Nihat kam irgendwann mit vielen anderen herüber auf den VfL-Sportplatz. An manchen Tagen, sagt Windirsch, sind es bis zu vierzig junge Männer. Als sie die ersten Male kamen, fiel Schnee vom Himmel und auf den Querlatten hatte sich Reif gebildet. Man sah den Atem dampfen vor dem Gesicht. Manche standen Barfuß in ihren Schlappen, erinnert sich Windirsch, „aber das war ihnen egal. Sie wollten einfach Fußballspielen“.
Der Abteilungsleiter beim VfL Nürnberg lud die jungen Iraker, Syrer und Äthiopier zum Training seiner Mannschaften ein, Kreisklasse und A-Klasse. Vielleicht, so seine Idee, gibt es ja ein paar, die uns weiterhelfen können. Einer davon war Nihat. Windirsch beantragte bald einen Spielerpass, 50,75 Euro kostet das Gebühr. Windirsch orderte weitere Pässe beim Verband, insgesamt für acht Flüchtlinge. „Das ist ein ordentlicher Batzen Geld für uns“, sagt er, aber Windirsch geht es um mehr. Er denkt, dass das ein Beitrag ist, den sie leisten können.
Es sprach sich bald in der Flüchtlingsunterkunft herum, dass man die Straße hinunter ein paar Stunden gegen die Erinnerungen, die Ängste und das Warten mit einem Fußball verbringen kann. „Fußball hilft uns in unserem Kopf“, sagt Student Ahmed aus Raqqa, der mitansehen musste, wie der „Islamische Staat“ Männern, die ihren Gesetzen nicht folgen wollten, den Kopf abschlugen.
„Es waren bald so viele Flüchtlinge bei uns“, sagt Willi Windirsch, „dass das den Trainingsbetrieb komplett durcheinandergewirbelt hat.“ Sie spielten in Jeans, in Hemd und Straßenschuhen, Ahmed übersetzte. Sie haben sich irgendwann zusammengesetzt beim VfL und ein eigenes Fußballtraining angeboten: zweimal in der Woche, eine Spielerfrau gibt Unterricht im Fußballdeutsch: der Kopfball, die Flanke, der Torschuss.
Der Bayerische Landes-Sportverband übernimmt für die Spieler, die Windirsch für die Fußballmannschaft des VfL herauspickt, die Versicherungskosten, der Bayerische Fußball-Verband ruft in mehreren Projekten auf zur Integration durch Sport in den Vereinen, unterstützt mit Sachspenden. Die Integrationsarbeit, die Willi Windirsch und der VfL in Nürnberg betreiben, gibt es so oder so ähnlich überall in Deutschland. „Sport und besonders der Fußball bieten tolle Möglichkeiten für die Integration von Flüchtlingen“, sagt Rainer Koch, der BFV-Präsident. Fußball ist eine Chance für beide Seiten.
Deshalb wollte Willi Windirsch beim Testspiel gegen Rednitzhembach auch Flüchtlinge mitspielen lassen, obwohl ihr Passantrag noch nicht abgestempelt war. „Der Schiedsrichter hat eine Bestätigung der Passanforderung dem Spielbericht beigelegt“, sagt er, 30 Tage dauerte immerhin die Bearbeitungszeit. Einige Tage nach dem Testspiel meldete sich das Sportgericht und sperrte den Abteilungsleiter für ein Vierteljahr. Der Verein erhielt eine Geldstrafe - nach Paragraf 77: unzulässiger Spielereinsatz. In der Begründung des Urteils, das der Redaktion vorliegt, heißt es: „Für den Einsatz von Flüchtlingen gelten die gleichen Bestimmungen.“ Willi Windirsch will trotzdem mit seiner Integrationsarbeit weitermachen. „Das zermürbt mich nicht, es macht mich aber traurig“, sagt er. Für seine unbürokratische Hilfe wurde er bestraft. Nachdem Nihats Spielerpass endlich eintraf, konnte er drei Pflichtspiele für den VfL Nürnberg bestreiten. Mehr werden es nicht mehr. Vor ein paar Tagen kam sein Abschiebebescheid. Am Tag, als ein Selbstmordattentäter in Bagdad bei einem Fußballspiel 30 Menschen in den Tod riss.