2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Hält es für nahezu ausgeschlossen, dass in der „Nach-Corona-Zeit“ alle Begegnungen mit Unparteiischen besetzt werden können: Jürgen Roth, Obmann der Schiedsrichtergruppe Neuburg.
Hält es für nahezu ausgeschlossen, dass in der „Nach-Corona-Zeit“ alle Begegnungen mit Unparteiischen besetzt werden können: Jürgen Roth, Obmann der Schiedsrichtergruppe Neuburg. – Foto: Krettek

Corona-Krise als Chance, aber auch Gefahr

Während über Vereine und Spieler seit Wochen diskutiert wird, spielen die Unparteiischen nur eine untergeordnete Rolle +++ Schiedsrichter-Obmann Jürgen Roth spricht über mögliche Auswirkungen der Pandemie und appelliert erneut an die Vereine

Nicht nur die Vereine und deren Kicker, auch die Schiedsrichter hängen in Sachen Saison-Fortsetzung derzeit in der Warteschleife. Ob die unterbrochene Saison 2019/2020 tatsächlich ab dem 1. September wieder angepfiffen wird, steht noch in den Sternen. Die Neuburger Rundschau hat sich mit dem Obmann der Schiedsrichtergruppe Neuburg, Jürgen Roth, über diese auch für die Unparteiischen außergewöhnliche Situation unterhalten.

Herr Roth, wie haben Sie persönlich die vergangenen Wochen und Monate während der Corona-Krise überstanden?

Roth: Nun, die ersten drei Wochen waren ehrlich gesagt schon ziemlich schwer. Wenn man in Sachen Schiedsrichter-Wesen voll drinsteckt und plötzlich nichts mehr zu tun hat, dann ist das in der Tat nicht einfach. Der nächste Schritt war dann, dass ich mir bereits Gedanken darüber gemacht habe, wie es wohl weitergehen wird, wenn der Spielbetrieb wieder startet, wie man die fußballlose Zeit mit seinen Schiedsrichtern am besten überbrückt und in welcher Form man seinen eigenen Akku am besten wieder auflädt. Trotz allem geht es mir momentan sehr gut, da ich mich in den zurückliegenden Wochen ausgezeichnet erholen konnte.

Als Schiedsrichter-Obmann sind Sie – neben Ihrer täglichen Arbeit – speziell am Wochenende viel auf den regionalen Sportplätzen unterwegs. Auch wenn Sie sich, wie Sie gesagt haben, erstklassig erholen konnten: Wie sehr fehlt Ihnen aktuell der Fußball?

Roth: Nun, wenn man Woche für Woche auf den Fußball-Plätzen unterwegs war und dann plötzlich aus diesem „Trott“ beziehungsweise normalen Rhythmus herausgerissen wird, dann fehlt das einfach. Aus diesem Grund war ich auch froh, dass im „oberen Bereich“ – wenn auch ohne Zuschauer – wieder gespielt wird. So hat man zumindest die Möglichkeit, Fußball im Fernsehen anzuschauen. Von dem her war es für mich schon schwer, die Zeit ohne Fußball zu überstehen. Irgendwann fällt einem einfach die Decke auf den Kopf.

Der Bayerische Fußball-Verband hat sehr früh die Entscheidung getroffen, den Spielbetrieb mindestens bis zum 31. August komplett aus- beziehungsweise die derzeit unterbrochene Saison 2019/2020 fortzusetzen. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Roth: Ich bin grundsätzlich auch jemand, der es befürwortet, dass Meisterschaften lieber auf dem Rasen als am grünen Tisch entschieden werden. Deshalb ist es für mich schon auch wichtig, dass diese Saison fortgesetzt wird – allerdings nicht auf Biegen und Brechen! Sprich: Sollte der Punktspiel-Betrieb nicht wie erhofft am 1. September wieder aufgenommen werden können und sich das Ganze dementsprechend nach hinten verschieben, müsste sich der Verband sicherlich erneut Gedanken machen, wie man in diesem Fall weiter vorgehen möchte.

