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WM 2014

Deja Vu verhindert

Nach dem Debakel im Finale der WM 1950 hat Brasilien in diesem Jahr erneut die Chance den Traum wahr werden zu lassen

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Nach dem Elfmeter-Krimi gegen Chile hätte es für die Selecao zu einem historischen Duell gegen Uruguay kommen können. Allein die Nationalmannschaft von Kolumbien wusste das am gestrigen Abend mit einer starken Vorstellung zu verhindern. So heißt das Duell im Viertelfinale am Freitag (4. Juli um 22 Uhr) Brasilien gegen Kolumbien. Hätte Uruguay den Sprung in die nächste Runde geschafft, wäre es für Brasilien ein Spiel mit Revanchecharakter geworden. Das wird den Spielern allerdings egal sein, denn es zählt nur das Finale, nur der Titel 2014. Genau wie 1950, doch hier ging es schief! Wir erinnern an ein denkwürdiges Endspiel

Zum ersten Mal wurde eine WM im Heimatland des „Jogo Bonito“, des schönen Spiels, ausgetragen. Gespielt wurde in sechs Stadien in sechs verschiedenen brasilianischen Städten. 1950 betrug die Kapazität der Stadien zwischen 20.000 und 70.000 Plätzen – bis auf einen eigens für die WM gebauten Fußballtempel in Rio de Janeiro mit Platz für bis zu 200.000 Zuschauer: das Maracanã-Stadion.

Durch einen einmaligen Modus bei Weltmeisterschaften mit zwei Gruppenphasen sollte die beste Fußballmannschaft des Jahres 1950 ermittelt werden. In vier Vierergruppen zog jeweils der Vorrundenerste in die finale Gruppenphase ein. Dort wurde dann im Jeder-gegen-Jeden-Modus der Weltmeister in der zweiten Gruppenphase ausgespielt. Ursprünglich war, wie bei der WM 1938, ein K.o.-System geplant, wurde wegen Protesten des brasilianischen Verbandes aber abgeändert. Zu dieser Zeit brachte noch der Verkauf von Eintrittskarten die meisten Einnahmen.

Statt der geplanten 16 Mannschaften nahmen nur 13 Teams am Turnier teil. Indien sagte seine Teilnahme ab, weil den Spielern nicht gestattet wurde, barfuß zu spielen. Aus Europa verzichteten Schottland und die Türkei auf die Reise nach Brasilien, und die Nachrücker Frankreich und Portugal lehnten ebenfalls ab. Dies führte dazu, dass nur in zwei Viergruppen und jeweils einer Dreier- und Zweiergruppe gespielt wurde. Als klare Favoriten gingen England und Brasilien in das WM-Turnier.

Der Turnierverlauf

Vorrunde

Sensationell verlor England 0:1 gegen das Fußballentwicklungsland USA und schied mit einer weiteren Niederlage gegen Spanien schon in der ersten Gruppenphase aus. Brasilien zog souverän in die Finalrunde ein, und Uruguay schlug Bolivien überraschend deutlich 8:0. Schlussendlich zogen Brasilien, Spanien, Schweden und Uruguay in die zweite und finale Gruppenphase ein.

Finalrunde

Brasilien deklassierte Schweden 7:1 und Spanien 6:1 und wurde bereits vor dem abschließenden Spiel gegen Brasilien als neuer Weltmeister gefeiert. Im entscheidenden Spiel gegen die bis dahin wenig überzeugenden Urus genügte Brasilien im Maracanã schon ein Unentschieden. Wirklich jeder war davon überzeugt, dass die Brasilianer ihre Siegesserie fortsetzen und sich im eigenen Land vor geschätzten 200.000 fanatischen Cariocas im Finale zum Weltmeister schießen würden.

Maracanaço – Die Schmach der Seleçao 1950 im Maracanã-Stadion

Am Finaltag wurde das Maracanã schon um acht Uhr morgens geöffnet und war bereits mittags schon überfüllt. Vor dem Stadion fand ein improvisierter Karneval statt und das Land feierte schon den Weltmeistertitel. „Alles war vorgesehen, außer ein Sieg von Uruguay“, schrieb der damalige Fifa-Präsident Jules Rimet.

Die Vorbereitung der brasilianischen Nationalmannschaft lief alles andere als reibungslos. In Zeitungen wurden die Spieler am Tag des Endspiels schon als Weltmeister bezeichnet, den Spielern wurden Uhren mit der Gravur „Den Weltmeistern“ geschenkt, und das Mittagessen wurde durch Reden von Politikern zweimal unterbrochen.

