2024-05-02T16:12:49.858Z

Querpass

"Unvergessen": Der Albtraum an der Weser

Heute vor 30 Jahren ging der BFC Dynamo in einem Mythen-umrankten Spiel bei Werder Bremen unter - Frank Rohde und Jürgen Bogs waren dabei.

Um dieses Spiel ranken sich viele Mythen. Am 11. Oktober 1988 war der BFC Dynamo im Europapokal der Landesmeister beim SV Werder Bremen zu Gast – und verlor nach dem schier sensationellen 3:0-Hinspielerfolg mit 0:5. Was ist damals wirklich passiert? 30 Jahre danach schildern der damalige Trainer Jürgen Bogs und sein langjähriger Abwehrspieler Frank Rohde ihre Erinnerungen.

Lange überlegen müssen die beiden Clublegenden nicht, wenn sie auf die Ereignisse von damals angesprochen werden. „Eigentlich bleibt so etwas immer in Erinnerung“, sagt Ex-Preussen-Trainer Rohde – zeigt sich dann aber doch verwundert: „30 Jahre ist das schon her? Wahnsinn!“

Europacup-Spiele seien nach seinen Worten auch für den DDR-Serienmeister („Wuschi“ war bei acht von zehn Titelgewinnen dabei) immer was Besonderes gewesen. „Und so ein deutsch-deutsches Duell sowieso.“ Bogs betont, dass das Match gegen Bremen mehr als ein Spiel gewesen sei. „Politisch war es sehr hoch angebunden. Es ging darum, den Klassenfeind zu schlagen.“ Das brachte Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, zum Ausdruck, als er das Team wenige Tage vor dem Rückspiel im legendären Besprechungsraum des Sportforums in Hohenschönhausen zusammenholte. „Da gab es deutliche Worte“, erinnert sich Bogs.

10 957 Tage sind seit dem Spiel im Weserstadion vergangen. „Wenn ich darauf angesprochen werde, fällt mir alles wieder ein. Das kann man nicht verdrängen“, so der mittlerweile 71-jährige Coach – der einräumt, dass sein Team im Hinspiel „mörderisches Glück“ hatte. Bremen habe eine Vielzahl von Chancen nicht genutzt. „Und Torwart Bodo Rudwaleit hat einfach alles gehalten.“ Thomas Doll (16.), Andreas Thom (62.) und Frank Pastor (77.) trafen vor 21 000 Zuschauern für den BFC.

„Im Hinspiel haben wir sehr gut gespielt. An ein solches Ergebnis war überhaupt nicht zu denken. Aber wir wussten, dass wir nicht durch sind“, sagt der damals 28-jährige Rohde, der nach der Wende für den Hamburger SV und Hertha BSC spielte – und berichtet von einer sehr guten Vorbereitung auf das entscheidende Duell. Aufgrund der Olympiapause seien bis dahin fünf Wochen vergangen. „Wir haben Videos gesehen vom Bremer Sieg gegen Spartak“, erinnert sich der ehemalige Trainer der Oranienburger Eintracht, der viele Jahre in Bärenklau lebte.

Frank Rohde: „Wir wussten nach dem ersten Spiel, dass wir nicht durch sind.“ Foto: Schütz

Gegen Moskau hatte Werder 1987 das erste „Wunder von der Weser“ gefeiert, gewann nach einem 1:4 im Rückspiel den zweiten Vergleich mit 6:2. „Manager Willi Lemke hat gegen Spartak die gleichen Dinger wie gegen uns abgezogen“, sagt Bogs.

Was passierte denn nun an jenem Dienstagabend im Herbst 1988? „Die Probleme fingen schon vor der Abfahrt an“, weiß Bogs, „als wäre es gestern gewesen“. Alles sei durcheinandergegangen. Während der Mannschaftsrat abgesprochen habe, dass die Anreise am Sonntag (also zwei Tage vor dem Spiel) erfolgen sollte, sei kurzfristig „von oben“ festgelegt worden, dass der Bus erst am Montagmorgen Berlin verlassen dürfe. Grund: 1983 hatten sich die Nationalspieler Falko Götz und Dirk Schlegel bei einem Europapokalspiel abgesetzt. Seither durfte der BFC bei Reisen ins westliche Ausland nur noch einmal übernachten. Und im Bus gab es laut Rohde „Mitreisende mit schwarzen Hosen und Schuhen“. Die hätten aufgepasst, dass alle wieder zurückkommen. „Bei solchen Touren war das noch extremer als bei Fahrten nach Schottland.“

Die ohnehin verspätete Anreise gestaltete sich dann schwierig. „Statt um zwölf, waren wir erst um drei in Bremen, weil wir in zwei Staus standen.“ Diese Zeit fehlte für die Shoppingtour. Bogs: „Die Spieler wollten einkaufen. Das gab es am Spieltag nicht. Und an jenem Montag durften sie dann nur eine halbe Stunde ins Kaufhaus.“ Ihren Unmut darüber hätten im Namen der Mannschaft gerade Frank Rohde und Rainer Ernst zum Ausdruck gebracht. Der Vorwurf: „Die Leitung darf in Ruhe shoppen, wir nicht.“

Das habe Werder-Manager Willi Lemke spitz bekommen. „Der machte über Nacht ein Hotelzimmer im ,Mercure’ leer. Da wurden dann am Spieltag alle möglichen Dinge verkauft. Das ging bis in den Nachmittag.“ Der Bus habe laut Bogs dementsprechend ausgesehen, sei bis unter das Dach voll gewesen. Seine Spieler hätten sich mit Haushaltsgeräten, Fernsehern und Unterhaltungselektronik eingedeckt.