Bei all diesen Diskussionen geht es in erster Linie um die jeweiligen Ligen, Vereine und Spieler. Die Schiedsrichter sind dabei kaum einmal ein Thema. Konkret gefragt: Kommen Ihnen die Unparteiischen diesbezüglich zu kurz?

Roth: Nun, ich habe erst kürzlich in unserem Ausschuss gesagt: In all den Webinaren, die momentan stattfinden, wird über alle möglichen Themen ausführlich gesprochen, während sich die Schiedsrichter lediglich auf der unteren Ebene befinden. Mir geht es dabei nicht um die Bundesliga-, sondern ausschließlich Amateur-Schiedsrichter. Diese Thematik wurde bislang noch kein einziges Mal berührt. Man muss ganz klar sagen: In den jeweiligen Gruppen gibt es zahlreiche ältere Kollegen, die zur Risiko-Gruppe in Sachen Corona zählen und daher das Ganze etwas ernster nehmen müssen als beispielsweise die jüngeren Unparteiischen. Hier hätte ich mir schon eine Diskussion oder auch Umfrage, ob beispielsweise alle Schiedsrichter im Falle einer Wiederaufnahme des Spielbetriebes überhaupt dabei wären, gewünscht. Wir können schließlich niemanden zwingen, in dieser außergewöhnlichen Situation auf den Platz zurückzukehren.

Machen Sie sich jetzt schon konkrete Gedanken darüber, was das konkret für die Schiedsrichtergruppe Neuburg bedeuten könnte?

Roth: Ja, definitiv! Da ich möglichst frühzeitig einen Lösungsansatz finden möchte, habe ich bei unserer zurückliegenden Online-Monatsversammlung am Freitag eine Umfrage gestartet, welche Schiedsrichter zu diesem beschriebenen Kreis zählen und keine Partien pfeifen wollen. Diese Kollegen gilt es dann anderweitig zu ersetzen – wobei ich heute noch nicht weiß, welche Begegnungen und Ligen dann schlichtweg nicht mehr besetzt werden können.

Es ist ja kein Geheimnis, dass sich die Schiedsrichter-Zunft bereits seit Jahren sehr schwertut, ausreichend Nachwuchs zu generieren. Dementsprechend bereitet vielen Gruppen die Altersstruktur enormes Kopfzerbrechen. Kann man sagen, dass die Corona-Krise letztlich genau diese Problematik schonungslos offenlegt?

Roth: Ich kann jetzt natürlich nur für unsere Gruppe sprechen. Aber ja, diese Pandemie verstärkt dieses Problem selbstverständlich nochmals deutlich. Fakt ist, dass wir in Sachen Schiedsrichter ohnehin schon auf Kante genäht sind. Und es wird definitiv einige Kollegen geben, die momentan nicht pfeifen werden. Für mich kommt es auch überhaupt nicht infrage, diese zu einem Einsatz zu überreden. Schließlich trage ich als Obmann am Ende immer die Verantwortung. Sollte sich einer dieser Unparteiischen beispielsweise infizieren, könnte er sagen, dass ich ihn ja eingeteilt hätte. Und diesen Schuh ziehe ich mir nicht an. Deshalb muss ich diese Leute außen vor lassen. Nachdem wir jedoch, wie bereits gesagt, personell ohnehin schon auf einem schmalen Grat wandeln, wird es auch nicht möglich sein, diese Kollegen zu ersetzen.

Sehen Sie in dieser Ausnahme-Situation möglicherweise auch eine Chance in der Krise, sprich: Dass die Vereine endlich aufwachen und sich dieser Problematik bewusst werden?

