2024-04-25T14:35:39.956Z

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Fußballspielen bei Wind und Wetter, um die Angst, die Erinnerungen und das Warten ein wenig zu verdrängen: Flüchtlinge beim VfL Nürnberg. F: Fengler
Fußballspielen bei Wind und Wetter, um die Angst, die Erinnerungen und das Warten ein wenig zu verdrängen: Flüchtlinge beim VfL Nürnberg. F: Fengler

Auf dem Bolzplatz des Behördendschungels

Beim VfL Nürnberg wollen sie Flüchtlinge integrieren, der Verband beharrt aber auf Bestimmungen

Viele Vereine helfen fußballbegeister­ten Flüchtlingen und sich selbst, in­dem sie sie in ihre Mannschaften inte­grieren. Ein wertvoller Beitrag, der allerdings Tücken haben kann.
Nihat hatte zuletzt auch mal Glück in seinem Leben. Glück, dass all die Mülleimer, die ge­parkten Autos, die Menschenansamm­lungen, die er im Irak passierte, nicht in die Luft flogen. Glück, dass er es irgendwie heraus geschafft hat aus dem zerstörten Bagdad. Glück, dass er die Überfahrt übers Meer überlebte und sogar bis nach Deutschland kam, bevor die Grenzen verschlossen wur­den. Nihat, 24 Jahre jung, strandete in Nürnberg. Und auch da hatte er noch einmal Glück. Glück, dass es Willi Windirsch gibt und den VfL Nürn­berg. Willi Windirsch sagt, Nihat sei vielmehr ein Glücksfall für den Ver­ein gewesen. Dann wurde Windirsch vom Bayerischen Fußball-Verband gesperrt, der Verein musste Verfah­renskosten und Strafe zahlen, weil er Flüchtlinge im Spielbetrieb mitspie­len lässt. Wie konnte das passieren?

Nihat kam irgendwann mit vielen anderen herüber auf den VfL-Sport­platz. An manchen Tagen, sagt Win­dirsch, sind es bis zu vierzig junge Männer. Als sie die ersten Male ka­men, fiel Schnee vom Himmel und auf den Querlatten hatte sich Reif gebil­det. Man sah den Atem dampfen vor dem Gesicht. Manche standen Barfuß in ihren Schlappen, erinnert sich Win­dirsch, „aber das war ihnen egal. Sie wollten einfach Fußballspielen“.

Der Abteilungsleiter beim VfL Nürnberg lud die jungen Iraker, Syrer und Äthiopier zum Training seiner Mannschaften ein, Kreisklasse und A-Klasse. Vielleicht, so seine Idee, gibt es ja ein paar, die uns weiterhel­fen können. Einer davon war Nihat. Windirsch beantragte bald einen Spie­lerpass, 50,75 Euro kostet das Ge­bühr. Windirsch orderte weitere Pässe beim Verband, insgesamt für acht Flüchtlinge. „Das ist ein ordentlicher Batzen Geld für uns“, sagt er, aber Windirsch geht es um mehr. Er denkt, dass das ein Beitrag ist, den sie leisten können.

Es sprach sich bald in der Flücht­lingsunterkunft herum, dass man die Straße hinunter ein paar Stunden gegen die Erinnerungen, die Ängste und das Warten mit einem Fußball ver­bringen kann. „Fußball hilft uns in unserem Kopf“, sagt Student Ahmed aus Raqqa, der mitansehen musste, wie der „Islamische Staat“ Männern, die ihren Gesetzen nicht folgen woll­ten, den Kopf abschlugen.

„Es waren bald so viele Flüchtlinge bei uns“, sagt Willi Windirsch, „dass das den Trainingsbetrieb komplett durcheinandergewirbelt hat.“ Sie spielten in Jeans, in Hemd und Stra­ßenschuhen, Ahmed übersetzte. Sie haben sich irgendwann zusammenge­setzt beim VfL und ein eigenes Fuß­balltraining angeboten: zweimal in der Woche, eine Spielerfrau gibt Unterricht im Fußballdeutsch: der Kopfball, die Flanke, der Torschuss.

Der Bayerische Landes-Sportver­band übernimmt für die Spieler, die Windirsch für die Fußballmannschaft des VfL herauspickt, die Versiche­rungskosten, der Bayerische Fußball-Verband ruft in mehreren Projekten auf zur Integration durch Sport in den Vereinen, unterstützt mit Sachspen­den. Die Integrationsarbeit, die Willi Windirsch und der VfL in Nürnberg betreiben, gibt es so oder so ähnlich überall in Deutschland. „Sport und besonders der Fußball bieten tolle Möglichkeiten für die Integration von Flüchtlingen“, sagt Rainer Koch, der BFV-Präsident. Fußball ist eine Chan­ce für beide Seiten.

Deshalb wollte Willi Windirsch beim Testspiel gegen Rednitzhembach auch Flüchtlinge mitspielen lassen, obwohl ihr Passantrag noch nicht abgestempelt war. „Der Schiedsrich­ter hat eine Bestätigung der Passanfor­derung dem Spielbericht beigelegt“, sagt er, 30 Tage dauerte immerhin die Bearbeitungszeit. Einige Tage nach dem Testspiel meldete sich das Sport­gericht und sperrte den Abteilungslei­ter für ein Vierteljahr. Der Verein erhielt eine Geldstrafe - nach Para­graf 77: unzulässiger Spielereinsatz. In der Begründung des Urteils, das der Redaktion vorliegt, heißt es: „Für den Einsatz von Flüchtlingen gelten die gleichen Bestimmungen.“ Willi Windirsch will trotzdem mit seiner Integrationsarbeit weiterma­chen. „Das zermürbt mich nicht, es macht mich aber traurig“, sagt er. Für seine unbürokratische Hilfe wurde er bestraft. Nachdem Nihats Spielerpass endlich eintraf, konnte er drei Pflicht­spiele für den VfL Nürnberg bestrei­ten. Mehr werden es nicht mehr. Vor ein paar Tagen kam sein Abschiebebe­scheid. Am Tag, als ein Selbstmordat­tentäter in Bagdad bei einem Fußball­spiel 30 Menschen in den Tod riss.

Aufrufe: 013.4.2016, 13:28 Uhr
Christoph BeneschAutor