalten. 1:0 gegen den TSV Schopfloch, es ist längst eine kleine Sensation. Die Halle kocht. Trainer Sattler kommt, wie er später erzählt, "gegen die Wand“ nicht mehr an. "Die spielen einfach als Mannschaft, vor, zurück, vor, zurück, das macht’s aus“, sagt Helmut Engerer, der ebenfalls nicht schlecht staunende Trainer des ESV Ansbach-Eyb. Das System ist eine Art Hallen-Catenaccio, zunächst hat die Torverhinderung oberste Priorität. Nach Ballgewinnen aber geht es oft blitzschnell in die andere Richtung. Erst im Endspiel stoßen die Fuß­ballerinnen an ihre Grenzen. Das 0:3 gegen den klar favorisierten SV 73 Süd tut ihnen weh, lässt sich aber erklären. Einige hatten einfach keine Kraft mehr nach der anstrengenden Vorrunde, konditionell sind ihnen die gleichaltrigen Buben schon noch über­legen.

"Wir sind wahnsinnig stolz auf unsere Mädchen“, sagt Sattler, beson­ders ihr ausgeprägter Teamgeist impo­niert ihm. "Liebe, Glaube, Leiden­schaft“, das inoffizielle Club-Motto also, sagt Sattler, "das haben die ver­innerlicht.“ Und: "Es gibt nichts Schöneres, als diese Mannschaft zu trainieren.“ Weil sie tatsächlich eine sind. Eine richtige. Wunderbare Kom­plimente.

Als Finalist der Kreismeisterschaft sind sie jetzt für die Bezirksmeister­schaft am 23. Februar in Gräfenberg qualifiziert. Dass ein reines Mädchen­team unter Buben so weit kommt in der Halle, ist im deutschen Fußball ein Novum. "Wir sind die zweitbeste Jungen­mannschaft im Kreis Nürnberg/Fran­kenhöhe“, sagt Sattler. Mine, Neele, Gia, Katharina und die anderen wil­den Mädels vom Club.

Aufrufe: 04.2.2014, 15:42 Uhr
Wolfgang LaaßAutor