2024-04-25T14:35:39.956Z

Allgemeines
– Foto: Rocco Bartsch

Die Amateure sind verunsichert

+++ Kunstrasen – Fluch oder Segen? / Laut EU spielen Kunstrasenplätze eine unrühmliche Rolle bei der Verbreitung von Mikroplastik +++

Hochtaunus. Tüten, Strohhalme, Wattestäbchen, Einwegbecher, Wegwerfbesteck, Zigarettenkippen: Dem Plastik geht es an den Kragen! In der gesamten Europäischen Union (EU), also auch in Deutschland, sind eine Reihe von Einwegprodukten ab 2021 grundsätzlich verboten. Der harte Kurs soll eine Trendwende beim Plastikverbrauch einleiten und vor allem die Zunahme an Plastikmüll in den Weltmeeren stoppen. SPD-Umweltministerin Svenja Schulze sieht darin einen „wichtigen Meilenstein“.

Doch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) warnen in einem Schreiben nach Brüssel: „Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.“ Denn die EU geht nun auch gegen Kunstrasenplätze vor. Sie sollen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Mikroplastik spielen. Es geht um winzige Plastikteilchen, die Flüsse, Seen und Ozeane verschmutzen. Noch ist unklar, wie gefährlich Mikroplastik eigentlich für Menschen ist. Doch die Experten, nicht nur die der Europäischen Union, sind sich einig, dass Kunststoffmüll nicht in die Umwelt gehört. Was zu einer großen Unsicherheit und zu Aufruhr im deutschen Amateurfußball geführt hat.

Warum sind die Plätze ins Visier der Brüsseler Bürokraten geraten? Die Diskussion geht auf eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen zurück. Danach werden jährlich rund 11 000 Tonnen Gummigranulat von Kunstrasenplätzen abgetragen und gelangen in die Umwelt. Diese Zahl des Fraunhofer Instituts wird aber insbesondere vom Deutschen Institut für Normung (DIN) und der Gütegemeinschaft (RAL) kritisiert. Beide sagen, dass die tatsächliche Menge an freigesetztem Mikroplastik in Form von Kunststoffgranulaten derzeit nicht bekannt ist. Die Einrichtungen gehen von einer Verteilung von lediglich zehn Prozent des vom Fraunhofer Instituts genannten Wertes aus.

Wie geht die Diskussion um die Plätze der Amateure weiter? Im Anschluss an die öffentliche Befragung beginnen die fachlichen Prüfungen. Zwei sogenannte Beurteilungsausschüsse, die mit unabhängigen Wissenschaftlern besetzt sind, sind zurzeit damit beschäftigt, eine fundierte Stellungnahme zu erarbeiten. Ein Ausschuss wird sich mit der Risikobewertung für Verbraucher, Arbeitnehmer und Umwelt beschäftigen. Der andere Ausschuss arbeitet speziell an sozioökonomischen Folgen, also zum Beispiel auch an den Auswirkungen auf den Sportbetrieb. Die Erarbeitung der Entwürfe der Stellungnahmen dauert ein Jahr, anschließend besteht nochmals die Möglichkeit einer Kommentierung. Nach nochmaliger Überprüfung werden die Bewertungen veröffentlicht und der EU-Kommission zugesandt. Auf der Grundlage dieser Bewertungen kann die EU-Kommission dann einen Regulierungsvorschlag machen.

Wie wichtig sind Kunstrasenplätze in Deutschland? Für die Infrastruktur von Sportstätten sind Kunstrasenplätze von großer Bedeutung. Nach aktuellen Zahlen dürften in Deutschland zwischen 3500 und 5000 Plätze von einem Verbot des Kunststoffgranulats betroffen sein. Gerade in Ballungsräumen mit zunehmender Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Plätzen entstanden. Anders als Naturrasenplätze sind die Kunstrasenplätze durchgängig bespielbar. Sie garantieren also im Winterhalbjahr den Spiel- und Trainingsbetrieb. Müssten sie bis zu einer möglichen Sanierung schließen, wären viele Sportler, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche, auf unbestimmte Zeit in ihren Betätigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt.

Welche Alternativen gibt es? Da ohnehin nicht der komplette Rasen, sondern nur das sogenannte Infill in den Fokus der Brüsseler Ordnungshüter geraten ist, hält sich der Aufwand der Umrüstung, falls das Verbot wirksam wird, wahrscheinlich in Grenzen. Das Infill ist eine Art Streuung, das die Halme, die in einem Trägergewebe eingesetzt sind, stützen und damit die Fußballer vor Verletzungen schützen. In Hamburg beispielsweise werden nur noch Anlagen mit Quarzsand errichtet, in Bayern testen Vereine Plätze mit einer Art Kork-Granulat, das umweltverträglich sein soll. Auch kompostierbares Granulat ist nach Auskunft von Experten in der Erprobung.

Wie hat Hessen auf die Diskussion rund um den von Kunstrasenplätzen ausgehenden Plastikmüll reagiert? Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens hat Hessen bereits entschieden, bis auf Weiteres keine Förderungen von Kunstrasenplätzen mit besagten Kunststoffgranulaten mehr vorzunehmen. Ausgenommen sind die Plätze, für die bereits Förderbescheide erteilt wurden. Notwendig wäre, dass die Länder dann aber auch die Umrüstung bestehender Plätze fördern oder bauliche beziehungsweise technische Maßnahmen wie beispielsweise Auffangsysteme zur Reduzierung des Austrags von Füllstoffen ergreifen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat unlängst eine finanzielle Unterstützung der betroffenen Kommunen und Vereine durch Bund und Länder gefordert, wenn die Kunstrasenplätze für den Sport erhalten bleiben sollen. Die Umrüstung ist mit erheblichen Kosten verbunden. Die Schätzungen variieren von 70 000 bis rund einer halben Million Euro.


Teil 1 | Die EU nimmt den Kunstrasen ins Visier

Teil 2 | Wie greift der DFB seinen Amateuren unter die Arme?

Teil 3 | Wo gibt es im Hochtaunuskreis überall Kunstrasenplätze?

Teil 4 | Unterwegs mit einem Mann, der Kunstrasenplätze plant

Teil 5 | Besuch in einer Gemeinde, die ihren Hartplatz abschafft

Teil 6 | Das sagen Wissenschaftler zur Verbreitung von Mikroplastik

Teil 7 | Interview mit dem Chef aller hessischen Fußballer

Aufrufe: 06.12.2019, 12:12 Uhr
Alexander Fischer (Usinger Anzeiger)Autor