Roth: Eine Chance ist es sicherlich, ja! Allerdings – und das ist ja auch bekannt – gab es in den zurückliegenden Jahren immer wieder Situationen, in denen wir auf unsere Personalprobleme hingewiesen haben. Nur irgendwann wird man einfach nicht mehr für ernst genommen und die Vereine sagen: Lass den Roth mal reden! Nur jetzt haben wir eben in der Tat eine Situation, in der ich der Meinung bin: Wenn die Klubs selbst zum jetzigen Zeitpunkt nicht aufwachen und etwas tun, dann wird es nicht dabei bleiben, nur die Partien der B-Klasse nicht mehr zu besetzen. Dann wird das weiter durchgereicht werden, auch in Richtung A-Klasse. Das muss man ganz deutlich so sagen. Momentan gehe ich davon aus, dass mir wohl rund 20 Schiedsrichter aufgrund der Corona-Geschichte wegbrechen werden – was im Umkehrschluss hieße, dass die komplette A-Klasse künftig ohne Unparteiische spielen müsste.

Bei vielen Vereinen gibt es die Befürchtung, dass aufgrund der langen Spielpause der eine oder andere Nachwuchs-Kicker dem Fußball den Rücken kehren wird. Sehen Sie diese Problematik möglicherweise auch im Schiedsrichter-Bereich?

Roth: Ja, diese Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen. Wir haben allerdings in den vergangenen Wochen viel unternommen, um mit möglichst allen in Verbindung zu bleiben. So standen beispielsweise einige Webinare auf dem Programm. Dabei ging es vor allem auch um unsere Neulinge, die erst im März dazu gestoßen sind. Nachdem doch einige sehr gute und talentierte Unparteiische darunter sind, hatten wir schon etwas Angst, diese eventuell an andere Sportarten, wo das Training bereits wieder möglich ist, zu verlieren. Wir werden jedenfalls alles daran setzen, diese Leute entsprechend bei der Stange zu halten, und für den „Tag X“ fitzumachen, wenn es tatsächlich weitergeht. Ob uns das wirklich gelingt, weiß ich nicht. Ich bin aber optimistisch.

Am Freitag (5. Juni) hat die Schiedsrichtergruppe Neuburg zum zweiten Mal ihre Monatsversammlung im Internet abgehalten. Welche Erfahrungen haben Sie in den beiden virtuellen Formaten gesammelt?

Roth: Nun, wir haben zum Beispiel beim ersten Mal das Ganze zu viert übernommen. Neben mir haben noch Lehrwart Patrick Krettek, mein Stellvertreter Manfred Häckel und Harald Förg entsprechende Vorträge gehalten oder auch Fragen beantwortet. Wir haben dabei festgestellt, dass das Interesse mit insgesamt 86 Teilnehmern doch sehr groß war. Auch der Zuspruch und die Resonanz waren ausgezeichnet. Allerdings muss man klar und deutlich sagen, dass solche Online-Formate freilich unsere Präsenz-Veranstaltungen in der Zukunft nicht ersetzen können. Vorstellen kann ich mir jedoch eine Mischung aus beidem, da wir einige Leute bei uns in den Reihen haben, die oftmals aus beruflichen Gründen nicht zu den Monatsversammlungen kommen können. In diesem Fall würde sich diese Online-Version durchaus anbieten.

Zum Abschluss noch ein kurzer Ausblick in Richtung Winter. Spielt das traditionelle Hallenturnier der Schiedsrichtergruppe Neuburg um den Jahreswechsel herum in Ihren Gedanken auch schon eine Rolle?

Roth: Nachdem ich diesbezüglich ja nichts ins „Blaue“ hinein planen kann, habe ich aktuell noch die Hände davon gelassen. Ich warte jetzt einfach mal den 1. September ab, um zu sehen, inwieweit das Ganze von der bayerischen Staatsregierung geöffnet wird. Sollten derartige Veranstaltung wieder zugelassen werden, beschäftigen wir uns damit. Aber eines steht für mich schon jetzt fest: Ein Hallenturnier mit hohen Hygiene-Auflagen beziehungsweise ohne Zuschauer wird es mit mir definitiv nicht geben. Das können wir uns einfach nicht leisten.

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Aufrufe: 012.6.2020, 20:08 Uhr
Neuburger Rundschau / Dirk SingAutor