Uruguay agierte extrem defensiv gegen das brasilianische Passspiel und stellte für Topstürmer Ademir, der bis dahin schon neun WM-Treffer erzielt hatte und auch Torschützenkönig wurde, gleich zwei Verteidiger ab. Die Taktik ging bis kurz nach der Halbzeit auf, ehe Friaça das 1:0 für Brasilien schoss. Die Zuschauer feierten den Treffer in der Vorfreude auf den Gewinn des Pokals. Angetrieben durch ihren Kapitän Obdullio Varela gab Uruguay nicht auf und glich durch Juan Alberto Schiaffino in der 66. Minute aus. Die Seleçao wirkte nun verunsichert, und durch einen Treffer von Alcides Ghiggia zehn Minuten vor Schluss führte Uruguay plötzlich. Schockzustand im Maracanã. Uruguay wird Weltmeister gegen Brasilien in Brasilien. Totenstille herrschte im Stadion, und nach dem Abpfiff verfiel ganz Brasilien in eine tiefe Depression.

Kurz vor dem 2:1 war der damalige Fifa-Präsident Jules Rimet ins Innere des Stadions gegangen, um sich auf die Siegerehrung vorzubereiten. Als er das Spielfeld betrat herrschte Stille und Betroffenheit bei den Zuschauern: „Durch die Tunnel der Riesentribüne begab ich mich beim Stand von 1:1 zur Siegesfeier, um den Brasilianern die Trophäe zu überreichen. Als ich auf den Platz kam, herrschte im Stadion eine Totenstille. Uruguay hatte eben sein zweites Tor geschossen und war Weltmeister. Plötzlich gab es keine Ehrengarde mehr, keine Nationalhymne, keine Ansprache vor dem Mikrofon, keine glanzvolle Siegesfeier. Ich fand mich allein inmitten der Volksmenge, von allen Seiten bedrängt, mit dem Pokal in meinen Händen, ohne zu wissen, was ich tun sollte. Ich hielt nach dem uruguayischen Kapitän Ausschau, und überreichte ihm − fast im Geheimen − den Pokal und streckte ihm die Hand hin, ohne ein Wort sagen zu können. Später legte sich die Verwirrung. Die Menschenmenge brach langsam auf, wie wenn sie vom Friedhof käme. Funktionäre und brasilianische Spieler gratulierten den Siegern mit einer traurigen, aber zugleich herzlichen Verbeugung“, beschrieb Rimet die Situation in seinem Buch „Die wunderbare Geschichte des Weltpokals“.

Folgen nach der Heimniederlage

Von brasilianischer Seite wurde bemängelt, dass das für sie schon das sechste und für Uruguay erst das vierte Spiel war, da diese nur eine Vorrundenpartie spielen mussten.

Im Maracanã starben an diesem Tag drei Menschen an Herzschlag, einer stürzte sich von der Tribüne in den Tod. Die bis dahin üblichen weißen Trikots trug die Seleçao nie wieder und Brasiliens Torhüter Barbosa, der bei Ghiggias Tor schlecht aussah und deshalb für viele zum Sündenbock wurde, sagte kurz vor seinem Tod imJahr 2000: „Die höchste Strafe in Brasilien sind 30 Jahre Haft. Aber ich büße nun schon 50 Jahre für etwas, das ich nicht einmal begangen habe.“ 1993 wollte Barbosa das Training der Seleçao besuchen, aber ihm wurde der Zutritt aufgrund der Befürchtung, er könne Pech bringen, verwehrt.

Der Schütze des Siegtreffers, Ghiggia, war erstaunt, als er 50 Jahre nach dem Spiel bei seiner Einreise nach Brasilien von einer Zollbeamtin, vom Alter her Mitte Zwanzig, gefragt wurde, ob er der Ghiggia sei. Ghiggia sagte: „Ja, aber das ist doch schon 50 Jahre her.“ Sie antwortete: „Aber in Brasilien spüren wir diesen Moment noch heute!“

Die Chance die Schmach zu wettzumachen

2014 heißt es wie schon 1950: Siegen müssen. Durch den gewonnenen Confed Cup 2013 gilt der Sieg wie ebenfalls 1950 schon als sicher. Der Druck auf das Team ist genauso hoch wie vor 64 Jahren, wenn nicht höher. Die ehemaligen Weltmeistertrainer Luiz Felipe Scolari (Trainer) und Carlos Alberto Parreira (Technischer Direktor) sollen endlich den Weltpokal im eigenen Land für Brasilien gewinnen.

Aufrufe: 029.6.2014, 12:30 Uhr
Carsten FehlingerAutor