2024-05-10T08:19:16.237Z

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Weist auf die fehlende Perspektive der Alemannia hin: Sportdirektor Thomas Hengen.
Weist auf die fehlende Perspektive der Alemannia hin: Sportdirektor Thomas Hengen. – Foto: Jérôme Gras
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„So kommen wir nicht weiter“

Alemannia Aachens Sportdirektor Thomas Hengen macht sich Gedanken über die Zukunft des Vereins

Ein paar Tage nach seiner Vorstellung wurde der Lockdown verfügt, und damit waren auch alle Pläne Makulatur. Der Beginn von Alemannia Aachens neuem Sportdirektor Thomas Hengen hätte komplizierter nicht sein können. Er stand an der Startlinie – und durfte nicht loslegen. Unsere Redakteure Benjamin Jansen und Christoph Pauli trafen sich mit dem 45-Jährigen für einen kurzen Rückblick und einen langen Ausblick.

Herr Hengen, normalerweise fragt man Menschen, die einen neuen Job antreten, nach 100 Tagen nach ersten Eindrücken. Weil die Zeit aber gerade gefühlt stillsteht, fragen wir nach etwa 150 Tagen nach wie es Ihnen bislang ergangen ist?

Thomas Hengen: Die Ausgangslage der Alemannia hat sich durch Corona – wie an vielen anderen Orten auch – natürlich völlig verändert. Zudem hat der Verein bereits zwei Insolvenzen durchlaufen. Dennoch sollte die künftige Grundausrichtung eine andere sein. Wir können nicht jedes Jahr improvisieren, Löcher stopfen und wieder von vorn anfangen. Eine Schwarze Null ist natürlich erstrebenswert, aber wenn wir registrieren, was um uns herum passiert, kommen wir so nicht weiter. Alemannia spielt in einer Liga gegen Clubs, die über das dreifache Budget verfügen, andere Vereine aus kleineren Orten können einen doppelt so hohen Etat aufweisen. Wir sind aktuell mit den Top-Clubs der Liga finanziell nicht auf Augenhöhe.

Wie ist die Aussicht?

Hengen: Geld ist wichtig, aber wir reden auch von der Infrastruktur, Perspektive, Visionen, von der Zukunft des Vereins. Die oberen Jugendmannschaften haben zuletzt ihre Heimspiele bei Kooperationsvereinen ausgetragen. Wir sind sehr dankbar für die Hilfe, aber es muss doch unser Anspruch sein, unserem Nachwuchs eine Heimat zu geben. Es ist alles verstreut, es gibt generell zu wenig Raum, um sich entfalten zu können. Man braucht ein Vereinsgelände, ein Clubhaus, eine Heimat, wo die DNA des Vereins zum Vorschein kommt. So wie jetzt funktioniert das ein Weilchen, aber nicht auf lange Sicht. Der wirtschaftliche Mittelstand hält Alemannia grandios am Leben, aber zu glauben, dass allein könnte reichen, wäre ein Trugschluss.

Das klingt desillusioniert.

Hengen: Nicht im Geringsten, ich habe unglaubliche Lust auf diese Aufgabe. Ich werde von einem tollen Team rund um die Mannschaft hervorragend unterstützt. Aber ich möchte schon auf die fehlende Perspektive hinweisen dürfen. Man muss Visionen haben. Die müssen wir entwickeln, der Verein muss unabhängig von heute handelnden Personen funktionieren und überleben können.

Sie haben monatelang nicht gewusst, welche finanziellen Möglichkeiten Sie besitzen. Jetzt liegt der Etatansatz bei einer Million Euro. Wie wettbewerbsfähig sind Sie damit?

Hengen: Wir haben mit einem finanziellen Kraftakt die Stammspieler halten können, das zeigt ja auch die Strahlkraft des Clubs. Wir sind nach wie vor sportlich konkurrenzfähig, müssen aber aufpassen, wirtschaftlich nicht abgehängt zu werden. Die Kluft zu anderen Klubs wird jedes Jahr größer. Irgendwann ist dann die Distanz zu groß, dann fällst du hinten runter.

Wären Sie dafür, dass finanzielle Risiko zu erhöhen?

Hengen: Mir geht es darum, sich Gedanken zu machen. Sich zu hinterfragen, ob das alles noch so zeitgemäß ist. Wir können uns für die Vergangenheit nichts mehr kaufen. Wir könnten doch niemals den Unterhalt für dieses Stadion aufbringen, das wäre sogar in einer Profiliga schwierig. Trotzdem sind wir der ASB dankbar für die Unterstützung. Aber wir müssen unsere Ausgangslage auch transparent machen. Kommen wir mit unseren extrem engagierten und zuverlässigen Sponsoren und der Fangemeinde allein dauerhaft weiter? Oder müssen wir auch ernsthaft überlegen, ob wir zusätzliche größere Partner für uns gewinnen können? Wir brauchen eine breitere Basis, ein starkes Fundament, das uns auch in Krisenzeiten eine gewisse Stabilität geben kann. Ein Oligarch, der die Alleinherrschaft beansprucht, der keine Verbundenheit zur Stadt oder dem Verein besitzt, wäre allerdings fehl am Platz.