Bei den Schilderungen zu den Ereignissen in Bremen gehen die Schilderungen der Beteiligten auseinander. Rainer Ernst wurde vor zehn Jahren in einem Pressebericht mit diesen Worten zitiert: „Am Spieltag fahren wir mit dem Bus in ein Einkaufszentrum. Es dauert ewig, bis jeder seine Sachen zusammen hat, und draußen wartet der Bus.“ Frank Rohde betonte damals, dass bei der 0:5-Schmach die Vorgeschichte bedacht werden müsse. „Eigentlich konnten wir nur verlieren.“ Heute sagt er: „Was in den Jahren über dieses Spiel so erzählt wurde, ist alles völliger Quatsch. Der Ablauf war wie immer beim Europacup.“ So habe es einen zweistündigen Einkaufsbummel am Tag vor dem Spiel gegeben.

In der Partie selbst sei die Welt zur Pause noch in Ordnung gewesen. Dynamo lag mit 0:1 zurück. „Dann hat sich Bremen in einen Rausch gespielt. Was die in der Offensive hatten, war aber auch sensationell. Über ,Kalle’ Riedle müssen wir nicht sprechen. Und auch Norbert Meier, Mirko Votava und Manfred Burgsmüller waren dabei. Die waren genial und haben das Ding so umgebogen.“ Rohde erinnert sich daran, dass Frank Pastor eine Riesenchance zum 1:3-Anschlusstreffer gehabt habe. „Dann wären wir wieder im Rennen gewesen.“ Letztlich sorgten Michael Kutzop (22.), Günter Herrmann (55.), Karl-Heinz Riedle (62.), Manfred Burgsmüller (70.) und Thomas Schaaf (90.) für den Endstand.

„Eine einzige Katastrophe“ sagt Jürgen Bogs rückblickend. „Im Spiel lief alles quer. Angefangen in der 22. Minute. „Rune Bratseth wäre mit Ball ins Aus gelaufen, aber ,Wuschi’ verschuldete einen Elfmeter. In der zweiten Halbzeit ging gar nichts mehr. Da sind die Tore gefallen, und eins war besser als das andere.“ Nach vier Jahrzehnten im Trainergeschäft sagt Bogs: „Es war die spektakulärste Niederlage in meiner Laufbahn. Die bitterste war es nicht.“ In dieser Kategorie führe eindeutig ein Ergebnis von 1978. Nach dem 5:2-Hinspielsieg musste der BFC bei Roter Stern Belgrad in der Nachspielzeit das 1:4 hinnehmen. „Durch die Auswärtstor-Regelung waren wir damit raus.“

Jürgen Bogs: "Eine einzige Katastrophe" Foto: Schütz

Auch das Spiel bei Werder Bremen hatte für Bogs ein Nachspiel – aber nicht von Clubseite. „Wir fuhren noch am selben Abend zurück. Zwei Tage später musste ich beim Generalsekretär des Fußballverbandes antanzen. Mir wurde ein Verweis ausgesprochen, weil ich angeblich während des Spiels nicht mehr auf die Mannschaft eingewirkt habe. Das verstehe ich bis heute nicht. Ich war lange genug mit der Mannschaft zusammen, um zu merken, dass an diesem Abend nichts geht. Was soll ich da rumhampeln, wenn sowieso nichts geht?“ Aber wenigstens seien die Spieler zufrieden gewesen. „Sie konnten alles kaufen, was sie zusammen haben wollten.“

Ganz so einfach war die Verarbeitung laut Frank Rohde aber nicht. „Die Enttäuschung war bei allen riesengroß. Es war Totenstille im Bus.“ Am Ende danach trafen sich die Spieler bei Rohde. „Wir haben ein bisschen was für den Mannschaftsgeist getan, weil wir nicht in eine Negativserie wollten.“ Das gelang: Am Sonnabend danach gelang ein 5:1 gegen den FC Karl-Marx-Stadt. Vergessen war das Bremen-Spiel damit nicht. „Aber so ist halt Fußball. Später habe ich auch mit dem HSV mal fünf Dinger bekommen. Das passiert.“

Profil: Jürgen Bogs

Profil: Frank Rohde

Aufrufe: 011.10.2018, 07:33 Uhr
MOZ.de / Stefan ZwahrAutor