Finden Sie für solche Gedankenspiele Unterstützer in den Gremien?

Hengen: Die Pandemie hat die Defizite wie unter einem Brennglas noch einmal verdeutlicht. Wir sind gerade alle noch mit der Corona-Krise und den damit verbundenen Problemen und Auflagen beschäftigt. Wenn diese Phase vorbei ist, müssen wir den Verein für die Zukunft ausrichten, um nicht rechts und links überholt zu werden.

Wie weit kann man mit so einem Etat kommen?

Hengen: Ich will mich nicht beklagen. Aber eine schwere Verletzung wie bei Sebastian Schmitt wirkt sich in unserem kleinen Kader schon gravierend aus. Mit unseren Möglichkeiten finden wir keinen 1:1-Ersatz, wir müssen über Teamgeist und Leidenschaft diesen Verlust kompensieren. Das ist der Vorteil unserer kleinen Mannschaft, die einen hervorragenden Charakter besitzt.

Neben zwei Torhütern sind bislang 16 Feldspieler im Kader. Wie viele Spieler brauchen Sie für eine Mammutsaison mit knapp 50 Pflichtspielen?

Hengen: Wir brauchen erst einmal elf Spieler, die auf dem Platz funktionieren. Natürlich werden wir den Kader noch ergänzen. Unsere Planung und Vorbereitung ist wegen der Pokalspiele aber kompliziert. Wir hätten gerne noch Qualitätsspieler, die uns schon im Halbfinale weiterhelfen, allerdings können wir kein Risiko eingehen. Wir können Interessenten nur mit Infrastruktur, mit einem großen Schaufenster und der Aussicht auf sportliche Entwicklung locken. Wir sind mit ein, zwei Jungs im Gespräch. Ich weiß aber nicht, zu welchem Zeitpunkt sich ein Wechsel realisieren lässt. Ohnehin gibt es die „Schnapper“ erst zum Ende der Transferperiode, da wollen wir uns noch ein Hintertürchen offenhalten.

Registrieren Sie, dass die Spieler in ungewissen Pandemiezeiten bereit sind, Abstriche zu machen?

Hengen: Bei externen Spielern nur teilweise. Einige träumen weiter und merken erst später, dass sich die Zeiten geändert haben. Unsere Jungs haben dagegen erkannt, dass es schwere Zeiten für sie, aber auch für den Verein sind, und haben deshalb Abstriche in Kauf genommen.

Es zeichnet sich ab, dass Sie mit einem unfertigen Kader in das Pokalspiel gegen den FC Pesch gehen müssen, oder?

Hengen: Unfertig ist das falsche Wort. Unser aktueller Kader hat ausreichend Erfahrung und Qualität.

Der neue Sportdirektor hat alle wichtigen Feldspieler der Vorsaison überzeugen können, am Hof zu bleiben. Übernehmen Sie damit nicht nur die Stärke der alten Mannschaft – die defensive Struktur –, sondern auch die Schwäche, die mangelhafte Chancenverwertung?

Hengen: Das Urteil kommt mir zu früh, wir sind noch in der Vorbereitung. Es ist natürlich eine Herausforderung, effektiver zu werden als in der vergangenen Saison. Wir arbeiten an den Abschlüssen, auch an der Kommunikation. Die Mannschaft ist schon deutlich lebhafter geworden, da sind wir noch mitten im Prozess.

Offensivkräfte fehlen dennoch.

Hengen: Teilweise ja, aber gute und bezahlbare Stürmer wachsen nicht auf den Bäumen. Wir werden jetzt aber nicht hektisch einen Kaderplatz füllen, weil wichtige Spiele anstehen, nur um an der Kaderanzahl zu drehen. Das muss schon passen. Falls aktuell nichts dabei wäre, warten wir lieber noch ab, anstatt in Aktionismus zu verfallen.

Zuletzt hat sich Tarik Kurt vorgestellt. Wie geht es mit ihm weiter?

Hengen: Wir waren durchaus inte­ressiert. Vielleicht hätte ein Typ der Marke Straßenköter unserer Mannschaft sogar gutgetan. Aber er ist nicht mehr aufgetaucht, angeblich stellt ihn eine neue Agentur gerade in der Türkei vor. Er hat sich seit dem Wochenende weder bei uns, noch bei seinem Berater gemeldet.

Beunruhigen Sie nicht die finanziellen Möglichkeiten des neureichen Nachbarn 1. FC Düren?

Hengen: Wir sollten auf uns schauen und unsere Hausaufgaben erledigen. Alemannia ist ein guter Club, aber wir sind nicht blauäugig und registrieren, was um uns herum passiert.

Können wir zum Abschluss noch kurz über den FC Bayern reden, auf den Alemannia im DFB-Pokal treffen würde, falls der Verein den regionalen Wettbewerb gewinnt?

Hengen: Auf gar keinen Fall. Mich interessiert gerade nur unser Pokalhalbfinale in Pesch. Diese Aufgabe müssen wir mit voller Konzentration und Leidenschaft angehen.

Aufrufe: 09.8.2020, 05:00 Uhr
Benjamin Jansen/Christoph Pauli | AZ/ANAutor